Schon einer der ersten Interpreten, Karl Ernst Schubarth, bezeichnete 1820 die Wette zwischen Faust und Mephistopheles als den dramatischen "Knoten."1 Hermann August Korff vertrat diese Auffassung noch nachdrücklicher, als er im ersten Band seines monumentalen Werks Der Geist der Goethezeit von 1923 die Wette als einen "unvergleichlich genialen dramatischen Knoten" pries.2 Noch heute haftet der Wette der Ruf des Genialen an.3 Sie gilt als das "dramaturgische Herzstück."4 Über die Bedeutung (Wichtigkeit) der Wette scheint also seit langem Einigkeit zu herrschen. Anders verhält es sich mit ihrer Bedeutung (Sinn): Noch immer scheint unklar zu sein, was die Wette im Faust bedeutet und wie sie mit den übrigen Teilen des Dramas zusammenhängt.5 Etwas zynisch ist über diesen Zwiespalt bemerkt worden: "Die Goetheforschung ist sich einig über die große Bedeutung der Wette im Faust, weiß aber kaum anzugeben, worin sie bestehen soll."6 Hans-Jürgen Schings hat resigniert von einem "Grübeln über Pakt und Wette" ge sprochen (einem ergebnislosen Denken also), das anstelle einer Lösung "viele Schwierigkeiten" hervorgebracht habe.7

In seinem hilfreichen Kommentar scheint Albrecht Schöne sich damit anzufreunden, dass die Wette mehrdeutig und widersprüchlich sei. Ihm zufolge ermöglichen die daraus entstehenden "Undeutlichkeiten" erst, dass trotz gegensätzlicher Absichten ein Vertrag zustande komme.8 Anders als die bloße Undeutlichkeit setzt Mehrdeutigkeit jedoch mehrere distinkte Bedeutungen voraus. Es gilt, diese zu benennen und zu prüfen, ob eine davon bei genauerem Hinsehen den Vorzug verdient. Die Widersprüche müssen zutage gebracht werden, damit über ihre Auflösbarkeit entschieden werden kann. Auf einer solchen Grundlage werden wir womöglich zumindest verstehen, worin das Verständnisproblem besteht und woher es rührt. Die Art, wie Alexander Rudolph Hohlfeld (Madison, Wisconsin) 1921 an das Thema heranging, scheint mir immer noch vielversprechend: Er zerlegte die große Frage nach der Wette in klar formulierte Einzelfragen, die er Schritt für Schritt beantwortete.9

Gemäß diesem Ansatz möchte ich noch kleinschrittiger vorgehen. Insbesondere im ersten Abschnitt entferne ich mich dabei ziemlich weit von der Art und Weise, in der literarische Texte für gewöhnlich und zu Recht re zipiert werden. Aus zwei Gründen halte ich dies für unumgänglich. Erstens: Obwohl Goethe den geplanten "Disputationsactus" nicht ausführte, wird sowohl in der ersten als auch in der zweiten "Studirzimmer"-Szene, in welcher die Wette zustande kommt, intensiv disputiert.10 Schon die Lektüre und [End Page 31] erst recht die Interpretation beider Szenen ist daher mit erheblichem gedanklichen Aufwand verbunden. Zweitens kommt die allgemeine Ratlosigkeit ja nicht von ungefähr. Es ist nun einmal schwer, etwas Präzises, Konsistentes und Zutreffendes über die Wette zu sagen. Wie ich in den Endnoten dokumentiere, gehen die Meinungen an praktisch allen wichtigen Punkten auseinander. "Vieles wäre einfacher zu erklären gewesen in der langen Debatte über die Frage, wie die 'Wette' … zu verstehen ist," glaubt Hucke im Nachhinein, wenn die von ihm aufgeworfene Frage früher gestellt worden wäre.11 Wenn man den von ihm beschriebenen Aspekt wahrnehme, meint Schings, "dann erledigen sich viele Schwierigkeiten."12 Offen bleibt jedoch, was einfa cher gewesen wäre und welche Schwierigkeiten sich erledigen, mit anderen Worten: ob die Verheißung auch wirklich eintritt. Wir müssen also nach wie vor "in Worten kramen" (385).13

Zunächst möchte ich das Thema eingrenzen. Aus Gründen, die ich noch erläutern werde, verstehe ich unter "der Wette" nur den Dialog zwischen Faust und Mephistopheles in der zweiten "Studirzimmer"-Szene (1692– 706). Es geht also darum, was die jeweilige Figurenrede bedeutet. Viele Figurenreden können als Äußerungen aufgefasst werden, die sich auf die fiktive Welt des Dramas beziehen und bloß etwas über sie aussagen, demgemäß wahr oder falsch sein können. Für Fausts "Die Wette biet' ich!" (1698) gilt das nicht; man kann nicht sinnvoll sagen, das sei wahr oder falsch. Faust vollzieht einen anders gearteten illokutionären Akt. (Besser bekannt ist der illokutionäre Akt, den John R. Searle im Anschluss an John L. Austin analysierte, unter der Bezeichnung des Sprechakts im engeren Sinne.)14 Die Frage nach der Bedeutung (dem Sinn) der Wette zielt also unmittelbar darauf, was die Figuren tun, warum sie es tun und welche Folgen dies für den Fortgang der Geschehnisse hat.

Diese Fragen zu stellen, ist keineswegs selbstverständlich. Es wird dabei nämlich vorausgesetzt, dass Faust und Mephistopheles jeweils eine Art von Person darstellen, die aus zuvor festgelegten Beweggründen handelt und deren Handlung wiederum die weitere Entwicklung bedingt. Mit anderen Worten: Innerhalb der Handlung des Dramas existiert Kausalität.15 Stattdessen könnten wir die Figurenreden jedoch auch als selbständige Gebilde und das Drama insgesamt als eine poetische Kollage betrachten, ohne nach einem kausalen Zusammenhang der einzelnen Handlungen zu fragen. Im Fall der Wette könnten wir eine solche Betrachtungsweise mit der Entstehungsgeschichte des Textes rechtfertigen.16 Zusammen mit dem "Prolog im Himmel" gehört die Wette zu den Teilen von Faust I, die zuletzt entstanden. Im Fragment von 1790 klaffte noch eine "große Lücke" zwischen dem Gespräch mit Wagner, das auf die "Erdgeist-Szene" folgt (bis 605), und dem Gespräch mit Mephistopheles, das die Weltfahrt einleitet (ab 1770).17

Bestimmte Ungereimtheiten könnte man also auf entstehungsgeschichtlich bedingte Naht- und Bruchstellen zurückführen. Allerdings wüssten wir lediglich, dass Goethe es unterließ, die "große Lücke" auszufüllen und mithilfe des "Prologs" zu rahmen, sodass der 1808 erschienene Erste Theil der Tragödie die älteren Textmassen zu einer durchgehenden Handlung verknüpft. Wir wüssten jedoch nicht, warum er es unterließ, ob aus einem durchdachten Wandel des dramatischen Plans oder aus poetischer [End Page 32] Nonchalance. Doch selbst wenn man bereit ist, sehr große Abstriche in Bezug auf Motivation und Kohärenz zu machen: Die Figur Faust beansprucht sehr wohl, aus nachvollziehbaren Gründen zu denken und zu handeln: "Drum [!] hab' ich mich der Magie ergeben" (377) oder "Und so [!] ist mir das Daseyn eine Last" (1570). Wir kommen also schwerlich umhin, die Figur an diesem Anspruch zu messen, und stutzen unweigerlich, wenn sie ihm nicht gerecht zu werden scheint. Angenommen, Faust strafe seine Worte Lügen und jemand frage, aus welchen Gründen Faust sich erst so und dann unvermittelt ganz anders verhalte. Wer darauf erwiderte: "Nun, aus entstehungsgeschichtlichen Gründen!," hätte womöglich die Lacher auf seiner Seite, und zwar deswegen, weil er auf schlagfertige Weise die Ebene des Verstehens wechselt. Dem Trost, dass wir eventuelle Ungereimtheiten mithilfe der Entstehungsgeschichte historisch erklären können, geht also implizit das Eingeständnis voraus, dass wir die Worte und Taten der Figuren an gewissen Punkten nicht verstehen.

I

In der Hoffnung auf ein zumindest partielles Verständnis möchte ich mit der Frage beginnen, was Faust und Mephistopheles in der genannten Passage tun. Gerhard Ising, der Bearbeiter des Artikels "Wette" im Grimmschen Wörterbuch, stellt fest, dass Faust das Wort "Wette" in einer Weise gebraucht, die sich keiner der genannten Bedeutungen klar anschließt.18 "Die Wette biet' ich!" (1698): Das kann bedeuten: Diesen Einsatz biete ich an.19 Es kann aber auch bedeuten: Diese Vereinbarung biete ich an. Weder die eine noch die andere Möglichkeit führt zu Problemen: Denn in jedem Falle erfordert der Wett-Einsatz einen Vertrag, der regelt, wem der Einsatz unter welchen Umständen zufällt; und eine Wett-Vereinbarung legt immer auch fest, was einer dem anderen gegebenenfalls schuldet. Mephistopheles behandelt das Angebot dementsprechend und lässt mit seinem "Top!" (1698) einen Vertrag entstehen, den Faust wiederum gestisch bestätigt: "Und Schlag auf Schlag!" (1698) Indem sie wetten, schließen Faust und Mephistopheles also einen Vertrag.20 Derjenige, der etwas einsetzt (Faust), bekräftigt damit eine Behauptung, weil er für den Fall, dass seine Behauptung sich als falsch erweist, seinem Partner (Mephistopheles) das Eingesetzte zu schulden anerkennt.21 Behauptung und Einsatz gehen aus den umliegenden Versen hervor:

Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen;So sey es gleich um mich gethan!Kannst du mich schmeichelnd je belügen,Daß ich mir selbst gefallen mag,Kannst du mich mit Genuß betrügen;Das sey für mich der letzte Tag!Die Wette biet' ich!

(1692–98)

Anstatt also eine Behauptung aufzustellen, die er mit der Wette bekräftigen könnte, äußert Faust einen bedingten Wunsch, erkennbar am zweimaligen optativischen "sey": Wenn ein bestimmter Umstand eintritt, möchte Faust sein Leben verlieren. In der Äußerung, die der Wette unmittelbar folgt, konkretisiert Faust diesen Wunsch als eine bedingte Erlaubnis: "Werd' ich zum Augenblicke [End Page 33] sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst [d. h. darfst] Du mich in Fesseln schlagen" (1699–1701). Faust befindet also darüber, in welchem Fall Mephistopheles sich seiner bemächtigen darf. Den Wett-Einsatz stellt damit Faust selbst bzw. seine Seele (11615), sein "Unsterbliches" (nach 11824) dar. Seine Seele schuldet Faust Mephistopheles gemäß der Verabredung jedoch nur dann, wenn die genannte Bedingung gegeben ist: wenn Mephistopheles ihn dergestalt manipulieren kann, dass Faust seinen gegenwärtigen Zustand als wünschenswert erlebt (1692–97) und bezeichnet (1699–1700).

