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  • Die Shoah im Zeitalter der Globalisierung. Juan Mayorga und das spanische Erinnerungstheater
  • Wilfried Floeck (bio)

Shoah und Globalisierung

Die Erinnerung an die Shoah hat sich erst spät durchgesetzt. In den beiden ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte die Haltung des Vergessens und der Verdrängung. Das galt nicht nur aus leicht erklärlichen Gründen für die Täter, sondern auch für die überlebenden Opfer und für die große Masse der Mitläufer. Das ist keineswegs unnatürlich. Erst jüngst hat Christian Meier darauf hingewiesen, dass der Wunsch nach Vergessen schwerer Untaten in der Geschichte stets größer war als das Bedürfnis nach Erinnern.1 Die zeitlich begrenzte Verdrängung traumatischer Erlebnisse scheint geradezu die Voraussetzung für eine spätere Aufarbeitung und gelungene Vergangenheitsbewältigung zu sein. Für nicht unmittelbar als Täter und Opfer Betroffene ist der Akt des Erinnerns dagegen leichter. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich der spanische Bürgerkrieg schon seit den späten dreißiger Jahren nicht in Spanien selbst, aber sehr wohl in Europa und unter den Linksintellektuellen der westlichen Welt zu dem Erinnerungsereignis schlechthin entwickelte, das erst drei Jahrzehnte später durch die Erinnerung an die Shoah abgelöst wurde.2 Beide Erinnerungsorte stehen in enger Beziehung zueinander, nicht zuletzt weil der Spanische Bürgerkrieg als Vorläufer und Versuchsfeld des Zweiten Weltkriegs angesehen wird. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die Erinnerung an den Holocaust zunächst von den USA ausging, bis sie sich dann in den siebziger Jahren schließlich auch in Deutschland durchsetzte und sich damit die Vergangenheitsbewältigung zu einem der wichtigsten Gebote zumindest in der Bundesrepublik entwickelte.

Die Einzigartigkeit der Shoah drängte dabei zunächst alle anderen Erinnerungsorte in den Hintergrund und ließ Deutschland in den 1970er und 1980er Jahren zu einem privilegierten und zugleich exemplarischen Ort der Vergangenheitsbewältigung und der kollektiven Erinnerungskultur werden. Im Zeitalter der Globalisierung lässt sich seit den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Universalisierung der Erinnerung an den Holocaust beobachten, wobei diese sich nicht nur auf den außerdeutschen Raum ausdehnt, sondern zugleich mehr und mehr in Bezug zu anderen Bereichen mit ähnlichen Erfahrungen in Bezug gesetzt wird. “Im Zeitalter der Globalisierung”, schreiben Daniel Levy und Natan Sznaider, “kann kollektive Erinnerung nicht mehr auf einen territorial oder national fixierten Ansatz reduziert werden.”3 Die Verweise auf Stalinismus, Vietnam, Kambodscha, den Irakoder Kosovokrieg, ethnische Säuberung und Vernichtung auf dem Balkan oder in Afrika ebenso wie die Konquista und in deren Gefolge die Kolonialismusund Imperialismuserfahrung mit all ihren schlimmen Folgen in der “Dritten Welt” müssen dabei die Einzigartigkeit der Shoah nicht unbedingt in Frage stellen. Die Erinnerung an den Holocaust behält auch in dieser Entwicklung ihre Sonderstellung. “Die Grundlagen für ein kosmopolitisches Gedächtnis in Europa entwickelten sich [ja gerade] aus der andauernden Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung” (ebda.).4 Jedenfalls scheint sich im Zuge der Globalisierung eine wachsende nationale Entgrenzung [End Page 53] des Identitätsund Erinnerungsbegriffs durchzusetzen, wobei sich Universalismus und Partikularismus nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Sinne von Roland Robertsons “Glokalisierung” eine dialektische Beziehung eingehen.

In den 1990er Jahren greift die Universalisierung der Holocaustthematik auch auf Spanien über, dessen kollektive Erinnerungskultur infolge der langen Francodiktatur und der Versöhnungsstrategie der Jahre des Übergangs erst spät einsetzte. Im Prinzip erlebte die spanische Erinnerungskultur eine ähnliche Entwicklung wie die deutsche: Auf ein Jahrzehnt des Vergessens und Beschweigens folgte seit den späten 1980er Jahren eine intensive Verarbeitung der traumatischen Jahre des Bürgerkriegs und des Francoregimes und seit Ende des vergangenen Jahrhunderts auch eine Auseinandersetzung mit der Holocaustthematik, zunächst in Poesie und Roman.5 Die erste Auseinandersetzung im Theater erfolgte durch Juan Mayorga, dessen beide Holocaustdramen im Zentrum dieses Beitrags stehen.6

Juan Mayorga und das spanische Gegenwartstheater

Im spanischen Gegenwartstheater lassen sich grundsätzlich zwei unterschiedliche Tendenzen erkennen, die allerdings nicht in jedem Fall klar voneinander abzugrenzen sind: auf der einen Seite ein literarisches Textund Autorentheater, in dessen Zentrum die sprachliche Vermittlung einer dramatischen Geschichte und einer subjektiven oder kollektiven Erfahrung steht, und auf der anderen Seite ein Bildtheater, in dem die nicht sprachlichen Zeichen im Vordergrund des theatralen Spektakels stehen. Der 1965...

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