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  • “Das Theater glich einem Irrenhause.” Das Publikum im Theater des 18. und 19. Jahrhunderts (Hg.) by Hermann Korte u. Hans-Joachim Jakob
  • Meike Wagner
• Hermann Korte u. Hans-Joachim Jakob(Hg.). “Das Theater glich einem Irrenhause.” Das Publikum im Theater des 18. und 19. Jahrhunderts. Heidelberg: Winter, 2012, 311 Seiten.

In ihrem Sammelband fokussieren die beiden Literaturwissenschaftler Hermann Korte und Hans-Joachim Jakob auf die ihrer Aussage nach “weitgehend unbekannte Größe” der Zuschauerinnen und Zuschauer, um das Publikum als aktiven Mitgestalter der Kommunikation und des Erlebnisses ‘Theater’ stärker in den Blick zu bekommen und eröffnen damit die neue Reihe “Proszenium. Beiträge zur historischen Theaterpublikumsforschung”. Der Einbezug performativer und transitorischer Aspekte des Bühnengeschehens sprenge, so Korte und Jakob, die literaturwissenschaftlich tradierte Dramenanalyse und erfordere die Erschließung bisher wenig beachteter Quellen. Die Herausgeber formulieren hier das Desiderat einer literaturwissenschaftlichen Perspektive, die durch die umfassenden editorischen Vorarbeiten zu den Theaterpublikationen des 18. Jahrhunderts von Wolfgang Bender u. a.1 gut fundiert werden kann.

Mit seinem einleitenden Artikel “Historische Theaterpublikumsforschung” bietet Hermann Korte einen lesenswerten Überblick über den Forschungsstand und die wesentlichen Fragestellungen zur Situation des Publikums im Übergang zwischen Aufklärung und Moderne. Zum einen konstatiert er hier eine spezifische Rolle des Publikums, von dessen Geschmack und Reaktion die Theateraufführungen wesentlich abhingen, welche noch keine geschlossene Ensembleleistung vorweisen konnten, keine dramaturgische Textbehandlung und keine künstlerische Regiekonzeption, so Korte. Der häufig wechselnde Spielplan reagierte rasch auf die Zustimmung oder Ablehnung durch das Publikum, nicht selten waren diese Publikumsäußerungen laut und unvorhersehbar. Um 1800 nun muss man einen kulturelle Wahrnehmungsund Sehgewohnheitenwandel konstatieren, der wesentlich verbunden ist mit den künstlerischen, literarischen und institutionellen Transformationen der Theaterpraxis. Seit den 1770er Jahren reagierten Theaterzeitschriften zunehmend kritisch auf ein aktives und einsprechendes Publikum, der aufmerksame und stille Zuhörer/Zuschauer wurde diskursiv zum Ideal erhoben. Korte diskutiert hier wesentliche Texte aus den Theaterjournalen, die sich mit dieser Umdeutung des Zuschauers, des Zuschauens als disziplinierten Adressat eines ‘Bildungstheaters’ befassen und gibt einen umfassenden Einblick in die historische Situation.2 Damit gibt er dem Band eine grundsätzliche Perspektive, von der aus die weiteren Beiträge operieren. So etwa auch Peter Heßelmann, der mit seinem Beitrag “Der Ruf nach der ‘Polizey’ im Tempel der Kunst. Das Theaterpublikum des 18. Jahrhundert zwischen Andacht und Vergnügen” die Disziplinierung der Zuschauer weiter ausführt und exemplarisch fundiert.

Johannes Birgfeld spannt mit seinem Beitrag “Theater ohne Schauspiel? Theatre on location? Kotzebues Konzept dramatischer Spiele zur geselligen Unterhaltung auf dem Lande mit Blick auf sein Verhältnis zum Publikum” die kulturhistorische Perspektive von Theaterpraxis weiter auf und macht somit den wichtigen Schritt hin zur Frage der gesamtgesellschaftlichen Situation und der Funktion von Theater. Hier gewinnen wir ein spannendes ‘anderes’ Bild von August von Kotzebue, der mit quasi theaterpädagogischen Mitteln, nämlich der serienweisen Publikation von leicht nachzuspielenden Einaktern und Kurzdramen in seinem Almanach dramatischer Spiele (1803–1820), dem Unterhaltungsund Darstellungsbedürfnis der Bürger nachkommen wollte. Anschaulich stellt uns Birgfeld Kotzebue als einen Autor vor, der dem ‘Primat der Besserung des Publikums’ verpflichtet war und gleichzeitig mit seiner ‘Dramatik der kleinen Schritte’ das Theaterspielen beförderte und so die bürgerliche Theaterpraxis [End Page 235] als Theatererfahrung in einen Bildungsprozess einzubinden wusste. Mit Kotzebue wird bürgerliches Theaterspiel zur kulturrelevanten Praxis; diese spezifische Art von ‘Publikumspartizipation’ hatte Anteil an der Formung bürgerlicher Theaterformen.

Bastian Dewenter liefert mit seinem Beitrag “Das Publikum im Visier des Theaterpraktikers. E. T. A. Hoffmanns dramatischer Prolog Die Pilgerin” interessante Befunde zur theaterpraktischen Arbeit des romantischen Romanciers und liefert gleichzeitig eine aufschlussreiche Detailanalyse zur Aufführung von Hoffmanns dramatischem Text als exemplarische Rückkopplung zwischen der inhaltlichen Aktion, der identifikatorisch-emotionalen Rezeption durch die adeligen Adressaten des Prologs und der affirmativen Reaktion des Theaterpublikums. Anhand der Aufführung am Bamberger Hoftheater zeigt Dewentes die Spiegelung der Bühnenaktion durch das anwesende Herrscherhaus – die Herzogin umarmt im Moment der Versöhnungsszene des Stückes ihre Mutter in ihrer Theaterloge, das Publikum applaudiert stürmisch und bringt die Bühnendarstellerin und die herzoglichen Darsteller dazu, das gleiche Schauspiel – auf der Bühne und in der Loge – am nächsten Tag zu wiederholen.

Nikola Rosbach zeigt in...

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