Der zweite Teil der Formel ("Werd' ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön!" usw., 1699–1700) ist verbindlich, unabhängig davon, ob er noch zur eigentlichen Wette gehört, die ja davor abgeschlossen wird. Denn Faust könnte die darin enthaltene bedingte Erlaubnis auch ohne die Wette geben. Dasselbe gilt für den bedingten Wunsch ("So sey es gleich um mich gethan!" usw., 1692–97). Man könnte den Vers 1698 ("Die Wette biet' ich!" usw.) also ganz und gar weglassen—trotzdem wäre der Wunsch geäußert und die Erlaubnis gegeben worden. Wozu bedarf es dann noch der Wette? Mit ihr erhalten beide, Wunsch und Erlaubnis, eine neue Funktion. Die Wette verdeutlicht, was man sich allerdings ohnehin schon denken kann: dass Faust wünscht und glaubt, die genannte Bedingung für den Verlust seiner Seele werde nie gegeben sein. In Form der Wette behauptet und bekräftigt Faust also, er werde sich niemals in der genannten Weise von Mephistopheles manipulieren (belügen und betrügen) lassen. Nach meiner Interpretation spricht Faust in 1699–1700 nicht von einem beliebigen "schönen Augenblick," sondern von einem, der auf ebendieser mephistophelischen Manipulation beruht.22 Faust versetzt sich in 1699–1700 nur hypothetisch in eine Perspektive, von der er glaubt, er werde sie nie einnehmen: die Perspektive des Betrogenen, dem ein von Mephistopheles herbeigeführter Zustand als ein schöner Augenblick erscheint—aufgrund von Schmeichelei, Lüge und Betrug (1694–96).23

Der unbestreitbare Wohlklang der "Augenblicksformel" ("Verweile doch! du bist so schön!" usw.) erzeugt ein wichtiges Verständnisproblem: Ist der "schöne Augenblick" nicht ein "Phänomen," das "für Goethe höchste Dignität" hat?24 Etwas "weit Höheres" als das Faulbett?25 Man könnte meinen, Faust er kläre einen solchen Augenblick bloß für unmöglich, und auf diese Gewissheit wette er.26 Doch Faust verachtet diesen Augenblick.27 Schließlich nennt er ihn in einem Atemzug mit Schmeichelei, Lüge und Betrug. Faust scheint sich den "schönen Augenblick"—unabhängig davon, ob er möglich ist—gar nicht zu wünschen. Verstößt diese Geringschätzung "gegen die Prinzipien klassischer Lebenskunst," gegen ihr "Herzstück"?28 Und sollte Faust sich einen "schönen Augenblick" nicht wünschen? Nach meiner Meinung setzt Faust jedoch in 1699–1700 bereits voraus, dass er von einem Augenblick mephistophelischer Manipulation spricht. Der Wohlklang der Augenblicksformel täuscht. Ob Faust aus seiner aktuellen Perspektive auch einen echten "schönen Augenblick" für denkbar oder möglich hält, geht aus der Stellte nicht hervor. Diese Interpretation mag immer noch strittig sein, hat aber zumindest den Vorteil, dass Faust an diesem Punkt weder gegen eine Lebensweisheit noch gegen die psychologische Plausibilität verstößt.

Demgegenüber wirkt die Faulbett-Formel ("Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen" usw.) unproblematisch, weil in ihr keine Diskrepanz [End Page 34] zwischen Wohlklang und Verachtung herrscht. Bei dem beschriebenen Zustand handelt es sich nämlich ausdrücklich um eine mephistophelische Manipulation. Dies ist aber auch, wie bei der Augenblicks-Formel, der einzige nachvollziehbare Grund dafür, dass Faust dem beschriebenen Zustand entgehen möchte. Diese These provoziert folgenden Einwand: Muss der rastlose Faust das Faulbett nicht schon als solches verachten—ganz gleich, was Mephistopheles damit zu tun hat? Ein scheinbar schlagender Einwand! Anders als in den folgenden Versen (1694, 1696) tritt Faust in dem betreffenden Satz als alleiniges Agens auf: "Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen" (1692). Nur grammatisch ist Mephistopheles hier jedoch abwesend, denn Faust reagiert mit diesem Satz auf dessen vorheriges Angebot, spricht also davon, sich von Mephistopheles auf das Faulbett legen zu lassen. Seine Überzeugungskraft gewinnt der Einwand erst daraus, dass der erste Teil des zusammengesetzten Worts "Faulbett" seine Bedeutung gewandelt hat. Das "Faulbett" bezeichnete neutral eine Ruhestätte; erst Goethes Zeitgenossen gebrauchten das Wort auch abwertend.29 Diesen Prestigeverlust des Faulbetts führe ich auf den damaligen sozialen Wandel zurück: Das erstarkende Bürgertum wertete das Wort "Arbeit," das im Mittelhochdeutschen negativ besetzt war, erfolgreich auf und warf den adligen Feudalherrschern ihren Müßiggang vor. Erst seitdem der bürgerliche Anhäufungs- und Arbeitszwang herrscht, macht sich, wer ein Lob der Faulheit anstimmt, zum Feind der Gesellschaft. Ob Faust das Wort "Faulbett" hier tatsächlich abwertend gebraucht, ist also keineswegs von vornherein ausgemacht und hängt vom Kontext ab. Die folgenden Verse beschreiben, wodurch sich das Erlebnis des Zustands, den Faust im Auge hat, auszeichnet: Gefallen an sich selbst und Genuss (1695–96). Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass Faust durchaus sich selbst gefallen könne, ohne im negativen Sinn selbstgefällig (also eitel) zu werden.30 So beruht im Lied des Türmers Lynceus das Gefallen an sich selbst auf einem geglückten Verhältnis zur Welt: "Und wie mir's gefallen," d.h.: wie mir sie (die zuvor genannten Dinge) gefallen, "Gefall ich auch mir" (11298–99). Dasselbe gilt für den Genuss: Faust gebraucht das entsprechende Verb mehrmals eindeutig positiv (620, 1771, 11586). Entgegen dem genannten Einwand bleibe ich dabei: Faust möchte dem Zustand, den sowohl die Faulbett- als auch die Augenblicks-Formel beschreibt, nur deswegen entgehen, weil der Zustand auf einer mephistophelischen Manipulation beruht. Die Verachtung dieses Zustands ergibt sich nicht schon aus der Art, wie derjenige, der in diesem Zustand befangen ist, ihn erlebt. Im Gegenteil: Erlebt wird der Zustand vom Betrogenen als positiv.

Das im Wohlklang der Wettformel liegende Verständnisproblem ist also lösbar. Auf dieser Grundlage halte ich fest: Die Passage der "Wette" enthält mehrere Sprechakte: Der hypothetische Wunsch (1692–97) ist eigentlich als eine bedingte Erlaubnis zu verstehen (vgl. 1699–1701), und die Bedingung wiederum, an die sie geknüpft ist, bildet den propositionalen Gehalt der Behauptung, die Faust mithilfe der eigentlichen Wette bekräftigt: Er werde sich nie von Mephistopheles manipulieren lassen. Faust tut vier Dinge: Er wünscht und erlaubt (jeweils bedingt), er behauptet und bekräftigt, wobei die letzteren beiden Handlungen die beiden erstgenannten dominieren und also die wesentliche Funktion der Wette auszumachen [End Page 35] scheinen. Doch ist das alles? Etwas Wichtiges kam bereits hinzu, was man als fünften illokutionären Akt auffassen kann: Faust wertet den Zustand, in den, wie er unterstellt, Mephistopheles ihn versetzen will, als Manipulation ab. Damit verwahrt er sich zwar nicht, wie ich zu zeigen versucht habe, gegen eine Lebensweisheit; sehr wohl aber verwahrt er sich gegen die Künste des Teufels.

Doch dies alles könnte Faust auch ohne die Wette tun. Er könnte die mephistophelischen Dienste als einen bloßen Manipulationsversuch abwerten und behaupten, dass er ihm nie erliegen wird. Er könnte dies sogar auf sehr überzeugende Weise bekräftigen, indem er das Angebot einfach ausschlägt. Und er könnte dabei sogar anerkennen, dass Mephistopheles ihn vom Gegenteil überzeugen wollen könnte. Faust tut jedoch mehr: Er fordert heraus und dringt darauf, dass Mephistopheles dies tut. Aus einem nicht unmittelbar ersichtlichen Grund verlangt Faust nach dessen Diensten. Mit der Wette, durch die er Mephistos Dienste als Schmeichelei, Lüge und Betrug (1694–96) abtut, nimmt er genau diese Dienste in Anspruch. Und mit der bedingten Erlaubnis, die der Wett-Vertrag enthält, erbringt Faust die erforderliche Gegenleistung. Mephistopheles ist nun gefordert, wie er selbst sagt, "Als Diener, meine Pflicht [zu] erfüllen" (1713). Faust vollzieht also einen sechsten illokutionären Akt, der sehr bedeutsam ist, den die verbale Oberfläche jedoch nicht zu erkennen gibt.

Die Zergliederung der illokutionären Akte mag etwas umständlich sein, doch die Wette ist meines Erachtens auch deswegen so schwer zu verstehen, weil Faust mit wenigen Worten (und teilweise implizit) sehr viel auf einmal tut. Wenn meine bisherige Interpretation widerspruchsfrei und mit dem Text vereinbar sein sollte, trüge sie zum Verständnis der Wette etwas Wichtiges bei. Wir wüssten jetzt, was Faust tut. Zugleich ist aber das Ziel, auch das Motiv dieser Handlung einsehen zu können, in weite Ferne gerückt: Warum verlangt Faust nach Diensten, die attraktiv nur aus einer Perspektive erscheinen, die Faust niemals einnehmen will (der Perspektive des Manipulierten)? Und warum setzt er um dieser fragwürdigen Dienste willen seine Seele aufs Spiel?31 Dass Faust (nach eigener Überzeugung) seine Seele ja letztlich nicht verlieren werde, scheint mir keine befriedigende Antwort.32 Denn die Frage zielt darauf, was (wenn überhaupt) Faust zu gewinnen hofft, indem er sich mit dem Teufel einlässt.

II

Was auch immer Faust dazu motivieren könnte, die Wette einzugehen: Es muss sich aus der dramatischen Vorgeschichte ergeben. Die Frage nach dem Beweggrund führt uns daher auf die sogenannte Gelehrtentragödie.

In diesem Zusammenhang ist viel von Erkenntnis und sogar Erkenntnistheorie die Rede. Es heißt ja: "Daß ich erkenne.…" (382). Doch Erkenntnis hat für Faust nur dann einen Wert, wenn sie mit einem bestimmten Erlebnis verknüpft ist.33 Anstelle der rationalen Vermittlung sucht Faust eine überwältigende, zunächst visuell charakterisierte sinnliche Wahrnehmung: "Daß ich … Schau' alle Wirkenskraft und Samen, / Und thu' nicht mehr in Worten kramen" (382–85). Über die Begrenztheit des [End Page 36] menschlichen Wissens (364) klagt Faust nur, um sich unter dem Anschein der Berechtigung von "allem Wissensqualm [zu] entladen" (396), keine andere oder gar höhere Wissenschaft anzustreben, sondern ein Erlebnis außerhalb der Wissenschaft:

Ach! könnt' ich doch auf Berges-Höh'nIn deinem lieben Lichte gehn,Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,Von allem Wissensqualm entladen,In deinem Thau gesund mich baden!

