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  • Sich einfügen, sich ausfügen. Überlegungen zum Begriff des Stils am Beispiel von ZOO von aktör&vänner und von Xavier Le Roys Product of Other Circumstances
  • Philipp Schulte (bio)

I. Kümmere Dich um mich! – ZOO von aktör&vänner

Zwölf Personen, eigenartig uniformiert, „Schutzanzug“ hatte der Performer mit dem Klemmbrett es genannt, sitzen in einer Art Warteraum in einem Gebäude in der Masthuggsterrasse in Göteborg, und warten, bis sie einzeln aufgerufen werden. Sie sind allesamt Teilnehmer an der Performance ZOO des schwedischen Produktionskollektivs aktör&vänner (Regie: Johan Forsman und Johan Rödström). Überall liegen Informationsbroschüren herum. An den Wänden befinden sich Tafeln, die in fehlerhafter Schreibmaschinenschrift allerlei Wissenswertes aus der Welt der Insekten mitteilen. Ein weiterer Performer betritt den Raum. Er ruft den ersten Teilnehmer auf und bittet ihn an einen kleinen Schreibtisch, der die insgesamt bürokratische Atmosphäre des Raumes nur noch unterstützt. Hier liegt schon ein Schriftstück parat, ein Vertrag: Es handelt sich um eine Einverständniserklärung des Teilnehmers, der sich mit seiner Unterzeichnung bereit erklärt, der vorübergehenden Adoption und Inobhutnahme eines Insekts zuzustimmen. Nach getätigter Unterschrift wird der Teilnehmer gebeten, sich zu einem Ausgabefenster in der Wand zu begeben. Sein Name wird deutlich genannt, und er erhält endlich, worauf er die ganze Zeit gewartet hat: in einem etwa 30x20 cm großen, durchsichtigen Gefäß sein „Adoptionskind“, eine lebendige Kakerlake. Für die Dauer einer Stunde hat er der Adoption zugestimmt, eine Stunde hat er nun die Verantwortung für diese Kakerlake, die übrigens einen sehr kurzen und fremdartigen Namen trägt, so etwa Bög oder Träg oder auch Groch.

Zwanzig Minuten später. Die Teilnehmer sind inzwischen in einen weiteren Raum geleitet worden, der in krassem Gegensatz zu der Behördenästhetik des vorigen steht. Dafür erinnert er aber auf beunruhigende Weise aufgrund seines Maßstabs und seiner Form an das Gefäß, das jeder Teilnehmer in seinen Händen hält und in dem sich die kleinen, gar nicht so kleinen Kakerlaken noch immer tummeln. Es ist sehr warm und riecht nach Gewächshaus. Ein Außen lässt sich nur schwer ausmachen, obwohl es hinter den Wandfolien existiert. Es ist nicht ganz leicht, sich auf den Raum zu konzentrieren, denn etwas anderes erweckt gerade die Aufmerksamkeit. Jeder Teilnehmer trägt inzwischen einen Kopfhörer, dessen Kabel verbunden ist mit den kleinen Kakerlakengefäßen, eine Übersetzungsmaschine, wie es genannt wurde. Tatsächlich ist da neben vielem Glucksen und Rauschen und leisem Fauchen ein zartes Stimmchen zu hören, kindlich und hoch wie von einem winzigen Wesen, und es möchte gehört werden, es ruft, unendlich leise und doch hörbar: „Mutter“ oder „Vater“, und „Bist du das, da draußen?“

Eine Stimme, die via Kopfhörer erklingt und unweigerlich mit einer Kakerlake in Verbindung gebracht wird, ruft jeden Teilnehmer an und bestimmt ihn so als Mutter oder Vater. Es ist zu bezweifeln, dass Louis [End Page 97] Althusser genau diese Situation im Sinn hatte, als er vor bald vierzig Jahren sein Konzept der Anrufung beschrieben hat, in seinem marxistisch geprägten Text Ideologie und ideologische Staatsapparate1. Bei ihm ist es noch der beispielhafte Polizist, der durch ein schmetterndes „He, Sie da!“ ein Individuum in ein Subjekt verwandelt, es „rekrutiert“2. Eine gewisse Fatalität kennzeichnet Althussers Denken: Bei ihm gibt es kein Entrinnen vor der Ideologie. Alle unsere Praktiken werden, und zwar schon im Augenblick ihres Vollzuges, zu ideologischen, dadurch dass sie unabwendbar etwas wiederholen, was durch Staatsapparate, Institutionen überliefert wurde. Der Polizist als Vertreter einer Behörde ruft im Modell an, das Subjekt dreht sich anerkannt und sich dadurch auch selbst anerkennend und unterwerfend um. Dies sei „ein Phänomen, das nicht allein durch ein ‚Schuldgefühl‘ erklärt werden kann, trotz der Vielzahl der Leute, die ‚sich etwas vorzuwerfen haben‘.“3 Die zeitliche Abfolge dieses Vorgangs existiert nur im Modell, tatsächlich stellt sich Althusser dies in ständiger Simultanität vor: Individuen werden nicht erst zu Subjekten, sie sind es immer schon.

In ZOO von aktör&vänner sieht sich das Teilnehmersubjekt einer Vielzahl von Situationen ausgesetzt...

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