In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • Beobachtungen der Moderne in Hermann Brochs Die Schlafwandler und Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften. Rhetorische und narratologische Aspekte von Interdiskursivität
  • Claudia Albert
Beobachtungen der Moderne in Hermann Brochs Die Schlafwandler und Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften. Rhetorische und narratologische Aspekte von Interdiskursivität. Von Gunther Martens. München: Fink, 2006. 434 Seiten. €60,00.

Titel wie Versuchsanordnung lassen eine Vorliebe für barocke Dimensionen erkennen, doch ist die voluminöse Genter Dissertation von 2003 gegenüber dem Original schon "erheblich gekürzt" (9). Das verwundert nicht, enthält der Band doch mindestens drei verschiedene, weitgehend voneinander unabhängige Beiträge: je eine forschungskritische Bestandsaufnahme und Neubewertung von Broch (etwa 100 S.) und Musil (etwa 200 S.) unter den Aspekten "Auktorialität" und "Modernität," eine methodologische Einführung zu diesen Kategorien (etwa 40 S.) und eine mit 10 Seiten äusserst knappe [End Page 159] "Conclusio." Gliederung und zahlreiche textinterne 'Regieanweisungen' (etwa 29, 120, 204, 185–90, 254, 257, 297, 371f.) zeugen vom Bemühen um nachvollziehbare Textorganisation; dies wird aber durch Differenzen zwischen dem Inhaltsverzeichnis, der angekündigten "Struktur der Arbeit" (49) und dem tatsächlichen Text nicht immer eingelöst. Teil II.B 2.3 (!) erscheint in der Gliederung als 2.4; Teil IV wird mit dem Titel "Interdiskursivität" (49) angekündigt, enthält dann aber die Abschnitte "Erzählstrukturierung als Konstruktion" (383) und "Conclusio" (393). Auch die interne Logik der Abschnitte scheint (mir) nicht immer durchgehalten: Kap. III.A 2 versammelt unter dem Titel "Die Funktion der Theorie im Roman" (218) Überlegungen zur Funktion des Exkurses, einen Forschungsbericht zu Literatur und Philosophie bei Broch, Analysen zum "metaphysische[n] Gehalt der Ereignisse" (225), die vornehmlich narratologisch ausfallen, und zu Rahmen und Rissen.

Derlei Inkonsistenzen wären weniger bemerkenswert, wenn Martens nicht für sich beanspruchte, "ein analytisches Instrumentarium entwickelt [zu haben], das es erlaubt, die jeweilige Integration von Fiktion und 'Theorie' konkreter und feinmaschiger zu bestimmen" (393)—und dies in vollem Bewusstsein dessen, dass Vergleiche von Musil und Broch die Spezialisten "vermutlich aufstöhnen" lassen (28). Intendiert ist denn auch weniger ein expliziter Vergleich als die Untersuchung der narrativen Integration von—zumeist philosophisch-theoretischen—Fremdtexten. Diese überaus begrüßenswerte Absicht geht aber in der Fülle und vielleicht auch unter dem Druck der zitierten Sekundär- und Tertiärtexte oft unter.

Martens versteht seine Arbeit als soziologisches Korrektiv einer Musilforschung, die sich allzu sehr der "esoterischen, mystischen Seite" des Autors zuwendet (29); das Interesse an Broch will er von der Fixierung auf "Thesenhaltigkeit" und "Essayismus" (106) auf narratologische Aspekte lenken. Beiden Seiten macht er es aber schwer, den jeweiligen provokativen Gehalt seiner Ergebnisse wahrzunehmen; für die Erzählforschung werden die zahlreichen (im Namen- und Sachregister überprüfbaren) Bezugnahmen auf Adorno, Luhmann, Link, Barthes, de Man—aber auch Reich-Ranicki und Volker Braun!—entweder bekannt oder überflüssig sein. Die Ausführungen zu "Moderne," "Modernität" und "Modernismus" (17–19; 31–37; 185) schwanken zwischen Banalität und Kulturkritik. Eine Basis für im engeren Sinne literaturwissenschaftliche Einsichten wird hier nicht gelegt, und auch das aus der FAZ stammende Urteil, Thomas Manns "Erzählkunst" sei "organischer" als die Musils (29f., Anm. 18), kann man heute nicht mehr ernsthaft als Feindbild benutzen.

Zu würdigen bleibt also ein Materialbaukasten, der manchen manches, aber nur wenigen vieles bietet. Charmante Stilblüten wie "die poetikalisch-programmatische Dimension" (54), das "etwas risikovollere Bild" (243) oder "die dissonante Paraphrase, mit der Musil die Perspektive seiner Figuren manchmal zersetzt" (119), bereichern die Lektüre. Martens' zentrale Kritik gilt der seit Sartre und Barthes ubiquitären Kopplung von auktorialem Erzähler und angeblich autoritärer 'Leserlenkung.' Dagegen setzt er die These, "dass die Polyphonie eines Textes nicht quantitativ aus der Menge der in ihm repräsentierten Stimmen oder der generellen Abwesenheit eines auktorialen Mediums abgeleitet werden kann" (65). In Frage stehen damit die Selbstinszenierungen und -relativierungen des Text-Subjekts, denen Martens in genauen und jeweils "Kipp-Phänomene" (etwa 71) markierenden Lektüren nachgeht. Bei Broch fallen insbesondere die gleitenden Übergänge des "Ich" zum "man" (205), zur erlebten Rede oder zum Gestus des Berichterstatters und Kommentators (223) auf. Sie konfrontieren den Leser [End Page 160] "mit dem Dilemma, eine...

pdf