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  • Literarische Netzwerke im 18. Jahrhundert. Mit den Übersetzungen zweier Aufsätze von Latour und Sapiro ed. by Lore Knapp
  • Robert Walter-Jochum
Literarische Netzwerke im 18. Jahrhundert. Mit den Übersetzungen zweier Aufsätze von Latour und Sapiro. Herausgegeben von Lore Knapp. Bielefeld: Aisthesis, 2019. 339 Seiten. €39,90 broschiert oder eBook.

,,Die Akteur-Netzwerk-Theorie hat sehr wenig gemeinsam mit der Erforschung sozialer Netzwerke“ (46), schreibt Bruno Latour in dem Aufsatz, der in dem 2019 von Lore Knapp herausgegebenen Band erstmals in deutscher Sprache gedruckt wird. Indirekt verweist der abwesende Theoriestifter damit auf ein zentrales Charakteristikum des vorliegenden Bandes, der sich aus einer 2016/2017 in Bielefeld stattgefundenen Vortragsreihe sowie einem 2017 am dortigen Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) durchgeführten Workshop speist: Dass hier von ,,Netzwerken“ die Rede ist, öffnet sehr unterschiedlichen theoretischen Blickwinkeln das Feld – und das nicht zu kaschieren, sondern gewissermaßen auszustellen, ist sicher ein zu würdigendes Verdienst des Bandes, der allerdings auf diese Weise theoretisch sehr unterschiedlich ausgerichtete Studien versammelt.

Der Band zerfällt in drei Teile: einen ersten, der sich mit dem Netzwerk-Verständnis von Latours Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) intensiv auseinandersetzt [End Page 302] und auslotet, auf welche Weise mit diesem sehr spezifischen Theorie- und Methodendesign ein innovativer, weiterführender Blick auf Gegenstände des 18. Jahrhunderts geworfen werden kann. Er beginnt mit einer konzisen Einführung in Latours Werk von dessen Übersetzer Gustav Roßler sowie der von Eike Kronshage verantworteten Übersetzung des Latour-Aufsatzes von 1996, der in der hier vorliegenden deutschen Fassung den Titel ,, Über die Akteur-Netzwerk-Theorie. Einige Klarstellungen“ trägt und sich als gut brauchbar für den Einstieg in dieses Theorieuniversum erweist (im Original: ,,On actor-network theory. A few clarifications“, Soziale Welt 4, 1996). Es schließen sich zwei Kommentare sowie fünf ,,historische Fallstudien“ an, die auf verdienstvolle Weise die Perspektiven ausloten, die sich durch die ANT für verschiedene Bereiche der Literaturwissenschaft ergeben. Astrid Dröse zeigt in ihrem Beitrag etwa, wie sich der Blick auf Schillers Thalia ändern könnte, betrachtete man das Journal in seinen Akteur-Netzwerk-Beziehungen, durch deren Analyse es als ,,Blackbox“ erscheint, in der die Agency verschiedener Akteur-Netzwerke sich vereinigt, ohne dass dies von außen klar erkennbar wird. Jan-Tage Kühling verweist in seinen Auseinandersetzungen mit Diderots Paradox über den Schauspieler auf die Anschlussfähigkeit der ANT an andere aktuelle, relational orientierte Theoriefelder, so etwa die Affect Studies, und gewinnt damit eine spezifische Perspektive auf die Möglichkeit, ästhetische Phänomene als Netzwerk-Phänomene wahrzunehmen. Und Lore Knapp verdeutlicht an dem vielleicht etwas entlegen anmutenden Beispiel der historischen Hume-Übersetzung von Johann Jakob Dusch, welche Konsequenzen eine forcierte Anwendung der ANT hat, die nach der Maxime Latours verfährt, ,,Akteure zu verfolgen, statt nach Ursachen zu suchen. Es geht darum, möglichst viele Ursachen – z. B. des Zustandekommens eines Textes – durch Akteure zu ersetzen und auf diese Weise das Netzwerk zu bestimmen“ (138). An ihrem abschließenden Versuch, hieraus 12 Konsequenzen für den Einsatz der ANT in der Literaturgeschichtsschreibung zu formulieren, zeigt sich gut das diese Beiträge insgesamt verbindende Moment, dass sie nicht ausschließlich die Ergebnisse ihrer konkreten materialbezogenen Forschung in den Fokus rücken, sondern an die Seite dieser spezifischen Erkenntnisse Überlegungen zur Anwendbarkeit der Theoriegrundlage in unterschiedlichen Bereichen der Literaturwissenschaft stellen. Das ist eine Vorgehensweise, die dafür sorgen kann, Anschlussfähigkeit in anderen Bereichen zu sichern, und die inspirierende Wirkung entfalten könnte beim Nachdenken darüber, wie sich Adaptionen der ANT in anderen literaturwissenschaftlichen Forschungsbereichen darstellen könnten. Dieser erste Teil des Bandes ist sehr erkenntnisreich und gelungen, glückt doch hier eine vielfältige Auseinandersetzung mit dem Theoriedesign der ANT, die auf unterschiedliche Anwendungsfälle ausgerichtet und daher sicherlich weiterführend und verdienstvoll ist. Es wird interessant sein zu verfolgen, wie sich die hier angerissenen Forschungsfelder der Beiträger*innen in folgenden Arbeiten fortsetzen werden.

Zwei weitere Teile schließen sich an, bei denen unterstrichen werden muss, dass sie von Netzwerk-Verständnissen ausgehen, die dann doch nur sehr entfernt etwas zu tun haben mit der im ersten Teil prominent in den Vordergrund gerückten Latour’schen Theoriebildung. Eine orchideenartige...

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