In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • Nahe Fremde. Paul Celan und die Deutschen by Wolfgang Emmerich
  • Martin A. Hainz
Wolfgang Emmerich, Nahe Fremde. Paul Celan und die Deutschen. Göttingen: Wallstein Verlag, 2020. 400 S.

2020 jährte sich Celans Geburtstag zum 100. und sein Todestag zum 50. Male. Eine der zahlreichen Publikationen, die anlässlich dessen erschienen, ist Wolfgang Emmerichs Studie zum Verhältnis Celans und der Deutschen. Friktionsfrei ist dieses Verhältnis nicht gewesen, seitens Celans nicht, dem das Deutsche Mutter- wie auch Mördersprache war, aber auch nicht seitens der Deutschen: Die Bereitschaft, sich der Genauigkeit jenes Blicks und jener Sprache auszusetzen, war gering, war auch nicht abzustreiten, dass hier ein Dichter von erstem Rang schrieb, dessen Klagen, nicht immer mit den Mitteln, die bei der Klage nahezuliegen scheinen, man auch nicht ernstlich abstreiten konnte. Aber selbst das tat der Feuilleton. Kritiker und auch Germanisten marginalisierten Celan; oder sie unterstellten, es ginge hier nicht um Reales, [End Page 131] sondern Surreales. Die Goll-Affäre wäre eine bedeutungslose Infamie geblieben, hätte es nicht viele gegeben, die hier ihren Antisemitismus ausagieren konnten. Holthusen, Blöcker, man könnte viele Namen nennen.

Emmerich schreitet dieses Problemfeld chronologisch ab, beginnend bei der besagten Aporie, dass die Täter jene Sprache sprachen, die auch die war, in welcher er ihre Verbrechen nachzeichnete. Zugleich ist diese seine Chance, ihr Denken zu dekonstruieren: ihnen am fernsten, wo er ihnen ganz nahe zu sein scheint, ihren Phrasen, ihren Verantwortungslosigkeiten. Er lernt diese Untaten bekanntlich auf seiner Bahnreise nach Frankreich und also durch Nazi-Deutschland kennen, als rumänischer Staatsbürger da noch sicher, aber ohne Frage vom 9./10. November 1938 schockiert. Wie unklar ist, was er damals sah, weiß man—man weiß nämlich kaum mehr als das, was als Zeugnis das Gedicht La Contrescarpe (1962) besagt, ergänzt um Erinnerungen u.a. Edith Silbermanns, die diese ebenfalls in großem zeitlichem Abstand formulierte: "Quasi-Sinn" (23) zu einem Datum.

"Widersinnigkeit" (27) bleibt dann jedenfalls das Epizentrum der deutschsprachigen Lyrik über das Schlimmste des Deutschen, es ist dies auch das von Celan in einem Brief an Ilana Shmueli gebrauchte Wort. Die Todesfuge als Celans "erste(s) Deutschlandgedicht" (41) umreißt dies denn auch. Es ist das Gedicht Celans, das am genauesten "Einzelheiten des Massenmords an den Juden" (43) referiert—und es ist doch keine Mimesis, auch ist es ein Text, der Gelesenes, Erahntes und Erlebtes engführt. Dass Celan unter dem Druck der angedeuteten Plagiatsanschuldigungen beglaubigte, er habe mit dem "Gedicht versucht, das Ungeheuerliche der Vergasungen zur Sprache zu bringen," jedenfalls sei das "Grab in der Luft […] weder Entlehnung noch Metapher" (43), ist insofern irreführend, wiewohl es auch stimmt.

Auf diesen Schock, den Deutschen gegenüber dem aus der Dichtung bekannten Deutschen kennengelernt zu haben, folgt die Konfrontation mit Österreich, wohin Celan über Bukarest gelangt, als displaced person, die in Wien Monate vor allem unter "selbsternannten 'Opfern'" (55) lebt. Juden galten hier nicht als die eigentlichen Opfer, sondern als "Störenfriede" (56), doch Celans "Gedichte […] machten Furore in Wien." (57) Otto Basils Plan, wo die ersten erschienen waren, erlebte danach aber keine weitere Nummer. Und so mutig und avanciert dieser Kreis war, so wichtig ihm hier Klaus und Nani Demus sowie natürlich Ingeborg Bachmann wurden, zur Heimat taugte Wien nicht. Die "getrennten Wege der mörderischen »Meister aus Deutschland« und ihrer jüdischen Opfer" (61) setzen sich fort. Er führt [End Page 132] Celan nach Celan sowie auch zur Gruppe 47, immer wieder verbunden mit der Frage, "wie er seine deutsche Sprache lebendig und vielgestaltig erhalten könne" (97), ohne erneut Österreich oder Deutschland zu bereisen:

Dieses Land, ich mag es überhaupt nicht. Ich finde die Leute erbärmlich. Natürlich gibt es Ausnahmen, doch sie sind selten, und um sie zu treffen, brauche ich mich nicht in Deutschland aufzuhalten.

(97)

Der Brief Celans an seine Gemahlin schließt an Reflexionen über "Sprachprobleme" an, die aber "im Grunde sehr nebensächlich" (97) seien—denn Celan geht es um das, was zwar nur mittels der genauen Sprache zu sagen ist, aber nicht für diese, nicht um dieser und ihrer Schönheit willen. Dieses Anliegen sahen wenige, weil es immer bedeutet, dass Celans...

pdf