(392–97)

Weder im Sinne der magisch-alchemistischen Proto- noch im Sinne einer modernen Wissenschaft kann Faust daher als ein genialischer Forschertitan gelten. Er hat das akademische Curriculum bewältigt, den Doktorgrad erlangt und lehrt an einer Universität. Viel mehr erfahren wir von seiner wissenschaftlichen Laufbahn zunächst nicht. Inwieweit sein Ruhm (1870) seinen tatsächlichen Fähigkeiten und Leistungen entspricht, bleibt offen.

Faust schlägt das Buch mit dem Zeichen des Makrokosmus auf und beschwört den Erdgeist, weil er körperlich etwas erleben will, was die mensch lichen Grenzen überschreitet. "Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen, / Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen" (464–65)—so begeistert sich Faust am Zeichen des Erdgeists. Wonach Faust in der Hauptsache verlangt, lässt sich vage umschreiben als maximale Extensität und Intensität des Erlebens. Dieser Drang ist stark und durchaus geeignet, ein Bündnis mit Mephistopheles zu motivieren. Doch motiviert er es auch tatsächlich?

Vom grenzenlosen Erlebnishunger getrieben, steigert Faust sich nach dem Gespräch mit Wagner in die Vision des Selbstmordes hinein, den er auch beinahe ausführt. Nach dem retardierenden Moment des Osterspaziergangs findet Faust zwar seine Gelehrtenstube wieder ganz behaglich und freundet sich sogar mit dem christlichen Glauben an; doch untergründig beherrscht ihn der Wunsch nach dem übermenschlichen Erlebnis noch immer, als Mephistopheles sich in der ersten "Studirzimmer"-Szene zu erkennen gibt. Diesem untergründigen Wunsch möchte ich es zuschreiben, dass Faust von sich aus einen Pakt anstrebt (1414–15) und auf eine schnelle Zusage drängt (1423): "da ließe sich ein Packt, / Und sicher wohl, mit euch ihr Herren schließen?" (1414–15) "So bleibe doch noch einen Augenblick, / Um mir erst gute Mär zu sagen" (1423). Der Pakt kommt nur deswegen nicht zustande, weil Mephistopheles sich weigert.

Von dieser Bitte aus ließe sich eine direkte Linie zur Wette ziehen, wenn diese Wette nicht im Kontext einer völlig gewandelten Stimmungslage zustande käme. Zwischen der ersten und der zweiten "Studirzimmer"-Szene fällt Faust nämlich in die Verzweiflung zurück, die er schon im Anfangsmonolog zum Ausdruck gebracht hatte (354ff.) und in die er auch nach dem Gespräch mit Wagner geraten war (610–67). Diese Verzweiflung tritt in der zweiten "Studirzimmer"-Szene in den Vordergrund. Als Mephistopheles ihn aufzumuntern versucht, klagt Faust zunächst über sein eigenes, als nicht lebenswert empfundenes Leben—über permanente Frustration, Hoffnungs- und Lustlosigkeit, Angstträume, Ohnmachtsgefühle: [End Page 37]

Nur mit Entsetzen wach' ich Morgens auf,Ich möchte bittre Thränen weinen,Den Tag zu sehn, der mir in seinem LaufNicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,….Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,Mich ängstlich auf das Lager strecken,Auch da wird keine Rast geschenkt,Mich werden wilde Träume schrecken.Der Gott, der mir im Busen wohnt,Kann tief mein Innerstes erregen,Der über allen meinen Kräften thront,Er kann nach außen nichts bewegen;Und so ist mir das Daseyn eine Last,Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.

(1554–71)

Die Annahme, Faust würde sich auf seine ständige Unzufriedenheit besonders viel zugute halten, ist offenbar weder psychologisch plausibel noch mit dem Text verträglich. Faust beklagt sich darüber, dass seine Wünsche nicht in Erfüllung gehen (1555), und er sehnt eine "Lust" herbei, die der Alltag einmal nicht mit "eigensinnigem Krittel mindert" (1558–59). Gern würde er sich einmal "auf das Lager strecken" und eine "Rast geschenkt" bekommen, einen Schlaf ohne Angstträume (1563–65)—warum sollte er sonst klagen? Selbstverständlich wünscht Faust sich so etwas wie einen "ruhigen" und "schönen Augenblick" (vgl. 1692, 1699–1700). Die spätere Abwertung des Augenblicks in der Wette steht damit in Einklang, denn der dort beschriebene Augenblick setzt, anders als der in der Klage indirekt herbeigesehnte Zustand, eine mephistophelische Manipulation voraus.

Mephistopheles entdeckt sofort einen Widerspruch zwischen Wort und Tat, indem er auf den nicht begangenen Selbstmord hinweist: Sosehr, dass er sich auch wirklich umbrächte, wünscht Faust den Tod nicht. Anstatt aber nun seine Klage abzuschwächen oder aber die Konsequenzen aus seinen Worten wenigstens nachträglich zu ziehen, erteilt Faust dem Leben eine verbal umso nachdrücklichere Absage. Nun klagt er nicht mehr nur über sein Leid, sondern er verflucht ausnahmslos auch alle diejenigen Güter, die das Leben lebenswert erscheinen lassen könnten:34 "So fluch' ich allem was die Seele / Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt, / Und sie in diese Trauerhöhle [d.h. das Leben] / Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt!" (1587–90)

Trotz seines rhetorischen Schwungs wirft der große Fluch (1587–1606) einige Fragen auf. Erstens: Von wem spricht Faust? Er meint wiederholt "uns" (1594, 1595, 1597, 1600, 1602), also auch sich selbst. Ihn schrecken—seiner vorherigen Klage zufolge—aber des Nachts nur "wilde Träume" (1565); er dürfte also das, "was uns in Träumen heuchelt" (1595) gar nicht empfinden. Faust verflucht Freuden, die ihm gemäß seiner vorherigen Klage entgehen und die er zu verfluchen keinen rechten Anlass hat.35 Von seinem Leben ist nicht die Rede. Nur der "Anklang froher Zeit" (1585), der Faust am Ostermorgen vom Selbstmord abhielt, hat mit ihm selbst zu tun. Doch nun betrachtet er auch diesen Anklang als einen Betrug und verflucht alles, was die Vorstellung [End Page 38] irdischen Glücks erregen könnte, ohne und unabhängig davon, dass es aktuell für ihn existiert. Die zweite Frage, zu welcher der große Fluch Anlass gibt, hat mit dessen innerer Logik zu tun. Was macht eine Welt zu einer "Trauerhöhle" (1590), in der niemand trauert, weil allenthalben Zufriedenheit herrscht (1591–1603)?

Verflucht voraus die hohe MeinungWomit der Geist sich selbst umfängt!Verflucht das Blenden der Erscheinung,Die sich an unsre Sinne drängt!Verflucht was uns in Träumen heuchelt,Des Ruhms, der Namensdauer Trug!Verflucht was als Besitz uns schmeichelt,Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!Verflucht sey Mammon, wenn mit SchätzenEr uns zu kühnen Thaten regt,Wenn er zu müßigem ErgetzenDie Polster uns zurechte legt!Fluch sey dem Balsamsaft der Trauben!

(1591–1603)

Faust beklagt sich nicht etwa darüber, dass andere genießen, was ihm fehlt: Zufriedenheit mit sich selbst, schöne Wahrnehmungen am Tage, schöne Träume in der Nacht, Ansehen, Besitz und Familie, Geld, Wein. Im Gegenteil: Faust verflucht diese Freuden.36 Warum? Weil sie nach seiner Meinung nur Verblendung sind, über eine Realität hinwegtäuschen (1588, 1590, 1492– 1597), die sich hinter dem "Lock- und Gaukelwerk" (1588), hinter den "Blendund Schmeichelkräften" verbirgt (1590). Doch worin besteht diese verborgene Realität, die das Leben erst zu einer "Trauerhöhle" (1589) macht, und zwar auch dann, wenn niemand es als eine Trauerhöhle empfindet, weil jeder sich der verfluchten Glücksgüter freut? Man könnte theologisch argumentieren und die Glücksgüter als wertlos oder gar bedenklich und jedenfalls im Kontrast zum jenseitigen Heil als "Jammertal" ansehen. Doch dies hat Faust klarerweise am allerwenigsten im Sinn. Mit abschließendem Nachdruck verflucht er auch das höchste Gut (in Gestalt der christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung), das ihn dieses Heils würdig machen, und die Geduld, die sich auf eine solche Aussicht gründen könnte (1604–6): "Fluch jener höchsten Liebeshuld!" (1604), der Gottesliebe also, die sich zusammen mit der Hoffnung vorübergehend bei Faust geregt hatte (1185, 1199). "Fluch sey der Hoffnung! Fluch dem Glauben, / Und Fluch vor allen der Geduld!" (1605–6)

Horst Lange (Reno, Nevada) brachte mich auf den Gedanken, die "Trauerhöhle" als eine Anspielung auf das platonische Höhlengleichnis zu interpretieren. Diejenigen, die sich der genannten Glücksgüter freuten, säßen dann in der Trauerhöhle, ohne es zu merken, und wären nur zufrieden, weil sie getäuscht sind.37 Das Moment der Täuschung spielt bei Faust eine ähnlich große Rolle wie bei Platon. Die Sicht derjenigen, die in der Höhle wohnen, steht bei Platon jedoch nicht für eine illusionäre Freude am Leben, sondern für jedwede sinnliche Wahrnehmung, die unvollkommen ist im Vergleich zur Erkenntnis der göttlichen Idee des Guten.38 Doch auch diesen Standpunkt weist Faust von sich, indem er die Tugenden verflucht. Meines [End Page 39] Erachtens passt Fausts Ansicht besser mit dem philosophischen Pessimismus zusammen, wie er später von Arthur Schopenhauer in Die Welt als Wille und Vorstellung, auch mit Bezug auf Goethes Faust, formuliert wurde:

Alles im Leben giebt kund, daß das irdische Glück bestimmt ist, vereitelt oder als eine Illusion erkannt zu werden. … Die komparativ Glücklichen sind es meistens nur scheinbar, oder aber sie sind … seltene Ausnahmen, zu denen eine Möglichkeit übrig bleiben mußte,—als Lockvogel. Das Leben stellt sich dar als ein fortgesetzter Betrug … so täuscht uns als bald die Hoffnung, bald das Gehoffte.39

