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Ein Interview: Barbara Frischmuth DAGMAR C. G. LORENZ DL Wie bist du dazu gekommen zu schreiben? BF Ich bin schon als Kind dazu gekommen. Wie, weiss ich nicht. Ich habe schreiben wollen und auch schon als Kind geschrieben. Ich hatte das immer im Kopf und habe mein ganzes Studium als flankierende Massnahme betrachtet und gedacht, na ja, Sprache ist das nächste. Es schadet auch nicht, Fremdsprachen zu lernen. Was sich als sehr wichtig herausgestellt hat, grammatikalisch anders strukturierte, agglutinierende Sprachen, weil man von daher einen anderen Blick wieder auf die eigene Sprache bekommt. Es war immer eigentlich dieser Wunsch. DL Als ich in Boston, auf Thompson Island während der Women in German Conference über dein Werk sprach, sagtest du hinterher, es überrasche dich jedesmal, wie radikal Kritiker dein Werk interpretieren, von der Perspektive der Frauenbewegung und des Feminismus her. Wie stehst du zur engagierten Literatur — zur Frauenbewegung oder anderen politischen Richtungen? Geht in deine Bücher bewusst ein bestimmter Standpunkt ein? BF Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass man die Literatur nicht derart mit Forderungen überlasten darf, dass sie das oder jenes zu sein habe. Ich glaube, das sind Dinge, die nur bei einzelnen Autoren klappen können. Das beste Beispiel dafür ist Brecht. Sein Modell ist schon kaum mehr auf einen zweiten Autor zu übertragen, und schon gar nicht als Forderung auf die Literatur schlechtin. Und so ist es auch mit dem Feminismus, glaube ich. Sicher macht sich jede von uns Gedanken darüber, jeder weibliche Autor, die eine lässt es mehr zu, die andere weniger. Es kann im Einzelfall natürlich glücken, dass man feministisches Engagement und die eigene Literatur so verbindet, dass die Literatur Literatur bleibt, also kein Propagandamittel wird -- und das wäre für mich 23 eine reine Degradierung, weil ich sage, es bedarf nicht der Literatur, programmatische Forderungen zu stellen. Trotzdem kann eine Verbindung zwischen diesem Engagement und der Literatur stattfinden, und zwar so, dass eins das andere nicht umbringt und es insgesamt im Sinne von Kreativität, im Sinne von Kunst, auch gültig ist. Alles andere würde ich in Hinblick auf die Literatur ablehnen. Als Privatperson sehe ich mich schon engagiert in dem Sinne, das Frausein lebbar zu machen. Da gibt es unendlich viel zu tun. Nur ist mir jede Art von Fanatismus, von Ideologisierung und von Aggression fremd. Solche Verhaltensweisen möchte ich nicht übernehmen, solange ich persönlich nicht wirklich in die Enge getrieben bin. Ich akzeptiere jederzeit, dass man durch eine gewisse Art von persönlichem Schicksal auch ein gewisses Anrecht darauf bekommt, schärfer zu reagieren. Solange das nicht der Fall ist, bin ich nicht bereit, Aggression zu übernehmen und sie wiederum so zu spielen, wie das halt bei politischen Gruppierungen meist der Fall ist. DL Was mich natürlich zu der Frage bringt, für wen du eigentlich schreibst. Wie stellst du dir dein Publikum vor? Richtest du deine Werke an eine bestimmte Zielgruppe oder schreibst du zunächst für dich selbst? Wie siehst du dich im Verhältnis zu der öffentlichkeit? BF Das ist eine der Fragen, die sehr schwierig zu beantworten sind. Ich habe das Gefühl, dass ich beim Schreiben an kein Publikum denke, weil dieses Publikum ja genauso fiktiv wäre, wie — ich weiss nicht. Ich kenne ja dieses Publikum nicht, es ist mehr oder weniger anonym. Ich könnte an einzelne Personen, die ich gut kenne, meine Literatur richten und das will ich nicht. DL Bekommst du Leserbriefe? BF Ich bekomme sehr viele Leserbriefe. Sicher, wenn ich ein Werk beendet habe, ist es mir natürlich wichtig, es unter die Leute zu bringen. Und da bin ich auch bereit, einiges zu tun, indem ich öffentlich lese und mich wirklich den Fragen und Diskussionen stelle. Beim Schreiben selber, habe ich das Gefühl, ist man absolut in Einzelhaft. Und man ist sein erster Leser, sein erster Kritiker. In dieser Personalunion entsteht auch die endgültige Form. Natürlich gibt es dann noch 24 ζ. B. einen Lektor oder irgendjemanden, der den Text liest, bevor er gedruckt wird, und seine Meinung dazu sagt — und die nimmt man auch ernst. Aber im Grunde hat das nicht so grossen Einfluss...

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