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  • Die Poetik des Extremen: Ausschreitungen einer Sprache des Radikalen
  • Gerrit-Jan Berendse
Uwe Schütte . Die Poetik des Extremen: Ausschreitungen einer Sprache des Radikalen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006. 551 pp. € 49.40. ISBN 3-525-20845-6.

Schüttes Studie begibt sich auf eine abenteuerliche Reise über die Ränder der offiziellen Kulturhistorie hinaus, in der die Schriftsteller sich durch Selbstaufgabe und Intransigenz auszeichnen. Das Buch besticht nicht nur, weil in jedem der sieben Kapitel die politischen oder psychologischen Kontexte detailliert ausgewertet werden, sondern vor allem auch dann, wenn der in Großbritannien lehrende Germanist mit akribischer Sorgfalt Texte einzelner Autoren analysiert.

Dabei setzt sich Schütte allerdings methodologischen Problemen aus, die er nur teilweise zufriedenstellend löst. Da ihm bei der Arbeit kein ausgearbeitetes Konzept einer brauchbaren "extremistischen" Poetik vorlag, wird der Verfasser der vorliegenden Studie gezwungen, in einem methodologischen Vakuum zu operieren, das er mit einem Pluralismus von Herangehensweisen füllt. Es kommt zu einer Mischung aus Hannah Arendts Totalitarismus-Thesen und den theoretischen Schriften von Walter Benjamin, Georges Bataille, Gilles Deleuze, Félix Guattari und anderen. Letztendlich setzt Schütte auf die Dynamik des einzelnen Textes, macht er aus der Not eine Tugend, um das Unerlaubte und Unsagbare besser bestimmen und erfassen zu können: "Die Richtung der Analyse wird von der Dynamik der Texte selbst vorgegeben, anstatt sie unter eine theoretische Vorgabe zu zwingen. Die Interpretationen verfahren weitgehend hermeneutisch" (11). An vielen Stellen gelingt diese Herangehensweise und ermöglicht Schütte tatsächlich neue Einblicke und interessante Interpretationen einzelner Texte, der Arbeit hätte jedoch eine strengere Herangehensweise und zwingendere Struktur nicht geschadet, um auf diese Weise von der detaillierten Arbeit am einzelnen Text expliziter auf einen Gesamteindruck schließen zu können. Dieser hätte in einem (jetzt fehlenden) Schlusskapitel untergebracht werden können. In der conclusio wäre es angebracht gewesen, näher auf die keineswegs verschwiegenen, jedoch ausarbeitungsbedürftigen literarischen Korrespondenzen des Extremen einzugehen. Ein weiteres Manko ist das fehlende Personenverzeichnis, in dem die Dialogizität zwischen den "Quersprechern" durch die Jahrhunderte besser hätte quantifiziert werden können.

Das Lobenswerte am vorliegenden Buch ist, dass Schütte es geschafft hat, trotz der ausführlichen soziologischen Analysen nicht den Blick auf die sprachlichen Feinheiten der einzelnen literarischen Texte verliert, es also versteht, Politik und Dichtung einem Spannungsfeld auszusetzen, um neue Einsichten zu generieren. Dieses Talent offenbart Schütte ebenfalls, wenn er in den Dunkelkammern der Psyche einzelner Schriftsteller wühlt und den Beziehungen zwischen Wahnsinn und Text nachgeht. Nachdem im ersten Kapitel die extreme Poetik Heinrich von Kleists ausgeleuchet wird, macht Schütte einen Zwischenstopp bei Friedrich Hölderlin, dessen poetische Grundlage klassisch erscheinen mag, seine Sprache aber dem Exzentrischen verschrieben war. Hölderlins besondere Vorliebe, so Schütte, gehört den Ausdrücken "Wahnsinn," "Zorn," "wüten" und "wild," sowohl in den Übersetzungen aus dem Griechischen als auch in den eigenen Texten. Er bezieht sich zielsicher auf die Markierungen in Hölderlins Sprachverfassung, die das Radikale transportieren: "Der Ausdruck wird knapper, der gedankliche Inhalt wird verdichteter, kurze Sätze oder gar einzelne Worte unterbrechen den Rhythmus, wodurch – ähnlich wie bei Kleist – ein Gefühl der Atemlosigkeit entsteht" (160). Schütte macht die Poetik anschaulich, wenn er sich [End Page 421] unter anderem in die Verwendung des Gedankenstrichs und Vorliebe fürs Fragment der Hölderlinschen Spätdichtung vertieft.

Sehr deutlich wird dargestellt, auf welche Weise zum Beispiel Georg Büchner Hölderlins Balanceakt zwischen Wahnsinn und politischer Widerspenstigkeit fortsetzt. Sehr schön herausgearbeitet wird Büchners Konzept des Experimentellen, womit dieser sich von den Zentren der Macht zu distanzieren wusste, ästhetische und politische Konventionen zu unterminieren, sich auf diese Weise von der Mitte zu entfernen. Der Revolutionär manövrierte sich in ein Dauerexil, in dem er seine Poetik des Extremen weiter verfeinerte. Für Schütte gilt allgemein die These, dass "Extremistische Schrifsteller [...] keinen soliden Ort in der Gesellschaft [haben]; sie leben in Isolation, schweifen unstet umher oder werden ins Exil vertrieben" (12), wie auch Hans Mayer in seinem 1975 erschienenen Buch Außenseiter notierte.

Ein großer Bonus von Schüttes Arbeit ist, dass es ihm gelingt, dem 20. Jahrhundert die Exklusivität des Themas Extremismus abzusprechen...

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