Wer diese Illusion und diesen Betrug einmal durchschaut, und das behauptet Faust von sich, könnte auf die Freuden des Lebens schulterzuckend herabblicken, hätte aber keinen zwingenden Grund, sie zu verfluchen. Zudem sperrt sich Faust gegen die Schlussfolgerung, die Schopenhauer zieht: die ethische Resignation.40 Gelassene Duldsamkeit verabscheut Faust ja am meisten ("Und Fluch vor allen der Geduld!" 1606). Faust flucht also nicht vom Standpunkt einer existenzialen Einsicht, sondern der Ohnmacht aus. Das wider besseres Wissen vorhandene, unaustilgbare Interesse an den illusionären Glücksgütern zwingt ihn, das zu tun, was er für töricht erklärt, nämlich: in der "Trauerhöhle" des Lebens auszuharren. Vor seinem Gesprächspartner Mephistopheles, der ihn mit dem Hinweis auf die Osternacht in Verlegenheit gebracht hatte, kann Faust nun rechtfertigen, dass er sich trotz seiner negativen Sicht auf das Leben nicht umgebracht hat. Vor sich selbst kann er nun so tun, als habe er in seiner "Trauerhöhle" immer schon gesessen und als müsse er auf immer darin sitzen bleiben—weil die Welt eben so ist, wie sie ist. Indem er schon den "Anklang froher Zeiten" (1586) für einen Betrug erklärt, täuscht er sich selbst darüber hinweg, dass er frohere Zeiten kennt und sein Leben eine "Trauerhöhle" erst wurde: Er schlug eine akademische Laufbahn ein, in der das Erbe seines Vaters übermächtig auf seinem Alltag (408, 676–85) und sogar auf seinem Gewissen lastet: Als junger Arzt half Faust in guter Absicht (1024–29) bei der fahrlässigen Tötung vieler Patienten (1049–54).

Mit seinem Fluch lenkt Faust also von seiner eigenen Verantwortung für seinen bisherigen und weiteren Lebenslauf ab. Zudem hat er offenbar die Hoffnung auf maximale Extensität und Intensität des Erlebens verloren, die ein Bündnis hätte motivieren können. Mephistopheles gibt sich alle Mühe, diese Hoffnung mithilfe des Geisterchors wieder zu entfachen, und erreicht, dass Faust sein Angebot wenigstens in Betracht zieht, indem er sich für die Gegenleistung interessiert: "Und was soll ich dagegen dir erfüllen?" (1649) Es bleibt jedoch unklar, ob Fausts Interesse über die bloße Auskunft hinausgeht. Nachdem er zunächst ausweicht, deutet Mephistopheles an, dass Faust ihm nach dem Tod seine Seele überlassen müsste: "Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden / … Wenn wir uns drüben wieder finden, / So sollst du mir das Gleiche thun" (1656–59). Doch anstatt sich über die Höllenstrafe Sorgen zu machen, führt Faust seine pessimistische Rhetorik mit der Behauptung fort, dass der Teufel gar nichts Erstrebenswertes anzubieten habe. Herablassend fragt Faust: "Was willst du armer Teufel geben?" (1675) Nach gängiger Meinung ist daher Faust über Mephistos Angebot tatsächlich erhaben.41 [End Page 40]

Wonach er strebe, so unterstellt die zweite rhetorische Frage, verstehe Mephistopheles gar nicht (1676–77). Aber wie auch? Seit dem Fluch ist unklar, was Faust selbst unter "eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben" (1676) verstehen könnte.42 Was Faust zu diesem Zeitpunkt eigentlich will, ist dementsprechend schwer zu benennen—abgesehen davon, dass er gegen Mephistopheles Recht behalten will. Es entspinnt sich ein verwirrendes Wortgefecht. Mit dem nächsten langen Satz "Doch hast du …" (1677ff.) stellt Faust fest: Stattdessen, also statt erstrebenswerter Dinge, "hast du Speise die nicht sättigt, … rothes Gold, das ohne Rast, / Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt, / Ein Spiel, bey dem man nie gewinnt, / Ein Mädchen, das an meiner Brust / Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet, / Der Ehre schöne Götterlust, / Die, wie ein Meteor, verschwindet" (1678–85).

Die entgegengesetzte Auffassung lautet, dass Faust nach solcher Speise und den anderen sinnlosen Dingen verlange (aus mir unerfindlichen Gründen).43 Sie beruht auf einem Fragezeichen, das Erich Schmidt in der Weimarer Ausgabe an das Ende der Aufzählung unnützer Dinge (1685) setzte und das den Sinn der Textstelle in sein Gegenteil verkehrt: "Doch hast du … Götterlust, die, wie ein Meteor, verschwindet?" (1678–85).44 Dieses Fragezeichen gelangte in die an Schulen verbreitete Reclam-Ausgabe sowie in die universitär gebräuchliche Hamburger Ausgabe und blieb dort lange stehen, obwohl Ernst Grumach und Inge Jensen diesen Eingriff bereits 1958 in der Akademie-Ausgabe zurückgenommen hatten. Im Einklang mit dieser Korrektur setzen die neueren Studienausgaben (MA und FA) anstelle des Fragezeichens den gehörigen Punkt. Mittlerweile ist das Fragezeichen auch aus der HA sowie, infolge der Ausgabe Ulrich Gaiers, aus der kleinen Reclam-Ausgabe (Universal-Bibliothek Nr. 1) verschwunden.

Bereits 1946 lehnte H. G. Fiedler den schwerwiegenden Eingriff Schmidts, der noch nicht einmal im Apparat der WA vermerkt wurde, entschieden ab.45 Auch Géza von Molnár hielt 1979 das Fragezeichen für fragwürdig.46 In den autorisierten Drucken fragt Faust weder nach einer Speise, die nicht sättigt, noch nach einer göttlichen Lust, die spurlos verschwindet. Er konstatiert als eine unerschütterliche Gewissheit, dass die Güter des Teufels, anders als die verfluchten irdischen Glücksgüter, noch nicht einmal illusionär als wertvoll erfahren werden können. Aus der Deutungsgeschichte ist das Fragezeichen jedoch noch nicht ganz verschwunden. Neuere Kommentare vermitteln bisweilen den Eindruck, der Interpret könne sozusagen im Geiste zwischen Punkt und Fragezeichen wählen.47 Das liegt offenbar am Satzbau: "Doch hast du Speise die nicht sättigt" könnte auch als Frage gelesen werden. Die nachfolgenden Sätze "hast / Du rothes Gold" usw. müssten sogar als Frage verstanden werden, wenn die gesamte Periode nicht durch die Partikel "Doch" eingeleitet würde. Dank ihr können, wie Fiedler und Molnár gezeigt haben, die Verse 1678–85 problemlos als Deklarativsatz gelten.48 Auch der Kontext spricht dafür. Die einleitende Partikel "Doch" signalisiert einen Wechsel der Satzart. Wenn den Versen 1687ff. ein Aussagesatz vorausginge, ließe dies auf einen Fragesatz schließen, nach der Art: "Du hast Äpfel und Birnen. Doch hast du exotische Früchte?" Die Verse 1687ff. folgen jedoch auf zwei Fragen. Es wäre daher irreführend, eine mögliche dritte Frage mit einer Partikel einzuleiten, die einen Gegensatz markiert. Das "Doch" würde dann tatsächlich [End Page 41] unnatürlich klingen. Die Konstruktion mit dem Punkt ergibt also einen Sinn, sodass eine Emendation nicht in Betracht kommt. Das von Schmidt und anderen eingesetzte Fragezeichen in Vers 1685 war eine editorische Fiktion, und die darauf beruhenden Deutungen sind gegenstandslos.

Fausts Worte drücken also höhnischen Sarkasmus aus.49 Ebenfalls höhnisch verlangt Faust nach der Frucht, die schon am Baum verfault (1686).50 Mephistopheles könnte nun auf diese Kritik eingehen und Faust von den Qualitäten seiner Gaben überzeugen. Stattdessen verhält Mephistopheles sich so, als würde Faust tatsächlich nach der fauligen Frucht verlangen: "Mit solchen Schätzen kann ich dienen" (1689). Indem er Faust beim Wort nimmt, zwingt er ihn dazu, von der bloß rhetorischen Forderung abzurücken und nach dem zu verlangen, worum es ihm eigentlich geht.51 Mit dem folgenden "Doch" ändert Mephistopheles seine kommunikative Strategie, und schlägt vor, zunächst "in Ruhe" etwas zu essen: "Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran / Wo wir was Gut's in Ruhe schmausen mögen" (1690–91). Damit versucht er, den unwirschen Faust zu besänftigen, die Situation zu deeskalieren und ein Gespräch über sein eigentliches Angebot wieder zu ermöglichen: über die "Künste," die "noch kein Mensch gesehn" habe (1674).52 Nun verhält sich jedoch Faust so, als wolle Mephistopheles ihn nicht gesprächsbereit, sondern träge machen (etwa in Form eines mittäglichen Verdauungsschlafs, der einem solchen Essen folgen könnte), und er protestiert gegen dieses vermeintliche Ansinnen mit dem Beginn der Wettformel: "Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen" (1692).

Rein verbal betrachtet, könnte sich das "beruhigt" in diesem Vers auf die "Ruhe" im vorigen beziehen. Doch Mephistopheles will mit Faust ja nicht hauptsächlich und immer "in Ruhe schmausen." Inhaltlich hat das "Faulbett" wenig zu tun mit dem Interesse an "Lust und Thaten" (1629), das Mephistopheles in Faust zu wecken versuchte, und den übermenschlichen Künsten, die er seinem künftigen Partner in Aussicht stellte.53 Der Beginn der Wettformel verfehlt also das eigentliche Angebot. Doch Faust sagt, was er sagt, und er meint es offenbar auch so. Die übrige Wettformel knüpft am großen Fluch an und weitet ihn auf die mephistophelischen Güter aus. Ein Leben, in dem Faust sich "selbst gefallen mag," "Genuß" empfindet und einen schönen Augenblick erlebt—ein lebenswertes Leben—gilt hier wie dort als Illusion.54 Im Grunde fügt Faust seinem Fluch lediglich hinzu, dass er die vom Teufel in Aussicht gestellten Glücksgüter in genau derselben Weise missachtet wie die bereits zuvor verfluchten.55 Der frühere lebhafte Wunsch nach maximaler Extensität und Intensität des Erlebens scheint zu einem bloßen Wunsch herab gesunken zu sein, der keine Handlung mehr bewirkt, auf den vielleicht noch die erwähn te Frage nach dem Pakt (1414–15), aber nicht mehr die Wette zurückgeführt werden kann. Im Hinblick auf die oben genannten Sprechakte behaupte ich nach wie vor: Mit der Wette nimmt Faust die missachteten mephistophelischen Dienste in Anspruch. Er wünscht also gewissermaßen, in den "Genuß" (1696) dieser Dienste zu kommen—er möchte sie haben. Zumindest auf der verbalen Oberfläche der Wette ist dieser Wunsch jedoch einem anderen Wunsch untergeordnet: In den erwähnten "Genuß" (1696) möchte Faust nicht kommen; er möchte ihm vielmehr, als einer Manipulation, widerstehen, die mephistophelischen Dienste also nicht eigentlich genießen. [End Page 42] Keineswegs um ihrer selbst willen, sondern einzig und allein zu dem Zweck, mit seiner Verachtung Recht zu behalten, scheint Faust die Gaben des Teufels anzunehmen. Die Wette scheint von dem Wunsch bestimmt zu sein, am Objekt unter Beweis zu stellen, wie minderwertig die mephistophelischen Dienste sind, ganz in dem Sinne der höhnischen Aufforderung "Zeig mir die Frucht die fault, eh' man sie bricht" (1686). Lediglich zum praktischen Erweis seiner theoretisch behaupteten Widerständigkeit, so scheint es, dringt Faust mit der Wette zugleich auf die verächtlich gemachten Dienste, und nicht etwa, weil er sich irgendetwas von Mephistopheles erhofft.

