In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

KARIN WURST Spurensicherung: Elise Bürgers Einakter Die antike Statue aus Florenz (1814) als Beispiel dramatischer Experimente an der Jahrhundertwende Es gehört inzwischen zu den Gemeinplätzen der Literaturwissenschaft , daß die reale Kulturlandschaft, in diesem FaU die Literatur - und Theaterlandschaft des späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts, keineswegs unserem durch die Uteraturgeschichte tradierten BÜd entspricht. Die Diskussionen um die komplizierte Verflechtung von Rezeption und Uterarischer Wertung und die immer noch umstrittenen Fragen zu den Mechanismen der KanonbÜdung und kulturellen Valorisierung haben die VorsteUung von Literaturgeschichte entscheidend problematisiert. Dies führte unter anderem zu einer Erweiterung der Textbasis. Unbekannte Texte, die bisher nicht ins Uterarische Bewußtsein gedrungen waren, werden durch Neuauflagen wieder aügemein zugäng- üch gemacht. Der vorUegende Neudruck der Antikefn] Statue aus Florenz von EUse Bürger soü zunächst das Interesse am Text selbst wecken. Er wül damit einen direkten Bück auf das "andere" achtzehnte Jahrhundert erm ögUchen. Eine kurze biographische Einleitung1 soU der KontextuaUsierung dienen. Zur Biographie Obwohl Marie Christiane Eüsabeth Bürger geb. Hahn genannt EUse (1769-1833) kaum zwei Jahre verheiratet war und den weitaus größten TeU ihres Lebens als aUeinstehende Schauspielerin, Deklamatrice und SchriftsteUerin tätig war, maß und mißt die Literaturgeschichte sie vorwiegend mit der EUe der FamÜienideologie. Ihr Beruf und ihre Arbeit finden nur am Rande Erwähnung.2 In Bürgers Biographie zeichnen sich die verhängnisvoüen Irrtümer des bürgerüchen Kulturentwurfs mit seinem scheinbar geschlechtsneutralen Anspruch ab. Die immensen Veränderungen in den Lebenszusammenhängen im achtzehnten Jahrhundert wurden in den (kultureUen) Diskursen der Männer sowohl mit produziert als auch interpretiert. Frauen nahmen Goethe Yearbook 211 verstärkt AnteU an den kultureUen Diskursen, vor aüem am Uterarischen, sind jedoch durch ihre rechtüche und poütische Unmündigkeit nicht an der struktureüen Produktion beteüigt. Für Frauen dieser Zeit bedeutete dies u.a., daß durch die neuen BÜdungsvorsteüungen und das reiche Leseangebot Wünsche und Erwartungen geweckt werden, für die es für Frauen kaum soziale VerwftküchungsmögUchkeiten gab. EUse Hahn ist am 19111769 fti Stuttgart geboren. Ihr Vater, ein Expeditionsrat , verstarb früh, und die Mutter lebte von ihren Renten. Ihre Zeitgenossin Thérèse Heyne Forster Huber berichtete, daß EUse Hahn in der "größten Beschränkung der Begriffe und Gewohnheiten" erzogen worden sei.3 Die Lektüre von Bürgers Gedichten habe ihre Begeisterung für Literatur geweckt. In geseUiger Runde verfaßte sie das berühmt-berüchtigte Gedicht "An den Dichter Bürger" als poetische Liebeserklärung. Das sich in Bürgers Gedichten äußernde Liebesverständnis als Leidenschaft faszinierte sie, Ueß wohl Wünsche aufkommen, die sich weniger auf die Person Bürgers , als auf das durch ihn und seine Literatur repräsentierte Ideal einer kultureU und erotisch stimuUerenden Debesehe beziehen. Sie interpretierte seine Texte wohl irrtümücherweise als Indiz seines realen Lebensentwurfs . Dieses Huldigungsgedicht, das in der von TheophÜ Ehrmann herausgegebenen Wochenschrift Der Beobachter vom 8.9-17894 erschien, kam Bürger in die Hände und er begann, sich nach der geheimnisvoUen Schwäbin zu erkundigen. Bürger ging darauf einen Briefwechsel mit Hahn ein.5 Hahns Faszination an dieser abenteuerüch-romanhaften Liebesgeschichte , in der sie ihre eigene Person im Zentrum sieht, nahm zu, und 1790 heirateten sie. Wft befinden uns an der SchweUe von empfindsamer zu romantischer Debe.6 Mit Schweüenerfahrungen und neuen Kommunikations - und Umgangsformen ist auch immer ein Moment des Orientierungsverlusts und der Unsicherheit verbunden. Der ungewohnte Grad der Intimität erfordert neue Kommunikationsmodeüe. Diese Mischung von neuen RoUenerwartungen als tugendhafte Ehe- und Hausfrau und sinnüche GeUebte im Ideal der Uebesehe im bürgerüchen AUtag in der Universit ätsstadt Göttingen soüte auch in der Bürgerschen Ehe bald zu Konflikten führen. Der sich abzeichnende DesiUusionierungsprozeß7 macht jedoch ebenfaUs klar, wie sehr dieses ideale Konstrukt zu Lasten der bürgerüchen Frau geht; sie soU gefühlvoUe, sinnüche GeUebte, geistreiche und gebüdete Freundin bleiben und gleichzeitig eine tüchtige züchtige Hausfrau werden. Das psychologisch widersprüchüche Ideal der romantischen Debesehe verlangt die...

pdf

Share