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  • Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung ed. by Lorenz Aggermann, Georg Döcker und Gerald Siegmund
  • Julia Schade (bio)
Lorenz Aggermann, Georg Döcker und Gerald Siegmund (Hg.), Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung (Reihe: theaomai. Studien zu den performativen Künsten 9), Frankfurt am Main Peter Lang 2017, 276 Seiten.

Hat die Theaterwissenschaft eine gemeinsame Methodik? Undwieließe sich das, „was gemeinhin als Theater behauptet und erfahren wird, theoretisieren" (S. 7)? Eine Frage, deren Diskussion heute umso dringlicher wird: Angesichts einer sukzessiven Neoliberalisierung der Hochschulen und einer immer stärker waltenden Konkurrenz der einzelnen Disziplinen um Fördertöpfe und Drittmittel, gerät auch die Theaterwissenschaft zunehmend in Legitimationszwang, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse und ihre Methodik zu verteidigen. Mit Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung ist nun ein Sammelband erschienen, der eben jene Fragen nach den Voraussetzungen des Faches sowie nach den Normen, Regeln und Ordnungen seines Gegenstandes vor dem Hintergrund des Dispositiv-Modells verhandelt. Die Publikation ist hervorgegangen aus dem DFG Forschungsprojekt Theater als Dispositivam Institut für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und schließt dabei an einige vorangegangene Veröffentlichungen zum Begriff des Dispositivs an, wie diejenigen von André Eiermann, Ulrike Haß, Rudolf Münz und Birgit Wiens an.

Sich im Rahmen dieses Feldes auf das maß-geblich auf Foucault und seine Epistemologie zurückgehende Modell des Dispositivs zu beziehen, erlaubt in der theoretischen Arbeit die Analyse von Theater als einer epistemischen Ordnung. Dies heißt vor allem, Theater als ein historisches Phänomen zu verstehen und unter epistemischen Prämissen nach den Bedingungen seiner Verfasstheit, seines Wissens und seinen unterschiedlichen Ausformungen zu fragen. Eine umfassende und detaillierte Einführung in das Thema und in die wissenschaftliche Verortung des Bandes bietet zu Beginn Lorenz Aggermanns Aufsatz „Die Ordnung der darstellenden Kunst und ihre Materialisationen". Die Problematik [End Page 217] rein aufführungstheoretischer Ansätze, wie sie maßgeblich durch Erika Fischer-Lichte bestimmt worden sind, und solcher einer neuen Phänomenologie des Theaters (Roselt) sieht er unter anderem darin begründet, dass sie sich als Theorie und Methode „über und vor allem vor die Erfahrung von Kunst" stellten, „um ein abstraktes Forschungsobjekt sowie wissenschaftliche Plausibilität und Objektivität zu gewinnen" (S. 9). Oft werde gerade im Falle einer „Fokussierung auf ein methodisches Zentrum" der Aufführung „nur das erkannt und ausgewiesen, was der begriffliche Apparat und die damit einhergehende Methode zulässt" (S. 9). Das Novum des Ansatzes, Theater als Dispositiv zu betrachten, sieht Aggermann dagegen vor allem darin, die Materialisierung in einer Aufführung und die Herausbildung historischer und gegenwärtiger Formate „weit differenzierter als bislang im Wechselspiel historischer, gesellschaftlicher, institutioneller und ästhetischer Bedingungen" untersuchen zu können" (S. 22). Das methodische Fundament dieses Ansatzes besteht demzufolge darin, Theater weiter gefasst „in all seinen Dimensionen der institutionellen Verankerung und Arbeitsweisen, der Produktions- wie Rezeptionsverhältnisse, der gesellschaftlichen Diskurse und ihrer materielltechnischen Praktiken" (S. 22) zu betrachten.

Demgegenüber überrascht es, dass gleich der nächste Beitrag Dirk Baeckers mit dem Titel „Die Performance in ihrem Element" genau diese Fragen nicht verhandelt, sondern aus soziologischer Perspektive das Dispositiv Theater vielmehr als etwas verstanden wissen will, das hauptsächlich durch ein nahezu geschlossenes System der Selbstreferenz funktioniert. Kunst unterscheide sich von „anderer Kommunikation dann nur insofern, als sie noch diese Selbstreferenz zur Darstellung bringt, zum Erlebnis beobachtbarer Beobachtungen werden lässt" (S. 36). Performances definiert Baecker als „Dis-positive der Selbstreferenz in einem ausgezeichneten Sinne", in denen es keine heterogenen Elemente, sondern „nur noch Unterschiede" gebe (S. 37). Es bleibt zu fragen, ob dieser stark formalisierte Ansatz, der Theater lediglich als eine einem „Formenkalkül" unterliegende Unterscheidungsoperation – als „Kunst der Verwerfung" (S. 41) – betrachtet, nicht den Blick für das verliert, was das Dispositivmodell in dem von Aggermann beschriebenen Sinne ausmacht, nämlich für die historischen und epistemischen Bedingungen, die diese Unterscheidungen erst möglich machen – aber auch für das, was sich einer Differenzierung entzieht oder eben als Dysfunktionales zurück bleibt. So erscheint es für die Diskussion wesentlich produktiver, den Fokus weniger auf Formalisierungskriterien...

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