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  • Hamlet als Beispiel Anmerkungen zu Derridas Marx-Lektüre
  • Volker Kaiser (bio)

Vergessenheit, the negativity that is the trace of the Other is also the agent of its phantasmatic transformation.

Rainer Nägele, “Beyond Psychology “1

The ghost of Hamlet’s father is here and everywhere.But he is never there, where Hamlet stands and speaks.As soon as Hamlet moves, the ghost of his father,like his shadow, moves also and speaks from somewhere else.But he speaks for Hamlet, in his place.Hamlet speaks there, where he is not.Rainer Nägele, “The Provocation of Jacques Lacan”2

Überraschenderweise eröffnet Jacques Derrida Marx’ Gespenster. Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale, genauer: das erste Kapitel des Buches—“Marx’ Verfügungen“–, mit folgender Passage aus dem 1. Aufzug der 5. Szene des Hamlet, der er die Überschrift „Legende“ voranstellt: [End Page 574]

Hamlet […] Swear.Ghost (Beneath). Swear.Hamlet. Rest, rest, perturbed spirit! So, gentlemen.With all my love I do commend me to you:And what so poor a man as Hamlet isMay do, to express his love and friending to you,God willing, shall not lack. Let us go in together;And still your fingers on your lips, I pray.The time is out of joint; O cursed spite,That ever I was born to set it right!Nay come, let’s go together.

(Exeunt)3

Das Zitat folgt dem berühmten, von Hamlet selbst artikulierten Satz, den das obige Zitat bereits enthält, das Derrida ihm aber dennoch, es damit verdoppelnd, voranstellt: “The time is out of joint.” Auf die Vielfalt aller möglichen Übersetzungen und Lesarten dieses Satzes, der konstatiert, dass die Zeit selbst aus den Fugen geraten sei, ebenso wie die Zeiten, zu und in denen Shakespeare und Marx schreiben, wobei sie in ihrem Schreiben dieses selbst auf die Gespenster beziehen, die, das Schreiben heimsuchend, erst von ihm hervorgerufen werden—auf die Vielfalt der Übersetzungen dieses Satzes wird Derrida später noch zu sprechen kommen.

Einstweilen ist zu vermerken, dass die Vielfalt der Gespenster, die aus den Fugen tretende bzw. geratene Zeit und Derridas Schreiben anfänglich in eine Konfiguration treten, die Aussagen über den Grund des Politischen im allgemeinen und den Marxismus im besonderen—über seinen Geist und seine Gespenster—zu machen sucht. Und das Verhältnis des Geistes zu den und zu seinen Gespenstern, zu seiner gespenstischen Erscheinungsweise, mit der alles anfängt, bei Shakespeare wie bei Marx, lässt für Derrida die Konfrontation von Hamlet mit dem unkalkulierbar wiederkehrenden Geist seines toten Vaters zum Paradigma eines erst in seiner Iterabilität sich bekundenden Anfangs des Politischen werden, zumal es sich um eine Wiederkehr als einem “erstmaligen Erscheinen im Stück” (Gespenster 17) handele. Dies tangiert auch die Kritik des Politischen bei Marx, exakter die Eröffnung des Kommunistischen Manifests:

Auftakt oder incipit: Dieses erste Substantiv eröffnet also die erste Szene des ersten Aktes: ‘Ein Gespenst geht um in Europa—das Gespenst des [End Page 575] Kommunismus.’ Wie bei Hamlet, dem Prinzen eines verfaulten Staates, beginnt alles mit dem Erscheinen des Geistes. Genauer: mit dem Warten auf dieses Erscheinen. Die Antizipation ist gleichzeitig ungeduldig, angstvoll und fasziniert: Es, das Ding (this thing) wird schließlich auftauchen. Der Wiedergänger wird kommen. Er kann nicht ausbleiben. Wie er auf sich warten läßt! Genauer noch: alles öffnet sich im unmittelbaren Bevorstehen eines Wieder-Erscheinens, freilich als des Wiedererscheinens des Gespenstes als erstmaligem Erscheinen im Stück. Der Geist des Vaters wird wiederkommen und Hamlet bald sagen ‘I am thy Fathers Spirit’ […], aber hier, zu Beginn des Stückes, kommt er zum ersten Mal wieder, wenn ich so sagen darf. Es ist eine Premiere, das erste Mal auf der Bühne.”

(Gespenster 16f.)

An diesen Gedanken der Struktur der Iterabilität, der erstmaligen Wiederkehr am und des Anfangs (des Politischen, von Europa—Derrida erinnert sich daran, dass er den ersten Satz, den Anfang des kommunistischen Manifestes, “Ein Gespenst geht um in Europa …”, erst nachträglich in seinen Text einfügte, da er ihn vergessen hatte) knüpft Derrida eine erste Vermutung, nämlich die, dass die stets unzeitige Heimsuchung des Politischen durch das von ihm Ausgeschlossene als Symptom...

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