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Reviewed by:
  • Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen by Kurt Bauer
  • Eva Kuttenberg
Kurt Bauer, Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen. Wien: Böhlau, 2019. 217 S.

In den Gedenkjahren zu historischen Schlüsselmomenten der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts hat sich bei der Frage um Kontinuität oder Zäsur der Fokus vom Anschluss 1938 zum Jahr 1934 mit der Ausrufung des Ständestaates verlagert. Im selben Jahr kam es am 12. Februar zum bewaffneten Aufstand der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei gegen die Regierung Dollfuß. Die Fakten und Mythen der Februarkämpfe präsentiert der Historiker Kurt Bauer in einer Studie, deren Schwerpunkt eine detaillierte Erfassung der Todesopfer bildet, die jahrzehntelang von einigen Hundert bis zu einigen Tausend schwankte. Diese Diskrepanz hielt den Mythos vom Opfermut der Februarkämpfer gegen die Dollfuß-Regierung aufrecht, der wiederum den brutalen militärischen Einsatz rechtfertigen sollte. In akribischer Archivarbeit kann Bauer anhand von Totenprotokollen, Sterbeverzeichnissen diverser Pfarren, Polizeiakten sowie den Daten von Friedhöfen exakt 357 Opfer nachweisen. Das bereits 2014/2015 abgeschlossene Forschungsergebnis ist in verkürzter Form im Anhang wiedergegeben.

Die Todesumstände in dem 47-seitigen alphabetischen Verzeichnis der Opfer zeigen die Brutalität der nur wenige Tage dauernden Auseinandersetzungen. Menschen starben beispielsweise durch die Misshandlung in Polizeihaft, an den Folgen von einem Kopf-, Lungen-, Bauch- oder Oberschenkelschuss, verübten Selbstmord oder wurden nach ihrer Verurteilung durch das Standgericht hingerichtet. Tödliche Schüsse trafen Aufständische (Schutzbund), Regierungskräfte (Polizei, Gendarmerie, Bundesheer, Freiwilliges Schutzkorps) und zufällige Passanten vom Schulkind zum Pensionisten. Der häufige Gebrauch des Konjunktivs in den Kurzbiographien und die Designationen "unklare Zugehörigkeit" beziehungsweise "vermutlich" unterstreichen die Grenzen eines Totenregisters bei der Rekonstruktion parteipolitisch, ideologisch motivierter Konfrontationen. Davon abgesehen füllen Bauers Daten zu den Todesopfern definitiv eine Forschungslücke. Sie bestätigen erstens neuere Schätzungen renommierter Historiker, wie jene von Winfried Garscha mit 340 bis 380 Toten (72) und zweitens, dass mehr Kombattanten von der Regierungsseite als Aufständische, doch mit insgesamt 38%, in Wien sogar mit 50% an den Kampfh andlungen unbeteiligte Menschen starben. Die Zahlen bieten allerdings keine befriedigende Erklärungsmodelle, warum [End Page 138] Schutzbündler ihr Leben in einem aussichtslosen Kampf riskierten oder so viele Unbeteiligte ums Leben kamen. Vielmehr schaffen sie die Grundlage für eine über die Darstellung der Sachverhalte hinausgehende Analyse, die man in Bauers Studie ein wenig vermisst.

Ein Verdienst der nach verschiedenen Kriterien ausgewerteten Opferbilanzen ist zweifellos die Vermittlung eines Gesamtbildes der wichtigsten bewaffneten Auseinandersetzungen in den Bundesländern Wien, Oberösterreich (Linz, Steyr, Holzleithen) und der Steiermark (Graz, Bruck an der Mur). Aus der präzisen Aufschlüsselung regionaler Kampfzonen geht hervor, dass in Wien die Bezirke Floridsdorf, Ottakring, Meidling, Simmering und Döbling am stärksten betroffen waren. Das Umschlagbild von den Einschlaglöchern im Karl Marx Hof ist repräsentativ für die von der Artillerie unter Beschuss genommenen Wiener Gemeindebauten. In den Festungen der Sozialdemokratie entstand dadurch schwerer Sachschaden, doch er kostete nur wenigen Menschen das Leben (120). Interessant ist Bauers Vermerk zur "Gräuelpropaganda" in der internationalen Presse, die "85 tote Kinder im Ottakringer Sandleitenhof" meldete, wo es gar keinen Artilleriebeschuss gab, und von "40 bis 50 Leichen im Goethehof" in Kaisermühlen berichtete (122). In Zeiten der Fake News wäre eine umfassendere Auswertung der internationalen Berichterstattung sicher interessant. Der Beschuss von Wohnanlagen und die Hinrichtung von neun Aufständischen machten Dollfuß zum "Arbeitermörder" (120, 137).

Dem Literaturverzeichnis nach zu schließen, befasst sich Bauer seit seiner Dissertation mit der österreichischen Geschichte der frühen 1930-er Jahre. Daher ist es bedauerlich, dass er seine Studie nicht überzeugender im Kontext der bereits existierenden Fachliteratur zu den Februarkämpfen situiert. In der Vorgeschichte verweist er auf die Selbstverständlichkeit paramilitärischer Truppen im Österreich der Zwischenkriegszeit. Punktuell erklärt er die systematische Schwächung der Sozialdemokratie unter Bundeskanzler Dollfuß, die im Verbot des Republikanischen Schutzbundes am 31. März 1933 und dem Verbot des traditionellen Maiaufmarschs gipfelt. Der nächste Abschnittgibt einen Überblick über die bewaffneten Auseinandersetzungen, die im Linzer Hotel Schiffunter der Führung von Richard Bernaschek begannen, von wo sie sich rasch in weitere Industriestädte ausbreiteten. In dem Abschnitt "Besondere Fälle" geht es um verworrene...

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