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  • From the Editor
  • Robert Roessler

In den vergangenen Jahrzehnten hat die literaturwissenschaftliche Forschung zur Wiener Moderne und dabei insbesondere zum Kreis der Autoren Jung-Wiens ein breites Wissen produziert. So erschienen etwa zu Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Hermann Bahr oder auch Richard Beer-Hofmann Monographien und Sammelbänden, die Leben und Werk gründlich beleuchtet haben.1 Der Name Felix Dörmann (1870–1928) hingegen findet sich meist nur in Auflistungen weiterer Jung-Wiener Autoren zweiten Ranges und tritt lediglich als Stichwortgeber vereinzelt in Erscheinung. Erwähnung findet dabei vor allem seine Lyrik, die der Forschungsliteratur häufig dazu dient, die Anfänge sowie frühe Motive der literarischen Wiener Moderne zu veranschaulichen. Dies beschränkt sich allerdings vor allem auf die programmatische Dekadenzkultur des Fin de siècle, die in Dörmanns Versen als besonders exemplarisch herausgearbeitet wird.2 Mit Blick auf das Interesse der Forschung an Dörmanns Gesamtwerk hat sich jedoch erfüllt, was sich Karl Kraus, der Dörmann Zeit seines Lebens für seine Stimmungskunst angeklagt hatte, erhoffte, nämlich "daß die übernächste Generation mit einer ausgesprochenen Nichtschätzung für Dörmann zur Welt kommt" (Kraus 30).

Ziel des vorliegenden Sonderhefts ist es, wenn auch nicht unbedingt einer Nichtschätzung, so doch einem Nichtinteresse für Dörmann entgegenzuarbeiten und sein vielfältiges Oeuvre aus der Vergessenheit zu holen. Als Pionier auf der Jagd nach dem jeweiligen Erfolgsgenre hatte sich Dörmann im Anschluss an seine frühe Phase als Lyriker (1891–1895) in den Folgejahren auch im Fach der Volkskomödie, als Novellist, im Film, sowie als Operetten- und Romanschreiber in Wien einen Namen gemacht. Die folgenden sechs Beiträge, die als mosaikartige Versatzstücke zu einem ganzheitlichen Verständnis des Autors beitragen sollen, widmen sich jeweils einer dieser von Dörmann erprobten Formen und damit auch einer Phase in dessen Wirken. [End Page xiii]

Der Chronologie seiner Textproduktion folgend, thematisiert der erste Beitrag des Heftes die Lyrik Dörmanns. Darin arbeitet Torsten Voß die in den Versen zahlreicher früher Gedichte eingeschriebene auktoriale Selbstinszenierung des Dichters heraus und ergänzt so die bisherigen Kommentare der Forschung zu Dörmanns Lyrik um einen wichtigen Aspekt. In seiner komparatistischen Analyse, in der er auch auf die Lyriker Charles Algernon Swinburne und Maurice Rollinat Bezug nimmt, zeigt Voß, dass Dörmann die Aufladung mit dekadenten Motiven und Ausdrucksformen als Distinktionsstrategie zur Produktion von eigener Autofiktion dient.

Im zweiten Artikel des Heftes widmet sich David Österle Dörmanns Rolle im Wiener Kulturbetrieb. Ausgangspunkt war eine Anstellung als Leiter des Presse- und Informationsbüros für die "Internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen", die Dörmann im Anschluss an den Erfolg seines ersten Gedichtband Neurotica angeboten wurde. In dem Beitrag liegt das Hauptaugenmerk dabei weniger auf dem Netzwerk, das sich Dörmann durch die neue Position erschließt, als vielmehr auf dem Feingefühl für den Publikumsgeschmack, das Dörmann bereits als Lyriker unter Beweis gestellt hatte und nun weiter optimieren sollte. Am Beispiel des Balletts "Die Donaunixe", das eine der Hauptattraktionen der Ausstellung war und zu dem Dörmann den Begleitband verfasste, zeigen sich dessen Strategien eines effektreichen und zweckmäßigen Schreibens deutlich.

Das Gespür für die Zielgruppe und die flexible Wahl von Ton und Form ist ein wiederkehrendes Motiv in Dörmanns Biographie, das sämtliche Stationen seines Schaffens durchzieht und verbindet. Dies gilt auch für die um die Jahrhundertwende angesiedelten Novellenjahre Dörmanns, die der Gegenstand des Beitrags von Robert Rößler sind. Die Feuilletonnovelle bot Dörmann—im Unterschied zur seiner Lyrik, die sich spätestens mit seinem 1895 erschienenen Gedichtband Gelächter abgenutzt hatte—den formalen Rahmen, sich an ein und demselben Stoff in immer neuen, lediglich leicht abgeänderten Variationen abzuarbeiten und damit in den literarischen Massenbetrieb zu gehen. Dabei diente Dörmann das reiche Themenfeld der Liebe als unerschöpflicher Fundus an permutierbaren Narratemen. In seiner Analyse zeigt Rößler, dass Marktmechanismen Dörmanns Kurzprosa nicht nur formal prägen, sondern dass sich ökonomische Tiefenstrukturen gleichzeitig auch auf inhaltlicher Ebene eingeschrieben haben.

Neben ein paar kürzeren Stücken für das Theater sicherten die Novellen, die auch gesammelt in Buchform zwischen 1900...

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