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MLN 116.3 (2001) 617-619



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Book Review

Literature and German Reunification Dorle und Wolf


Stephen Brockmann, Literature and German Reunification. Cambridge, New York: Cambridge University Press, 1999. xii, 245 pages.

In der Einleitung zu seiner Gegenüberstellung und Überblicksdarstellung von deutscher Literatur und Wiedervereinigung postuliert Brockmann leidenschaftlich nicht nur die Aktualität des Begriffs der Kulturnation, sondern schreibt ihm eine unanfechtbare Rolle als pulsierendes Zentrum deutschen Selbstverständnisses zu. Die enthusiastische Kundgabe einer derart optimistischen kulturnationalen Meinung wird allerdings nicht argumentativ gestützt, und die angeblich unbestreitbare Relevanz literarischer Gewissenslaute für die deutsche politische Öffentlichkeit wird von Brockmann nicht schlüssig und überzeugend nachgewiesen. Stattdessen plaziert er wiederholt Spiegelungen einer unrühmlichen SPIEGEL-Titelseite, auf der Reich-Ranicki ein weites Textfeld des Günter Grass zu zerstören vermeint. Die Selbstinszenierung von Medienstars verleitet Brockmann zur nicht hinterfragten Annahme, in Deutschland finde eine gegenseitige Bereicherung von res publica litteraria und Zivilgesellschaft statt.

Die einzelnen Kapitel paraphrasieren eine Reihe differenzierter literarischpolitischer Standortbestimmungen. Brockmann präsentiert ein reichhaltiges Spektrum textueller Verarbeitungsstrategien der Wiedervereinigung. Die Liste der referierten Autoren kontrastierender politischer Couleurs reicht von Martin Walser und Botho Strauß bis zu Christa Wolf und Günter Grass und schließt auch zahlreiche weniger illustre literarische Stimmen wie [End Page 617] diejenige Wolfgang Hilbigs mit ein. Brockmann versteht es, politische oder geographische Einseitigkeit zu vermeiden und bietet zudem eine Fülle zeitgeschichtlicher Hintergrundinformationen.

Im ersten Kapitel ("Searching for Germany in the 1980s") präsentiert Brockmann Christa Wolfs Gesamtwerk, Martin Walsers 1987 erschienenen Roman Dorle und Wolf sowie ein Gedicht von Botho Strauß als herausragende Beispiele grenzüberschreitenden Schreibens, das eine "literary convergence" (26) der beiden deutschen Staaten inauguriert habe. Das zweite Kapitel ("A third path?") vergleicht skeptische bis enttäuschte Wiedervereinigungsreden von Christa Wolf, Günter Grass, Christoph Hein und Wolf Biermann, deren Vision eines einzuschlagenden "dritten Weges" eines nichtkapitalistischen Demokratiewagnisses sich rasch als von Realitätenvermittlern zugestellt erwiesen habe. Im dritten Kapitel ("Literature and politics") werden die Feuilletonattacken gegen Christa Wolf paraphrasiert und in einen Kontext mit dem Historikerstreit gestellt. Kapitel 4 ("Literature and the Stasi") vertieft die Diskussion der komplexen Beziehung von DDR-Autoren und Staatssicherheit und ihre Thematisierung in neueren Romanen u.a. von Wolfgang Hilbig, Fritz Rudolf Fries, Brigitte Burmeister und Thomas Brussig. Im fünften Kapitel ("The rebirth of tragedy?") geht es um eine "conservative tradition" (113), insbesondere um den 1993 publizierten Anschwellenden Bocksgesang von Botho Strauß. Das sechste Kapitel ("The defense of childhood and the guilt of the fathers") bespricht Martin Walsers 1991 erschienenen Roman Die Verteidigung der Kindheit, in dem in differenzierter Manier ein psychologisches Porträt eines von der Vergangenheit Besessenen gezeichnet wird. Das Schlußkapitel ("The time and the place of the nation") plädiert unter Hinweis auf Sten Nadolnys Roman Die Entdeckung der Langsamkeit (1983) für ein behutsames und offenes Nach- und Vordenken deutscher Einheit, bleibt jedoch nicht frei von vorschnellen Urteilen wie "Wenders is of course wrong" (195).

Brockmann verzichtet vor und während seiner thematischen Erkundungstour auf methodologische Reflexionen. Seine nützliche und unbedingt lesenswerte Toposforschung zum Mauerfall unterläßt es leider, immer wieder darauf hinzuweisen, daß beispielsweise Walsers oder Wolfs Romane nicht ausschließlich als kommentierende Reaktionen auf Zeitgeschichte zu verstehen sind. Ein pluralitätsfreundliches hermeneutisches Caveat sucht man vergeblich.

Während Brockmann einerseits bedenkenlos Texte sammelt und auf ihren wendezeitlichen Aussagewert hin abklopft, zieht er sich andererseits unnötige und wenig nachvollziehbare Grenzen. Ohne stringente Argumente zu nennen und sich lediglich vage auf George Steiner und Georg Lukács berufend, spricht Brockmann lyrischen Texten jedwede Rolle für eine politische Meinungsgewinnung ab, obwohl er selbst ein Gedicht von Botho Strauß kommentiert (39f.). Lyrik zeitige keine nennenswerten "sozialen Implikationen und Resonanzen" (19). Dieser unverständliche Genremauerbau hat zur Folge, daß einige der wichtigsten literarischen Stellungnahmen gegen ein einheitliches Zerreden von Deutschland nicht zur Sprache kommen, [End Page 618] beispielsweise die Gedichte Günter Kunerts und Volker Brauns aus den letzten zehn Jahren.

Vollständigkeit in der Darbietung relevanter Textgrundlagen sollte man von einem Buch zur Gegenwartsliteratur nicht ernsthaft verlangen. Gleichwohl vermisst man in Brockmanns instruktiver Zusammenfügung konziser Paraphrasen und Leselust weckender plot summaries...

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