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  • Vorbild USA? Amerikanisierung von Universität und Wissenschaft in Westdeutschland 1945–1976
  • Karl-H. Fuessl
Vorbild USA? Amerikanisierung von Universität und Wissenschaft in Westdeutschland 1945–1976. By Stefan Paulus. Munich: R. Oldenbourg Verlag, 2010. Pp. 617. €84.80. ISBN 978-3486596427.

Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung einer 2004/2005 an der Universität Augsburg eingereichten Dissertation. Die selbstgestellte Aufgabe lautet, “einen geschichtswissenschaftlich-kulturhistorischen Beitrag zur Erforschung der amerikanisch-deutschen Interaktionen und des amerikanischen Einflusses auf dem kulturellen Teilgebiet der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte nach 1945 zu leisten” (22). In einem spezifischen Sinne fragt die Studie “in welchem Grade der westdeutsche Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb . . . zwischen 1945 und dem ersten Hochschulrahmengesetz des Bundes von 1976 am amerikanischen Universitäts- und Wissenschaftsmodell ausgerichtet war bzw. von diesem beeinflußt [End Page 705] wurde” (23). Es wird nicht weiter erläutert, warum gerade das 1976 verabschiedete Hochschulrahmengesetzes als Zäsur für Entwicklungen nach 1945 dienen soll.

Im ersten der neun höchst unterschiedlich gewichteten Kapitel erfährt man die weitgehend bekannte Tatsache, dass im 19. Jahrhundert deutsche Universitäten in hohem Maße amerikanische Studenten, Wissenschaftler und Bildungspolitiker zu beeindrucken vermochten und im Prozeß der Ausdifferenzierung der amerikanischen weiterführenden Bildung teilweise als Vorbild dienten. Bereits hier ergeben sich sträfliche Rezeptionsdefizite, wenn das Humboldtsche Bildungsideal auf die Einheit von Forschung und Lehre verkürzt und die deutsch-amerikanischen Kulturbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg als wäre nichts geschehen nolens volens wiederhergestellt wurden.

In der thematisch einschlägigen Zuwendung auf die Zeit nach 1945 konstatiert die Untersuchung neben Entnazifizierung und Wiedereröffnung der Universitäten auch im Vergleich zu den übrigen Militärregierungen eine mangelhafte Orientierung auf Seiten der amerikanischen Besatzungsmacht. Erst allmählich reiften auf der amerikanischen Folie höherer Bildung angelegte Anregungen für deutsche Reformen, die eine gesellschaftliche Öffnung durch die Schaffung von Hochschulräten, die Ablösung des rotierenden Rektorenamtes durch eine Präsidialverfassung und Fachbereiche anstelle der traditionellen Fakultätsstrukturen vorsahen. Nach dem Ende der Besatzungszeit und während der Ägide der amerikanischen Hohen Kommission erweiterte sich das Repertoire der Reforminitiativen auf die diskutierte Einführung eines obligatorischen Studium generale und der neuen Sozialwissenschaften, die in der vorliegenden Studie allerdings nur in der Gestalt der Politik- und Amerikawissenschaft behandelt werden. Die Initiativen dienten in summa dem Ziel der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft. Ohne die enormen finanziellen und materiellen Hilfsleistungen der USA, die sich auch in der Durchführung zahlreicher internationaler Tagungen manifestierten, wäre der Wiederaufbau des deutschen Systems der weiterführenden Bildung nicht zu stemmen gewesen. Indessen scheiterten mit der bemerkenswerten Ausnahme der neugegründeten Freien Universität Berlin alle Reforminitiativen aufgrund des von deutscher Seite entgegengebrachten Widerstands, den der Autor als restaurativ brandmarkt, ohne zu fragen, ob das Wiederanknüpfen an die liberalen Hochschulverfassungen der Weimarer Zeit die Verwendung dieses Terminus rechtfertigt.

Ein eigenständiges Kapitel widmet sich dem ebenfalls bekannten Austauschprogramm zwischen der Bundesrepublik und den USA nach 1945, das bis Anfang der 1950er Jahre mehreren tausend Deutschen die Gelegenheit gab, die USA aus erster Hand kennenzulernen. In umgekehrter Richtung kamen amerikanische Experten in beratender Funktion ins Land. Die Plätze für die Reise in die USA waren heiß begehrt, eröffneten sie den Teilnehmern doch neue Perspektiven und andere Einblicke als das [End Page 706] kriegszerstörte Zuhause. Die Untersuchung konzentriert sich auf den akademischen Austausch wie er seit 1952 mit dem weltweiten Fulbright-Abkommen auch für die Bundesrepublik in Kraft trat. Immerhin versammelte das Programm bis 1986 jeweils annähernd 10.000 amerikanische und deutsche Stipendiaten, von denen die letzteren dafür prädestiniert waren, als Protagonisten amerikanischer Innovationen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft in Erscheinung zu treten und eine tendenzielle Öffnung der bundesdeutschen Diskursivität zu bewirken. Auf der anderen Seite entschied sich ein nicht unbedeutender Anteil der Austauschteilnehmer, dauerhaft in den USA zu bleiben. Berufliche Karrieren unter den Bedingungen einer materiell saturierten Infrastruktur dienten als verheißungsvolle Lockrufe.

Bezogen auf die bundesdeutsche Hochschulreform der 1960er Jahre wurden die alten Debatten der Präsidialverfassung, der Neuordnung der Hochschulstruktur und das Verhältnis zur Öffentlichkeit erneut virulent und thematisch durch den Assistenz-Professor mit der damit aufgeworfenen Problematik der Nachwuchsqualifizierung sowie das Forschungssemester als Abbild des...

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