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  • In der Kopernikusstraße, and: Das Konzert 1980, and: Coney Island
  • Artur Becker (bio)

In der Kopernikusstraße1

Dort in der KopernikusstraßeBin ich aufgewachsenWie ein Sternenfänger der alle WrackteileVom Himmel holtDie alten Raketen die Solarzellen die SatellitenarmeDort in der KopernikusstraßeWurden Leichen vergrabenDie Gestapo und die Beamten vom polnischen SicherheitsdienstDie zwischen den Menschewiken und BolschewikenNicht unterscheiden könnenSpielten oft RugbyDie Autofahrer mussten stundenlang das Hupen übenMeine Großmutter eine hundertjährige KatholikinKlatschte aus dem Fenster bravo bravo noch mehrNoch lauterDort in der KopernikusstraßeHat Zefiryn Frankowski aus PosenDen ersten gerechten Waffenhandel betriebenEin Marxist gibt alles umsonst abStand auf seinem T-ShirtDer geniale Mann muss mein Großvater gewesen seinDort in der KopernikusstraßeWar ein siebenhundert Jahre alter KellerMit geheimen Gängen der FreimaurerDer Fußboden war aus rotem SteinIm Winter schliefen auf ihm Ratten und BürgerrechtlerAber am liebsten waren mir die grauen SchornsteinfegerSie brachten aus dem Kosmos Nadelbäume und MückenIn großen EiscontainernAlles war umstellt das Haus die Gartenfelder für die SchneckenDie Treppe in den Keller endete im Mittelpunkt der WeltIn der KopernikusstraßeHingen Bilder mit meinen VerwandtenAls ich fünf war fiel mir die Heilige Maria auf den KopfSie hatte den schwersten Rahmen aus Eiche [End Page 140]

Ich bin bis heute etwas erstauntÜber die Stärke des GlaubensDort in der KopernikusstraßeBlieb für mich die Sonne stehenAls ich das erste Mal sahWie ein Kind gezeugt wirdNämlich im Fernseher auf flachem BildschirmPer KnopfdruckDort in der KopernikusstraßeMüssen Tote auferstehenSage ich mir oftDie Schwejks und Don QuichottesIch habe sie schon lange nicht mehr wiedergetroffenIn dieser Straße übte ich bis zum Umfallen HamletWie Omelette hörte sich das anBeurteilt Zefiryn Frankowski aus dem GeisterzimmerDort in der KopernikusstraßeWachsen immer noch Wiesen und KoppelnFür uns GrasfresserDort liegt ein Garten schattenlosIm HinterhofAmeisen haben sich dorthin verirrtZu den Pflaumenbäumen und MöhrenMit einer Lupe sehe ich unter die ErdhautImmer auf der LauerWelche Steine am reinsten singenMir geht die Puste ausWenn ich mich verkleinereDer wahnsinnige Gulliver beschäftigt mich die ganze ZeitDort in dieser Straße fahren keine StraßenbahnenUnd es gibt keinen TaxistandWenn du ans Verreisen denkst [End Page 142]

Das Konzert 1980

Meine Mutter mit dem Wäschekorb unter der Leineverbunden mit den Kiefern wie eine Telegraphistinhing die Flugblätter aus Patmos auf – einen Kopfnach dem anderen und die Sonne zeichneteauf ihrem Rücken Kreise.

Sie war so braun und leichtfüßig dass nichts stärker klangnicht einmal die Stimme meines Vatersder das Konzert dirigierte –das Konzert der Schlüssel und Ketten.

Damit öffnete er die Boote und Häuser am Moränenseefür die Sommer und ihre Flüchtlinge:die Cousins aus Warnemünde und die Onkel aus Bremenbeide mit meinen Eltern unzertrennlichim Dickicht der Heidemeeredie den Wald zum Schmelzen brachtenzwischen dem Buschwerk der Lärchenund dem Feuer der Gräser und der königlichen Farne.

Alle gingen mit uns Steinpilze und Heidelbeeren essendirekt in den Rachen des Waldes wo meine Mutterrussische Lieder sang – kaukasische Ð und ihre Augenpflückten die Stacheln von meiner Hose undvon ihren Händen strömten die Beerenin die Eimer und Becher zu den emaillierten Ringelnattern.

Die Abende schmeckten nach Zuckerwatte und Weinessigund wirbelten im Gesang die fruchtige Dämmerung aufaus der die Hominiden zu uns schauten – vielleicht nur Rehe und Füchse –immer noch nah genug für einen Schrecken.Und die Deutschen verpackten sorgfältig ihre Fotoapparatein Handtücher und flüchteten auf die Autobahnweil es nicht sein durfte dass die Kommunisten in Polenstreikten – gegen die Dekabristen und ihre Missgeburten. [End Page 144]

Aber aus dem Wald schauten auf uns Rehe und Füchseund mein Vater räucherte Aale und brietKleine Maränen f...

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