Man sollte sich allerdings darüber verwundern, zu welch weitreichenden Schritten Faust sich hinreißen lässt, nur um Recht zu behalten. Er setzt ja nicht nur sein Seelenheil aufs Spiel. Das könnte man noch damit erklären, dass Faust ein sehr großes Vertrauen zu seiner Resistenz hat und die jenseitige Strafe ohnehin kaum fürchtet: "Das Drüben kann mich wenig kümmern" (1660). Doch dazu, auch einen schriftlichen Vertrag zu unterschreiben, ist Faust, als ihn Mephistopheles darum bittet, von sich aus keineswegs geneigt. Im Gegenteil, es widerstrebt ihm zutiefst (1716–29). Er könnte sich auf den Standpunkt der Wette zurückziehen und es Mephistopheles getrost überlassen, ob dieser sie gewinnen will oder nicht. Warum unterschreibt Faust dennoch? Offensichtlich will er um jeden vertraglichen Preis in den zweifelhaften Genuss der mephistophelischen Manipulationsversuche kommen. Um jeden Preis, denn er unterschreibt den Vertrag, ohne seine Bestimmungen merklich zur Kenntnis zu nehmen. Wenn man will, kann man jedoch auch diese Handlung noch dem Wunsch zuschreiben, seine Widerstandsfähigkeit unter Beweis zu stellen.

Nach dem Vertragsschluss richtet Faust erneut den schon in der Wette enthaltenen Appell an Mephistopheles, dass dieser ihm zu Diensten sei. Er verbindet diesen Appell jedoch mit einer gewandelten Haltung: "Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit / Uns glühende Leidenschaften stillen!" (1750–51) Mephistopheles soll seinen Vertragspartner also bestimmte Erfahrungen machen lassen, an denen Faust ein großes Interesse bekundet, das die folgenden Verse unterstreichen:

In undurchdrungnen ZauberhüllenSey jedes Wunder gleich bereit!Stürzen wir uns in das Rauschen der ZeitIn's Rollen der Begebenheit!Da mag denn Schmerz und Genuß,Gelingen und Verdruß,Mit einander wechseln, wie es kann;Nur rastlos bethätigt sich der Mann.

(1752–59)

Sollte etwa in den Augen Fausts der "arme Teufel" doch etwas mehr zu "geben" haben als lauter Nichtigkeiten? So scheint es. Fausts Wünsche wirken stellenweise noch paradox ("Gelingen und Verdruß"), aber die Hoffnung auf maximale Extensität und Intensität des Erlebens, die zwischenzeitlich völlig geschwunden schien, ist mit einem Male wieder zum Leben erweckt, ohne dass es dafür einen erkennbaren Grund gäbe. In der Erdgeist-Szene hatte es geheißen: "Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen, / Der Erde Weh, der [End Page 43] Erde Glück zu tragen" (464–65) Nun, in der zweiten "Studirzimmer"-Szene, beschreibt Faust in ganz ähnlicher Form, was er mithilfe von Mephistopheles erreichen will: "Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist, / Will ich in meinem innern Selbst genießen, / Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen, / Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen" (1770–74). Faust knüpft also ebenso uneingeschränkt positive Erwartungen an Mephistopheles wie an den Erdgeist.56 Es geht ihm immer noch um das Maximalziel, die ganzheitliche Erfahrung, wenn auch in bescheidenerem Rahmen: Statt nach der ganzen "Erde" (465) strebt er nun nur noch nach der ganzen "Menschheit" (1770).57 Weit davon entfernt, solche euphorischen Erwartungen erst wieder entfachen zu müssen, redet Mephistopheles seinem Vertragspartner die Hoffnung auf Totalität mühsam aus (1776–84, 1786–1802, 1806–9, 1816– 33).58 Und nach einigen Widerreden (1785, 1803–5, 1810–15) gibt Faust sich mit partikularen menschlichen Erfahrungen zufrieden, die er bislang nicht gemacht hatte: "Wie fangen wir das an?" (1834) Damit überlässt er die Initiative eine Zeit lang Mephistopheles, der die konkreten Erwartungen Fausts in der Folge besser kennenlernen wird und, je nach Kalkül, erfüllt, weckt oder auch dämpft.

Im Verlauf der zweiten "Studirzimmer"-Szene ändert Faust also seine Haltung gegenüber Mephistopheles. Dieser grundlegende Haltungswechsel kann weder auf Überzeugungsversuche noch auf Erfahrungen zurückgeführt werden. Vielmehr geht ihm der heftige Streit um den schriftlichen Vertrag voraus, an dem das Bündnis beinahe zu zerbrechen scheint, und der keineswegs dazu geeignet ist, Fausts Vertrauen zu erwecken. Der Blick auf die Entstehungsgeschichte offenbart eine Fuge innerhalb der Szene. An die "große Lücke" schließt der Text des Fragments an, der mit dem Vers einsetzt: "Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist" (1770). Faust ändert seine Haltung gegenüber Mephistopheles zwar bereits in den vorausgehenden Versen (1750ff.), die möglicherweise lange nach dem Erscheinen des Fragments (1790) entstanden und jedenfalls nicht mit Sicherheit auf eine frühere Produktionsphase zu datieren sind.59 Doch diese Verse markieren letztlich nur den Übergang von der verächtlichen Haltung, die Faust im neu hinzugekommenen Teil der Szene einnimmt, zur begierigen Haltung des Fragments.

Ungeachtet der entstehungsgeschichtlichen Fuge sind die beiden Teile der zweiten "Studirzimmer"-Szene durch zwei Handlungselemente miteinander verknüpft. Erstens: Faust behandelt sein Verhältnis zu Mephistopheles von der Wette an als unverändert; der schriftliche Vertrag scheint aus seiner Sicht nichts Wesentliches hinzuzufügen. Zweitens: Die in der Wette implizit enthaltene Aufforderung hat den gleichen Sinn wie der nach dem Vertragsschluss explizit an Mephistopheles gerichtete Appell, dass dieser ihm zu Diensten sei. Aus dem zugleich vollzogenen Haltungswechsel ergibt sich folgendes Verständnisproblem: Faust tut in offenbar derselben Situation dasselbe—jedoch aus gegensätzlichen Motiven heraus. Mit der Wette nimmt er die mephistophelischen Dienste lediglich in Anspruch, um zu beweisen, dass er sie immer als illusionär durchschauen werde. Nach dem Vertragsschluss nimmt er die mephistophelischen Dienste in Anspruch, um seinem alten Ziel der Totalität des Erlebens näher zu kommen. [End Page 44]

Diesen gegensätzlichen Wünschen liegen zwei einander widersprechende Überzeugungen zugrunde. Unmittelbar vor der Wette fragt Faust rhetorisch: "Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben, / Von deines Gleichen je gefaßt?" (1676–77). Die folgende Aufzählung von Nichtigkeiten (1678–85) impliziert, Mephistopheles könne seinem Streben nicht gerecht werden. Der nach dem Vertragsschluss geäußerte Wunsch, mithilfe von Mephistopheles seinem alten Ziel der Totalität des Erlebens näher zu kommen, setzt demgegenüber voraus, dass Mephistopheles seinem Streben gerecht werden könne. Erhofft sich Faust etwas von Mephistopheles—oder nicht? Verachtet er ihn und seine Dienste—oder nicht? Die Frage nach der Grundhaltung Fausts lässt offenbar zwei gleichermaßen überzeugende, aber einander widersprechende Antworten zu. Doch entweder erhofft sich Faust etwas von Mephistopheles—oder nicht. Entweder verachtet er ihn und seine Dienste—oder nicht. Wir können nicht beides haben.60 Allenfalls könnten wir die Motivation und die Überzeugung, auf die ich das Wett-Angebot Fausts bisher zurückgeführt habe, als eine bloße Laune des Augenblicks betrachten, die im Zuge des Haltungswechsels spurlos verschwindet.61 Die Wette würde dann jedoch schwerlich als dramatischer Knoten des ganzen Stücks gelten können.

III

Was Fausts Motivation bei der Wette angeht, möchte ich mich gemäß meiner Ankündigung mit einer Explikation des Problems zufriedengeben. Weitgehend übergangen habe ich bisher, wie sich Mephistopheles zum Wett-Angebot verhält. Weil er ohne zu zögern mit seinem "Top!" auf die Wette eingeht (1698), hat man im allgemeinen gedacht, dass er dies tue, um die Wette zu gewinnen, d.h.: Faust "auf ein Faulbett zu legen" usw.62 Doch liegen die Dinge so einfach? Die ursprünglich angestrebten Vertragsbedingungen lauteten anders als die Wettformel: "Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden / … Wenn wir uns drüben wieder finden, / So sollst du mir das Gleiche thun" (1656– 59). Und mit der Wettvereinbarung gibt sich Mephistopheles dann auch nicht zufrieden. Er besteht auf einen schriftlichen Vertrag, dessen Bestimmungen zunächst verborgen bleiben.

Das übergeordnete Ziel Mephistos ergibt sich aus dem Gespräch mit dem Herrn im "Prolog im Himmel," der für die Handlung des Dramas zwei Ergebnisse hat. Erstens: Der Herr verzichtet auf seinen vorherigen Plan, Faust "bald in die Klarheit [zu] führen" (309), also über sich selbst und sein Verhältnis zum Herrn aufzuklären.63 Stattdessen überlässt er ihn den Versuchungen des Mephistopheles (323). Dieser darf nun sein übliches Werk verrichten, ohne dass es ihm durch eine göttliche Aufklärung Fausts er schwert würde. Anscheinend bekommt Mephistopheles eine echte Chance.64 Der Herr zieht zwei Ausgänge in Betracht, indem er die Alternative folgendermaßen formuliert:

Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,Und führ' ihn, kannst du ihn erfassen,Auf deinem Wege mit herab, [End Page 45] Und steh' beschämt, wenn du bekennen mußt:Ein guter Mensch, in seinem dunkeln Drange,Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.

