In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • Georg Büchners Schulzeit: Ausgewählte Schülerschriften und ihre Quellen
  • Gerhard P. Knapp
Susanne Lehmann . Georg Büchners Schulzeit: Ausgewählte Schülerschriften und ihre Quellen. Büchner-Studien 10. Tübingen: Niemeyer, 2005. 592 S. € 96. ISBN 3-484-19110-4.

Abgesehen von den wenigen überlieferten "selbständigen" Schularbeiten Georg Büchners, mit denen sich die Forschung vielfach befasst hat, sind runde 700 Seiten des "Schülernachlasses" aus der Zeit am Darmstädter Pädagog (1824/25–1831) [End Page 371] erhalten, die Unterrichtsnotizen, Diktate, Exzerpte etc. aus den Gymnasialfächern "Griechisch, Lateinisch, Deutsch, Geschichte, Geographie, Naturgeschichte, Mathematik, Encyklopädie der Wissenschaften und Literärgeschichte" (1) umfassen. Auch wenn sie sicher nur einen geringeren Teil der schriftlichen Arbeiten des Gymnasiasten darstellen, kann ihr Überleben in Anbetracht der Zeitspanne und von Bränden und Zerstörung als ein kleines Wunder gelten.

Die vorliegende Arbeit versteht sich als Bestandteil der in jüngeren Jahren mit viel Energie betriebenen Quellenforschung und verspricht sich von der Befragung exemplarischer Schülerarbeiten auf die jeweiligen Vorlagen bzw. Quellen sowie von der Dokumentation der im Unterricht verwendeten Lehrbücher eine "Rekonstruktion von Büchners persönlicher Bildungsgeschichte" (3). Wenn die Verfasserin freilich bereits eingangs mitteilt, dass die Beschreibungen der Textzeugen "von vornherein schon nicht die spannendste Lektüre" (6) darstellen, kann man diese Warnung getrost auf das Ganze der Studie ausdehnen: hier wird kein "Bildungsgang" auch nur halbwegs kohärent nachgezeichnet, sondern ein Konvolut von Fakten ausgebreitet, dessen Kenntnisnahme die Geduld selbst informierter und gutwilliger Leser stark beansprucht. Das liegt natürlich teils am Gegenstand selbst. Denn die Quellen der Schularbeiten als solche und ihre diversen Vertextungen sind nur dann von Interesse, wenn daraus direkt oder indirekt Aufschluss zu gewinnen ist über die späteren literarischen, politischen, philosophischen und wissenschaftlichen Positionen Büchners. Dies betrifft aber nur einen geringen Teil des Konvoluts. Teils begründet sich das Unbehagen bei der Lektüre durch den Umstand, dass der Leser sich fast durchweg an der Masse des Materials abarbeitet, ohne sich zugleich der Relevanz dieses Materials für den Bildungsgang des Gymnasiasten bzw. für den späteren Autor bewusst zu sein. Folgt man dem Gang der Studie, wird das Problem der Vermittlung ihrer Ergebnisse quasi "in Rohform" und vielfach ohne den notwendigen ordnenden Zugriff evident.

Die ersten beiden Hefte, "Pflanzenkunde" und "Geometrie," stammen wohl noch aus der Zeit an Weitershausens Institut vor Büchners Einschulung ins Pädagog. Es ist unklar, warum sie überhaupt erwähnt werden. Mit den Aufzeichnungen über Italien im nächsten Heft ("Geographie") hat sich die Forschung, insbesondere zum Arkadien-Komplex, bereits befasst. Interessanter ist das Heft zur "Geschichte Roms" aus der Prima, und bemerkenswert sind die daran anschließenden Quellenstudien zur Cato-Rede, in denen ein genauer Quellennachweis mit der Analyse von Büchners produktiver Verarbeitung seiner Vorlagen ("diskutierend, kritisch, auch wider-legend," 157) verbunden wird. Lehmann weist darauf hin, dass die Lektionen der Lehrer "nahezu lückenlos [aus diversen Quellen bzw. Textbüchern] kompiliert" (162) sind: ein noch heute gebräuchliches Verfahren im Gymnasialunterricht. Ob man tatsächlich – im Anschluss an Gerhard Schaub – daraus summarisch folgern kann, dass Büchner das "in der Schule Erlernte, Anerzogene und Eingeübte" (164) sozusagen in bruchloser Kontinuität als Konstruktionsverfahren in seine poetischen Texte eingebracht hat, müsste weiter diskutiert werden. Wenig ergiebig sind die ersten Hefte aus dem Fach "Encyklopädie der Wissenschaften und Literärgeschichte" ("Geschichte der Bildhauerei in der Antike," "Antike Kleinplastik, Münzkunde"). Die zwei letzten Hefte aus der Selecta bringen dagegen Notizen zur Malerei der Neuzeit und der Niederländischen Schule, Impressionen und Werturteile, die in [End Page 372] die diversen brieflichen und fiktionalisierten Äußerungen Büchners zur Ästhetik eingegangen sein dürften (vgl. dazu auch die am Ende des Bandes gegebenen Reproduktionen von Gemälden des Darmstädter Museums). Unter der Rubrik "Miszellen" finden sich dann versprengte kleinere Quellennachweise zu den poetischen Texten, zur Heldentod-Rede und zu zwei Briefen. Wiederum fällt das unökonomische Arbeitsverfahren der Studie störend auf, wenn Lehmann zunächst einen Quellenbeleg aus Unsere Zeit, den Reinhard Pabst längst zuverlässig erbracht hat, mit dem Hinweis auf ein – von Büchner nicht nachweislich benutztes – Schulbuch entkräften...

pdf

Share