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Reviewed by:
  • Grundthemen der Literaturwissenschaft: Lesen ed. by Alexander Honold and Rolf Parr, and: Lesen. Ein interdisziplinäres Handbuch ed. by Ursula Rautenberg and Ute Schneider
  • Sabine Gross
Grundthemen der Literaturwissenschaft: Lesen.
Herausgegeben von Alexander Honold und Rolf Parr. Berlin/Boston: De Gruyter, 2018. viii + 666 Seiten + 6 s/w Abbildungen. €159,95 / $183.99 gebunden oder eBook.
Lesen. Ein interdisziplinäres Handbuch.
Herausgegeben von Ursula Rautenberg und Ute Schneider. Berlin/Boston: De Gruyter, 2015. xiv + 907 Seiten + zahlreiche Abbildungen und Tabellen. €149,95 / $210.00 gebunden oder eBook, €39,95 / $45.99 broschiert.

Die in den letzten Jahrzehnten sich rasant ausbreitende Verfügung über neue Trägermedien und damit der Verlust der Selbstverständlichkeit des Lesens auf Papier hat [End Page 725] die Beziehungen zwischen Texten (sowie Textobjekten und -oberflächen) und Leser*innen nach mehreren Jahrhunderten weitgehend stabiler materieller Textproduktion tiefgreifend verändert und damit die Kulturtechnik ,,Lesen“ in ganz neuer Weise in den Blick gerückt. Die digitale Text(re)produktion und mediale Diversifizierung haben zu einer enormen Auffächerung von Lesepraktiken geführt. Die Auseinanderentwicklung von Druck und Text bildet den basso continuo beispielsweise in Roland Reuß’ streitbarem und detailgesättigtem Plädoyer für ästhetische und Nutzungs-Qualität – in erster Linie im Buch/Druckobjekt, aber auch in elektronisch zugänglichen Texten (Reuß, Die perfekte Lesemaschine. Zur Ergonomie des Buches, Göttingen 2014). Ein guter Zeitpunkt also, um sich nach orientierenden Gesamtdarstellungen zum Thema ,,Lesen“ umzusehen. Die beiden hier vorgestellten vorzüglichen Handbücher sind so fundiert wie fundierend in dem gebotenen Wissen. Vieles haben sie gemeinsam: Beide sind konsequent interdisziplinär angelegt, sind in vier Hauptabschnitten mit zahlreichen Kapiteln und Unterkapiteln sinnvoll organisiert, mit Beiträgen von jeweils um die dreißig Fachwissenschaftler*innen, darunter in beiden Bänden zahlreiche renommierte und einschlägig ausgewiesene Expert*innen. Den Verzeichnissen der Beiträger*innen kann man entnehmen, dass diese für Grundthemen ganz überwiegend aus der Literaturwissenschaft (Germanistik sowie andere westliche Philologien) kommen, mit einzelnen Beiträger*innen aus den Bereichen der Didaktik/Pädagogik sowie Medien/Kulturwissenschaft. Das Handbuch hat Autor*innen vorwiegend aus der Buchwissenschaft rekrutiert, neben einigen Literaturwissenschaftler*innen zusätzlich aus den Bereichen Recht, Psychologie, Typografie und Design sowie gleichfalls Medienforschung.

Das durch ein Grußwort der Stiftung Lesen eröffnete Handbuch ist eine grundlegende Neukonzeption des 1999 (München: K.G. Saur) erschienenen, im Auftrag der Stiftung von Bodo Franzmann et al. herausgegebenen Bandes Handbuch Lesen, der – auch wenn sich seitdem die Medienlandschaft erheblich gewandelt hat – keineswegs überholt ist (siehe beispielsweise dort Erich Schöns ,,Geschichte des Lesens“, Dietrich Löfflers ,,Literarische Zensur“, Jutta Assel und Georg Jägers ,,Ikonographie des Lesens“ sowie Beiträge zur Geschichte von Buchhandel und Bibliotheken).

Wie lässt sich die literaturwissenschaftliche Perspektive auf die Kulturtechnik des Lesens charakterisieren? Zum Beispiel durch die Überzeugung der Grundthemen-Herausgeber Honold und Parr, ,,dass sich die individuelle Lektüre jeweils ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Pfad durch einen Text bahnt.“ (16) Wer allerdings in einem Band mit dem Titel Grundthemen der Literaturwissenschaft eine rein ästhetisch-interpretative Zugangsweise erwartet, wird sich enttäuscht sehen. ,,Akte des Schreibens und Lesens“, so eine der prägnanten Definitionen, die die Herausgeber in einer konzisen und beeindruckend informativen, dabei eingängig lesbaren Einleitung (3–26) bieten, ,,beschwören ohne Primäranlass affektive Zustände herauf und bringen Menschen dazu, bestimmte Dinge zu tun oder zu unterlassen. Mittels der extrem elastischen und subtilen Verbindung von Schreiben und Lesen können auf abstraktem Wege und über erhebliche Distanzen hinweg Druck und Macht ausgeübt sowie Kontrollmechanismen implementiert und durchgesetzt werden.“ (6) Gegenläufig hierzu, ergänzen die Herausgeber, ,,erwuchsen bald auch verschiedenste Formen des ambivalenten und widerständigen Zeichengebrauchs, des bewussten oder unwillkürlichen Fehllesens etwa oder der subtilen ironischen Verfremdung, die aus den Unbestimmtheitszonen von Schrift, Lesen und Sinnbildung Kapital schlug.“ (7) [End Page 726]

Grundthemen fasst in einem kurzen, aber zentralen Kapitel die ,,Umbruchsituation der Literaturwissenschaft“ (123) in den 1960er und 1970er Jahren zusammen, in der in einer entscheidenden Umwendung und im Rahmen unterschiedlicher, aber ähnlich ausgerichteter Theorien sich das Interesse vom Text und Autor in Richtung auf den – damals noch mit ungebrochener Sicherheit ebenso wie der Autor männlich konzipierten – Leser verschob (das...

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