(324–29)

Sinngemäß übersetzt: "Wenn du Faust gemäß Deinem Interesse beeinflussen kannst, dann zieh ihn auf Deinem Wege mit hinab; wenn Du hingegen eingestehen musst, dass Faust ein guter Mensch und sich des rechten Weges durchaus bewusst ist, den Versuchungen also letztlich widersteht, dann schäme dich" (323–29). Der Herr lässt also offen, für welchen der beiden Wege Faust sich entscheiden wird. Ich finde keinen ausreichenden Anhaltspunkt für die These, der Herr behaupte und sei davon überzeugt, dass Faust sich des rechten Weges tatsächlich bewusst sein werde.65 Faust soll allerdings ein "guter Mensch" sein.66 Um mit den häufig zitierten Versen aus dem Gedicht Das Göttliche zu sprechen: "Edel sei der Mensch, / Hülfreich und gut!"67 Dieser Maßstab gilt: im humoristischen "Prolog," aber auch in der schrecklichen "Kerker"-Szene, wo die "Stimme von oben" (4611) diesen Maßstab im Fall einer jungen Frau zur Geltung bringt, die sich, bereits wahnsinnig geworden, für ihre Taten selbst verantwortet (4507–8, 4546). Weil sie ihre Schuld anerkennt und büßen will, kann sie gerettet, d.h. begnadigt werden. Damit widerspreche ich der These, Gut und Böse spiele in Goethes Drama keine bedeutende Rolle oder werde als gleichwertig und in der alles umfassenden "Gott-Natur" aufgehoben behandelt.68

Das zweite Ergebnis des Prologs besteht darin, dass Mephistopheles einen neuen Plan fasst: Er wird versuchen, Faust auf "meine Straße" (314) zu führen, die dem "rechten Weg" des Herrn als strafwürdig entgegengesetzt ist: "Staub soll er [Faust] fressen, und mit Lust, / Wie meine Muhme, die berühmte Schlange" (334–35). Mit anderen Worten: So wie die Schlange des Paradieses werde Faust am Ende der Strafe Gottes anheim fallen, gemäß 1. Mose 3,14: "Weil du solches gethan hast, Seistu verflucht fur allem Vieh und fur allen Thieren auff dem felde, Auff deinem Bauch solltu gehen, und erden essen dein leben lang."69 Der traditionellen Aufgabe des Teufels entsprechend, möchte Mephistopheles dazu beitragen, dass Faust moralische Entscheidungen fällt und dabei vom Weg des Rechten und Guten bewusst und folgenschwer abweicht. Dem steht die weit verbreitete These entgegen, Mephistopheles wolle Faust zum Genuss verführen.70 Doch ob mit oder ohne Lust: Das Staubfressen (334) folgt als göttliche Strafe den mephistophelischen Versuchungen nach, unterscheidet sich also von ihnen.71 Auf Genuss kann es Mephistopheles auch gar nicht abgesehen haben, denn er weiß bereits, dass Faust ein ewig unzufriedener Mensch ist (306–7).72

Weit verbreitet ist auch die Rede von einer Wette im Himmel. Wie der Satan in Hiob 1,11 bietet Mephistopheles dem Herrn eine Wette über Fausts Schicksal an: "Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren" (312).73 Mephistopheles gebraucht das Wort "Wetten" hier bereits in der heute geläufigen, oben erwähnten Bedeutung.74 Zwischen Mephistopheles und dem Herrn kommt jedoch kein Wettvertrag zustande. Mephistopheles stellt zwar eine Behauptung auf: "den sollt ihr noch verlieren" (312), doch weder er selbst noch der Herr legt einen Einsatz fest.75 Deswegen ist es aus begrifflichen Gründen unzulässig, von einer Wette zwischen dem Herrn und Mephistopheles zu sprechen.76 Es gibt keine Wette im Himmel.77 [End Page 46]

Als Wette könnte man die mephistophelische Herausforderung zwar in dem begrifflich schwachen Sinn eines bloß rhetorischen Spiels bezeichnen. Doch ich sträube mich dagegen, weil die weit verbreitete Rede von den zwei Wetten eine inhaltliche Ähnlichkeit zwischen ihnen nahe legt, wohingegen ich den Unterschied zwischen der Absprache im Himmel und der Wette auf Erden betonen möchte. Die Absprache im Himmel definiert Mephistos Ziel im Einklang mit dessen angestammter Rolle in der fiktiven göttlichen Weltordnung. Er möchte Faust nicht auf ein "Faulbett" legen, sondern auf die Straße des Bösen leiten. Angenommen, er änderte seine Strategie, und verlegte sich darauf, die Wette mit Faust zu gewinnen, so müsste er sich auf die letzten Worte Fausts berufen: "Zum Augenblicke dürft' ich sagen: / Verweile doch, Du bist so schön! … Im Vorgefühl von solchem hohen Glück / Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick" (11581–86). Doch Mephistopheles reklamiert den Gewinn der Wette keineswegs.78 Im Gegenteil: Er stellt gerade in Abrede, dass Faust auch nur im "Vorgefühl" von "Glück" den "höchsten Augenblick" wirklich genießt (11585–86): "Ihn [Faust] sättigt keine Lust, ihm gnügt kein Glück" (11587). Nur mitleidig registriert er, Faust wünsche den "Augenblick … fest zu halten" (11589–90).

Offenbar hat Mephistopheles die Wette nicht gewinnen wollen. Stattdessen beruft er sich auf den "blutgeschriebnen Titel" (11613), d.h.: auf den von Faust widerwillig akzeptierten schriftlichen Vertrag, der also dem erwähnten ursprünglichen Vorschlag entsprochen haben muss:79 "Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden … Wenn wir uns drüben wieder finden, / So sollst du mir das Gleiche thun" (1656–59). Es hat also den Anschein, als würde Mephistopheles sich nicht viel aus der Wette machen und sie lediglich als eine Vorstufe zum eigentlichen Vertrag akzeptieren, der vorsieht, dass Faust seine Seele mit dem Tod an Mephistopheles verliert.

IV

Sulpiz Boisserée überliefert die Stellungnahme Goethes: "Faust macht im Anfang dem Teufel eine Bedingung woraus schon alles folgt."80 Doch für Mephistopheles folgt aus der Wette offenbar nicht allzuviel—sie ist ihm nur als vorbereitender Schritt zum eigentlichen Abfallen von Gott willkommen. Umso dringender stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die Wette für das Stück hat. Die von Boisserée überlieferte Stellungnahme ist auf die Tatsache zu beziehen, dass Faust darüber befindet, unter welchen Umständen Mephistopheles sich seiner bemächtigen darf. Der siebte in der Wette enthaltene Sprechakt besteht also darin, dass Faust, indem er eine Wette über seine Seele abschließt, eine Regel aufstellt, von der seine Erlösung oder seine Verdammnis abhängt. Sinngemäß lautet diese Regel: "Wenn mich Mephistopheles dazu bringt, dass ich mich zur Ruhe lege und einen schönen Augenblick genieße, dann—und nur dann—darf er mich 'in Fesseln schlagen" usw. Was das für Faust bedeuten würde, hat Jane K. Brown in aller Klarheit formuliert: "His ultimate salvation has nothing to do, then, with what he does during his live, so long as he does something; … Faust's responsibility is not to avoid sin […]"81

Für Faust würden also völlig andere Regeln gelten als für die übrigen mensch lichen Figuren der fiktiven Welt. Seine Aussichten auf Erlösung würden [End Page 47] in keiner Weise dadurch geschmälert, dass er im ersten Teil der Tragödie Gretchen ins Unglück stürzt und letztlich ihre ganze Familie auslöscht oder am Schluss des zweiten Teils den gewaltsamen Tod von Philemon und Baucis verschuldet. Im Gegenteil: Er täte ja etwas und müsste sich solange weder um fragwürdige Beweggründe noch um desaströse Folgen kümmern. Zudem könn te Faust die Dienste des Teufels bedenkenlos in Anspruch nehmen, weil er den Preis dafür niemals entrichten zu müssen glaubt, da er, gemäß der Wette, seine Person dem Teufel nur für einen Fall verspricht, der niemals eintreten wird.82 Genau so wäre die Welt des Dramas beschaffen, wenn Erlösung und Verdammnis der in der Wette aufgestellten Regel folgten. (Der Grund dafür, dass Mephistopheles ihn zu allen diesen Taten anstiftet, läge dann nur in ihrem zerstörerischen, nicht aber in ihrem bösartigen Charakter).

Der Herr im "Prolog" hatte allerdings eine andere Regel aufgestellt: Erweist sich Faust als ein "guter Mensch," der den "rechten Weg" kennt und im Fall der Verirrung auf ihn zurückfindet, dann darf er auf Erlösung hoffen (324– 29). Und umgekehrt, parallel zur Wette formuliert: Wenn Faust sich so weit schuldig macht, dass er dieses Kriterium nicht erfüllt, dann und nur dann darf Mephistopheles ihn "in Fesseln schlagen," dann wird Faust "zu Grunde gehen." Sowohl der Herr als auch Faust stellen eine Regel über Verdammnis und Erlösung auf. Doch nur einer der beiden ist dazu befugt. Zwei unterschiedliche Regeln können nicht zugleich gelten. Und selbst in dem Fall, dass der Nichtbefugte eine Regel aufstellte, die der vom Befugten aufgestellten genau entspricht, so würden Erlösung und Verdammnis zwar gemäß der vom Nichtbefugten aufgestellten Regel, aber nicht kraft dieser Regel eintreten.

Wird der von Faust vollzogene Sprechakt wirksam, sodass die in der Wette aufgestellte Regel diejenige des Herrn ersetzt? Die himmlischen Heerscharen, die "Faustens Unsterbliches" dem Teufel entwenden (nach 11824), handeln nach dem Grundsatz: "Wer immer strebend sich bemüht / Den können wir erlösen" (11936–37). "Wer" interpretiere ich als "Jeder, der. …" Dieser Grundsatz findet also bei allen Menschen Anwendung, nicht nur bei Faust. Zudem setzen die himmlischen Heerscharen eine bestimmte Richtung des Strebens und Bemühens voraus, in dem Sinne, "daß ein aus schweren Verirrungen immerfort zum Besseren aufstrebender Mensch zu erlösen sei."83 Es kommt also sehr wohl darauf an, wonach jemand strebt. Diese Regel weicht in Geltungsbereich und Inhalt deutlich von der Wette ab und entspricht im Wesentlichen derjenigen des Herrn. Nach den Maßstäben der fiktiven göttlichen Weltordnung hängt Fausts Erlösung also vom Ausmaß seiner Schuld bzw. von dem ab, was ihr entgegensteht.

Eudo Mason hat Mephistos Verhalten folgendermaßen beschrieben:

Ignoring those conditions [d.h. die Bedingungen der Wette], he sets about procuring Faust's damnation by the good, old-fashioned, and well-tried method of involving him in guilt, crime, and sin—just like any other normal devil; not by the strange, paradoxical method of trying to make him so contented that he might feel inclined to say to the passing moment: "Verweile doch […]"84

Unter der Voraussetzung, dass die vom Herrn aufgestellte Regel (323–29) nach wie vor gilt, handelt Mephistopheles zweckmäßig. Weder ihm selbst noch Faust steht es hingegen frei, die Regeln, von denen in diesem Fall Erlösung [End Page 48] oder Verdammnis abhängen, willkürlich zu ändern. Die Bestimmungen der Wette sind daher, was Fausts Schicksal nach dem Tod angeht, null und nichtig. Sie bereitet nur das eigentliche Bündnis und praktische Zusammenwirken mit Mephistopheles vor—darin besteht ihre wichtigste Folge. Umso mehr stellt sich deswegen die Frage, in welchem Sinn die Wette überhaupt als dramatischer Knoten oder dramaturgisches Herzstück gelten kann.85

Gerrit Brüning
Klassik Stiftung Weimar

Anmerkungen

1. Schubarth an Goethe, 17./18. u. 20. Oktober 1820, in Alexander R. Hohlfeld, "Karl Ernst Schubarth und die Anfänge der Fausterklärung," Internationale Forschungen zur deutschen Literaturgeschichte. Julius Petersen zum 60. Geburtstag, hg. v. H[erbert] Cysarz u.a. (Leipzig: Quelle & Meyer, 1938) 101–26, hier 103.

2. H[ermann] A[ugust] Korff, Geist der Goethezeit. Versuch einer ideellen Entwicklung der klassich-romantischen Literaturgeschichte, Tl. 1: Sturm und Drang (Leipzig: Weber, 1943) 319.

3. Hans-Jürgen Schings, "Fausts Verzweiflung," Goethe-Jahrbuch 115 (1998): 97–123, hier 99.

4. Jochen Schmidt, Goethes Faust. Erster und Zweiter Teil. Grundlagen—Werk—Wirkung (Munich: Beck, 1999) 117; ähnlich bereits Eudo C. Mason, Goethe's Faust. Its Genesis and Purport (Berkeley, Los Angelas: U of California P, 1967) 298.

5. So bereits Paul Requadt, Goethes "Faust I": Leitmotivik und Architektur (München: Fink, 1972) 126; Géza von Molnár, "The Conditions of Faust's Wager and Its Resolution in the Light of Kantian Ethics," Publications of the English Goethe Society 51 (1980–81): 48–80, hier 48.

6. Hans-Heinrich Baumann, "Shylock und Mephisto. Über den juristischen Mechanismus der 'Wette' im Faust (Vorläufige Mitteilung)," Wirkendes Wort 52, H. 1 (2002): S. 35–56, hier 35.

7. Schings (Anm. 3) 119–20.

8. Albrecht Schöne, "Erläuterungen," Faust. Kommentare (Frankfurt am Main, Leipzig: Insel, 2003) 147–924, hier 261.

9. Alexander R. Hohlfeld, "Pact and Wager in Goethe's Faust," Modern Philology 115 (1920/21): 113–36, hier 116–36.

10. Goethe an Schiller, 3./4. April 1801, NA, Bd. 39.1, 51.

11. So Karl Heinrich Hucke, "Kommentar," Goethe: Faust. Eine Tragödie. [1808], hist.-krit. ed. u. komm. v. Karl Heinrich Hucke (Münster: Aschendorff, 2008) 277–794, hier 560.

12. Schings (Anm. 3) 119.

13. Die Zitate aus Goethes Faust folgen: Faust. Der Tragödie erster Theil, bearb. v. Ernst Grumach u. Inge Jensen (Berlin [DDR]: Akademie-Vlg., 1958; Werke Goethes, hg. v. d. Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin unter Leitung von Ernst Grumach, Faust, Bd. 2); "Faust. Der Tragödie zweiter Theil. In fünf Acten. (1831.)," textkrit. bearb. v. Uvo Hölscher, Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, Bd. 18.1: Letzte Jahre. 1827–1832, hg. v. Gisela Henckmann und Dorothea Hölscher-Lohmeyer (München: Hanser, 1997) 103–351. [End Page 49]

14. John R. Searle, Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language (New York: Cambridge UP) 23.

15. Diese Kausalität wird häufig unproblematisch vorausgesetzt. Matussek behauptet, die "Gelehrtentragödie … läuft konsequent auf Fausts Wettverbindung mit Mephisto zu" (Peter Matussek, "Faust I," Goethe-Handbuch, Bd. 2, hg. v. Theo Buck [Stuttgart: Metzler, 1996] 352–90, hier 363). Schmidt spricht sogar teleologisch von einem "Ziel," welches das psychische Geschehen in der Wette finde (Schmidt [Anm. 4] 118–19).

16. Eine solche Sicht referiert Schöne (Anm. 8) 261.

17. Der Begriff der "großen Lücke" stammt aus Goethe an Schiller, 3./4. April 1801, NA, Bd. 39.1, 51.

18. Jacob u. Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 14.1.2 (Leipzig: Hirzel, 1960) Sp. 675.

19. Hucke (Anm. 11) 593, 595.

20. Dagegen Brown: Die Wette sei "not a pact" (Jane K. Brown, Goethe's Faust. The German Tragedy, 2. Aufl. [Ithaca, London: Cornell UP, 1987] 80); ähnlich Nicholas Boyle, "Der religiöse und tragische Sinn von Fausts Wette," "Verweile doch"—Goethes Faust heute. Die Faust-Konferenz am Deutschen Theater und Michael Thalheimers Inszenierungen, hg. v. Michael Jaeger u.a. (o.O.: Henschel, 2006) 37–45, hier 38.

21. Nach Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 14.1.2, Sp. 673.

22. Dasselbe gilt meiner Meinung nach für das Verharren: "Wie ich beharre bin ich Knecht" (1710). Man könnte sich zwar vorstellen, dass jemand sinngemäß bloß konstatiert: 'Sobald ich in irgendeinem einem Zustand verharre, bin ich schon ein Gefangener.' Faust äußert sich jedoch im unmittelbaren Zusammenhang des Vertrages; er stellt nicht fest, was für seine eigene künftige Beschaffenheit ohnehin (aus analytischen Gründen) gegolten hätte, sondern er legt fest, was nur infolge dieses Aktes gilt und sonst nicht gegolten hätte: dass Mephistopheles über ihn verfügen darf, sobald Faust in einem Zustand der Manipulation verharrt. Diese zusätzliche Bestimmung kann in der verbalen Form einer konstatierenden Äußerung stehen, weil sich ihr vertraglicher Charakter bereits aus dem Kontext ergibt.

23. So auch Schmidt (Anm. 4) 130.

24. So Schings (Anm. 3) 121.

25. So Karl Eibl, "Zur Bedeutung der Wette im 'Faust,'" Goethe-Jahrbuch 116 (1999): 271–80, hier 276.

26. So Eibl (Anm. 25) 277.

27. Schings (Anm. 3) 121–22.

28. So Schings (Anm. 3) 121–22.

29. Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 3 (Leipzig: Hirzel, 1862) Sp. 1372–1373; dagegen Hucke 592.

30. Hermann J. Weigand, "Wetten und Pakt in Goethes "Faust,'" Monatshefte für deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Literatur 53 (December 1961): 325–37, hier 331; Schings (Anm. 3) 121.

31. Dies fragt bereits Stuart Atkins, Goethe's Faust. A Literary Analysis (Cambridge, MA: Harvard UP, 1958) 47; Molnár, The Conditions of Faust's Wager, 56, 59; Matussek (Anm. 15) 366; Schmidt (Anm. 4) 131, 133; Hartmut Reinhardt, Die kleine und die große Welt. Vom Schäferspiel zur kritischen Analyse der Moderne: Goethes dramatisches Werk (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008) 318–19.

32. Die genannte Antwort erwägt Lange an Verfasser, 1. Januar 2009. [End Page 50]

33. So bereits Wolfgang Binder, Goethes Faust: Die Szene "Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist" (Gießen: Schmitz, 1944) 53.

34. So auch Molnár, The Conditions of Faust's Wager, 56.

35. So auch Molnár, The Conditions of Faust's Wager, 56.

36. Gaier hat allerdings darauf hingewiesen, dass Faust in der Folge an all dem Gefallen finde, was er verfluche (Ulrich Gaier, Johann Wolfgang Goethe. Faust-Dichtungen, Bd. 3: Kommentar II [Stuttgart: Reclam, 1999] 667–68).

37. Lange an Verfasser, 1. Januar 2009. Weitere klärende Hinweise zum Fluch verdanke ich Simon Rein (Berlin).

38. Platon, Sämtliche Dialoge, Bd. 5: Der Staat, übers. v. Otto Apelt, (Leipzig: Meiner, 1923) 273 (Buch 7). Auch bei Platon gibt es das "menschliche Jammertal" (ebd.). Bemitleidenswert aus der Perspektive der wahrhaft Sehenden erscheinen die Bewohner der Höhle aber, weil ihnen die Einsicht in die göttliche Idee des Guten fehlt, nicht die Einsicht in das verschleierte Leid ihres Daseins.

39. Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung I und II, hg. v. Ludger Lütkehaus, 2. Aufl. (München: Deutscher Taschenbuch Vlg., 2002) 666 (Bd. 2, Ergänzungen zum 4. Buch, Kap. 46).

40. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, 215 (Bd. 1, § 27).

41. Hohlfeld, Pact and Wager, 125, 128; Gerhard Storz, "Einführung in Goethes Faust, beschränkt auf den ersten Teil von Faust I," Goethe-Vigilien oder Versuche in der Kunst, Dichtung zu verstehen (Stuttgart: Klett, 1953) 148–95, hier 191; Atkins (Anm. 31) 45; Weigand (Anm. 30) 326; Géza von Molnár, "Die Fragwürdigkeit eines Fragezeichens. Einige Überlegungen zur Paktszene," Goethe-Jahrbuch 96 (1979): 270–79, hier 276–77; ders., The Conditions of Faust's Wager, 59; Matussek (Anm. 15) 366; Eibl (Anm. 25) 275–76; Schöne (Anm. 8) 260; Schmidt (Anm. 4) 131–33; Boyle, Der religiöse und tragische Sinn von Fausts Wette, 38. Kritisch dagegen Schings (Anm. 3) 120–21.

42. So auch Schings (Anm. 3) 120. Skeptisch bereits Storz (Anm. 41) 191. Dagegen Molnár, Die Fragwürdigkeit eines Fragezeichens, 277–78; ders., The Conditions of Faust's Wager, 59–60; Gaier (Anm. 36) 671; Schmidt (Anm. 4) 132.

43. Storz (Anm. 41) 190; Weigand (Anm. 30) 326; Requadt (Anm. 5) 153–54; Matussek (Anm. 15) 366; Gaier (Anm. 36) 670, 673–74; Nicholas Boyle, Goethe. The Poet and the Age, Bd. 2: Revolution and Renunciation (1791–1803) (Oxford: Clarendon Press, 2000) 766.

44. Goethe, Faust. Der Tragödie erster Theil, bearb. v. Erich Schmidt (Weimar: Böhlau, 1887 [WA, Abt. I, Bd. 14]) 81.

45. H. G. Fiedler, Textual Studies of Goethe's Faust (Oxford: Blackwell, 1946) 26–27.

46. Molnár, Die Fragwürdigkeit eines Fragezeichens, 274–75; erneut ders., The Conditions of Faust's Wager, 57–58.

47. Gaier (Anm. 36) 671; Schmidt (Anm. 4) 131–32.

48. Fiedler 26; Molnár, Die Fragwürdigkeit eines Fragezeichens, 275.

49. So bereits Fiedler (Anm. 45) 26; so auch die ältere Goetheforschung (referiert bei Molnár: Die Fragwürdigkeit eines Fragezeichens, 270) und Molnár selbst (ebd. 275); Eibl (Anm. 25) 275; Schöne (Anm. 8) 259; Hucke (Anm. 11) 584.

50. So auch Molnár, Die Fragwürdigkeit eines Fragezeichens, 278; ders., The Conditions of Faust's Wager, 59; Schöne (Anm. 8) 259. Warum Faust nach den erstaunlichen Bäumen verlangt, die sich täglich neu begrünen (1687), bleibt dagegen unklar; so auch Eibl, der als Erklärung die "Bildphantasie Goethes" bemüht (Eibl [Anm. 25] 275). [End Page 51]

51. Dagegen halten Eibl und Boyle dies für eine Fehlleistung (Eibl [Anm. 25] 276; Boyle, Goethe, Bd. 2, 766). Molnár interpretiert die Antwort als partielles Zugeständnis (Molnár, Die Fragwürdigkeit eines Fragezeichens, 278; ders., The Conditions of Faust's Wager, 59).

52. Dagegen Molnár: Mephistopheles wolle Güter nach der Art der verächtlichen Aufzählung darreichen (Molnár, Die Fragwürdigkeit eines Fragezeichens, 278). Dagegen auch Schmidt: Mephistopheles sei es primär um ein Leben in "Ruhe" zu tun (Schmidt [Anm. 4] 68, 132; ähnlich Boyle, Goethe, Bd. 2, 766; Hucke [Anm. 11] 592).

53. Dagegen Reinhardt (Anm. 31) 318.

54. So auch Boyle, Goethe, Bd. 2, 766.

55. So bereits Hohlfeld, Pact and Wager, 128; Storz (Anm. 41) 190–91; Boyle, Der religiöse und tragische Sinn von Fausts Wette, 38, 41. Ähnlich, dann jedoch im gegenteiligen Sinn, Requadt (Anm. 5) 156.

56. So auch Atkins, entgegen seiner vorherigen Annahme, dass Faust damit für sein wissenschaftliches Streben büßen wolle (Atkins [Anm. 31] 48). Schmidt reduziert Fausts Wunsch zunächst auf Selbstbetäubung (Schmidt [Anm. 4] 133), erkennt dann jedoch darin ein Ganzheitsstreben wieder (ebd. 135).

57. Ähnlich bereits Mason (Anm. 4) 308.

58. So auch Binder (Anm. 33) 8.

59. Vgl. die ausführliche Diskussion bei Binder (Anm. 33) passim.

60. Verschiedene Forscher haben dagegen versucht, diese beiden Dinge in Einklang zu bringen (Molnár, The Conditions of Faust's Wager, 61; Matussek (Anm. 15) 366; Schmidt (Anm. 4) 133–37).

61. Faust würde dann in seiner Haltung gegenüber Mephistopheles sehr stark schwanken: In der ersten "Studirzimmer"-Szene strebt Faust von sich aus einen Pakt an (1414–15) und drängt auf eine schnelle Zusage (1423); im ersten Teil der zweiten "Studirzimmer"-Szene verachtet er Mephistopheles und hält seine Gaben für nichtig; im zweiten Teil der zweiten "Studirzimmer"-Szene hofft und verlangt Faust dann, dass Mephistopheles ihm zur Totalität des Erlebens verhelfe; und schließlich freundet er sich mit den partikularen Erfahrungen an.

62. So Hohlfeld, Pact and Wager, 125; Binder (Anm. 33) 7; Storz (Anm. 41) 192; Weigand (Anm. 30) 330 (implizit vorausgesetzt); Gaier (Anm. 36) 672–80, 686; Schmidt (Anm. 4) 67.

63. Dies ignoriert Storz (Anm. 41) 160.

64. So auch Hohlfeld, Pact and Wager, 117, 118; Mason (Anm. 4) 285; Peter Michelsen, "Die Wette, Zu Goethe: Faust 'Prologue im Himmel,'" Im Banne Fausts (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2000) 38–52, hier 48–49.

65. So jedoch Hohlfeld, Pact and Wager, 117, 118–19; Weigand (Anm. 30) 325; Charlotte Spivack, "Job and Faust: The Eternal Wager," Centennial Review 15 (1971): 53–69, hier 53; Requadt (Anm. 5) 44; Matussek (Anm. 5) 363; Gaier (Anm. 36) 663; Michelsen (Anm. 64) 49.

66. Bereits Hohlfeld spricht von moralischer Autonomie und paraphrasiert: "das Wahre, Schöne, Gute" (Hohlfeld, Pact and Wager, 119). Vor ausdrücklich kantischem Hintergrund Molnár: "Faust's career can only be justified or condemned on ethical grounds" (Molnár, The Conditions of Faust's Wager, 50; vgl. auch ebd. 54–55).

67. MA, Bd. 2.1, 90; FA, Abt. I, Bd. 1, 333. [End Page 52]

68. Mason (Anm. 4) 280–82 (trotz gewisser Abstriche); Matussek (Anm. 15) 363; Eibl (Anm. 25) 280; Schmidt (Anm. 4) 64–65, 126–27, 130; Rolf Christian Zimmermann, "Goethes Humanität und Fausts Apotheose. Zur Problematik der religiösen Dimension von Goethes 'Faust'," Goethe-Jahrbuch 115 (1998): 125–46, hier 133–35. Differenzierend Storz (Anm. 41) 160–61.

69. Martin Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe, Abt. III: Deutsche Bibel. 1522–1546, Bd. 8: Die Übersetzung des Ersten Teils des Alten Testaments (Die 5 Bücher Mose), bearb. v. Hans Volz (Weimar: Böhlaus Nachfolger, 1954) 45.

70. Weigand (Anm. 30) 325; Gaier (Anm. 36) 677, 686, 682; Schmidt (Anm. 4) 136; vage ähnlich Michelsen (Anm. 64) 49.

71. Hierauf wies mich Horst Lange hin (Lange an Vf., 1. 1. 2009). Dagegen Hohlfeld, Pact and Wager, 119, 130.

72. So bereits Mason (Anm. 4) 305.

73. Zum Vergleich: "Was gilts, er wird dich ins angesicht segenen?" (Luther, Werke, Abt. III, Bd. 10.1: Die Übersetzung des Dritten Teils des Alten Testaments [Buch Hiob und Psalter], bearb. v. Hans Volz [Weimar: Böhlaus Nachfolger] 9).

74. Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 14.1.2, Sp. 673–74. Dagegen übersetzt Hucke 'Wette' mit der älteren Bedeutung des eingesetzten Pfandes (Hucke [Anm. 11] 593, 595).

75. Die wechselseitig gestellte Forderung, den jeweiligen Ausgang anzuerkennen (327–29, 332–33), wird von beiden akzeptiert (330, 336), doch eine solche Anerkennung (und der sie evtl. begleitende Gemütszustand) kommt nicht als Einsatz in Frage, weil sie zwar festlegen könnte, dass, aber nicht, was einer dem anderen schuldet (dagegen Eibl [Anm. 25] 274; Michelsen [Anm. 64] 49). Wenn der Herr, gemäß der Behauptung des Mephistopheles, Faust "verlieren" sollte (312)—und Mephistopheles dementsprechend triumphieren könnte—, dann müsste er, gemäß dem "Was wettet ihr?" (ebd.) zusätzlich noch das verlieren, worum er gewettet hatte.

76. Obwohl selbst er von einer Wette im Himmel spricht, hat Hohlfeld dies im Grunde bereits eingeräumt: "the Lord says nothing which could be construed as the acceptance of a wager. … It is only by common consent that we can speak of a wager in Heaven between the Lord and Mephistopheles" (Hohlfeld, Pact and Wager, 115, 122, 117); ähnlich Schöne (Anm. 8) 173.

77. Requadt (Anm. 5) 42. Dagegen (z. T. trotz der Feststellung, dass der Herr auf die Wette nicht eingeht) Binder (Anm. 33) 86; Storz (Anm. 41) 158–59, 189; Weigand (Anm. 30) 325, 329; Eibl (Anm. 25) 271, 273, 275; Gaier (Anm. 36) 663 (trotz ebd. 664), 681, 686–87; Michelsen (Anm. 64) 49; Reinhardt (Anm. 31) 317. Widersprüchlich Mason (Anm. 4) 276 im Ggs. zu 298–99; Unentschieden Schings (Anm. 3) 122; Rüdiger Volhard, "Wer hat die Wette gewonnen?," "Die wahre Liberalität ist Anerkennung": Goethe und die Jurisprudenz, hg. v. Klaus Lüderssen (Baden-Baden: Nomos, 1999) 89–97, hier 93.

78. Dagegen Hohlfeld, Pact and Wager, 134; Schöne (Anm. 8) 753; Boyle, Goethe, Bd. 2, 768. Auch Weigand bemerkt, allerdings mit anderer Schlussfolgerung, dass Mephistopheles nicht den Gewinn der Wette reklamiert, attestiert einen solchen Anspruch jedoch den Lemuren (Weigand [Anm. 30] 333–35).

79. Weigand identifiziert den Inhalt des unterschriebenen Vertrags ebenfalls mit dem genannten Vorschlag, hält aber dennoch das Kriterium der Wette für entscheidend (Weigand [Anm. 30] 328–29). Auch Schöne interpretiert den Vertrag offenbar "im Sinn des alten Teufelspakt" (Schöne [Anm. 8] 262). Meist werden jedoch Wette und Vertrag inhaltlich als gleich behandelt (Hohlfeld, Pact and Wager, 129; Atkins [End Page 53] (Anm. 31) 46–47; Requadt (Anm. 5) 128; Gaier (Anm. 36) 682; Boyle, Goethe, Bd. 2, 768). Dass der Vertrag im Sinne von V. 1656–59 die Wette weitgehend entwerte, trifft zu, widerlegt aber noch nicht dessen Gültigkeit (dagegen Hohlfeld, Pact and Wager, 124).

80. Sulpiz Boisserée: Tagebücher, im Auftr. d. Stadt Köln hg. v. Hans-J. Weitz, Bd. 1:1808–1823 (Darmstadt: Roether, 1978) 229.

81. Brown (Anm. 20) 80. Ähnlich bereits Mason (Anm. 4) 303.

82. Dies glaubt Schmidt (Schmidt [Anm. 4] 130).

83. Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, Tl. 3 (Magdeburg: Heinrichshofen, 1848) 127 (6. Mai 1827).

84. Mason (Anm. 4) 307.

85. Korff (Anm. 2) 319; Schmidt (Anm. 4) 117. [End Page 54]

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