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  • Die Studentenbewegung und die RAF als deutscher Familienroman.Jüngste literarische Erkundungen einer jüngeren Vergangenheit
  • Hans-Joachim Hahn (bio)

Gerd Koenens Besprechung dreier Neuerscheinungen, die 2005 zu Gudrun Ensslin und Bernward Vesper veröffentlicht wurden, eröffnet mit der These, ihrer psychologischen Wirkung nach trüge die Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF) Züge eines "deutschen 11. September." Allerdings weist er auf einen zentralen Unterschied hin: der Angriff der RAF sei aus der Mitte der "eigenen Gesellschaft" gekommen. Genau in dieser Differenz vermutet er den Grund, warum er die deutsche Gesellschaft bis heute beschäftige (Koenen, "Solidarität ist eine heiße Kiste" 59). Die Geschichte der RAF als Angriff aus der Mitte der eigenen Gesellschaft bindet sie zurück an das sie begleitende soziale und politische Milieu der Studentenbewegung. Um Belege für die schwerwiegende psychologisch-kulturelle Bedeutung der Geschichte der RAF sowie der Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre insgesamt zu finden, muss nicht lange gesucht werden. Dabei kann sowohl auf zwei größere Debatten der letzten Jahre, als auch auf eine beträchtliche Anzahl von jährlichen Neuerscheinungen verwiesen werden. Schließlich hat sich auch die Literaturwissenschaft während der letzten Jahre verstärkt des Themas angenommen (z.B. Berendse/Williams; Cornils; Giels/Oergel; Preußer/Galli). Im Sommer 2003 wurde in den deutschen Medien über ein Ausstellungsprojekt gestritten, das u.a. auch mit Hilfe öffentlicher Gelder finanziert werden sollte. Die Kritik am Ausstellungsprojekt entzündete sich dabei zunächst vor allem an seinem ursprünglichen Titel "Mythos RAF," dem eine Glorifizierung der terroristischen Vereinigung und eine Legitimierungsabsicht gegenüber den Verbrechen der RAF unterstellt wurde. Die Ausstellung konnte schließlich Anfang 2005 doch gezeigt werden, jetzt unter dem Titel: "Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung" (siehe u.a. Holpert). Vorausgegangen war im Jahre 2001 eine politische Debatte, in der schon einmal die Frage nach linksradikaler Gewalt während der Studentenbewegung und dem heutigen Umgang mit ihr im Zentrum stand. Konkret wurde die Vergangenheit des damaligen deutschen Außenministers Joseph Fischer zum Gegenstand einer hitzigen Auseinandersetzung, in deren Folge er sogar von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss befragt wurde. Deutlich ging es um die Infragestellung einer außergewöhnlichen politischen Karriere und exemplarisch [End Page 134] um die Diskreditierung einer ganzen politischen Generation, die gerne als die "68er" bezeichnet wird und von denen einige wie Fischer, der damalige Innenminister Otto Schily oder der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder zu dieser Zeit als oberste Repräsentanten der rot-grünen Bundesregierung hohe Staatsämter inne hielten.

In beiden Debatten trat Bettina Röhl, die Tochter von Ulrike Meinhof, publizistisch in Erscheinung. 2003 zeigte sie sich als Gegnerin des Ausstellungsprojektes zur RAF. Als Kurator der Ausstellung stand ihr Felix Ensslin, der Sohn von Gudrun Ensslin und Bernward Vesper, gegenüber. Zwei Jahre zuvor forderte sie Fischer lautstark zum Rücktritt auf. Koenen sieht im "Szenario" der "Fischer-Affäre" daher "Züge einer ironischen Reprise." So wie seinerzeit Beate Klarsfeld Bundeskanzler Kiesinger wegen seiner Nazivergangenheit stellvertretend für die "Generation ihrer Eltern" öffentlich ohrfeigte, forderte Bettina Röhl in Internetbotschaften vom Bundespräsidenten, "den Staatsnotstand auszurufen, da mit Fischer der Repräsentant einer 'mordbereiten Gewaltgruppe' an die Hebel der Macht gelangt sei" (Koenen, "Und in den Herzen Asche").

Nicht erst in Koenens Darstellung erhält die gegenwärtige Auseinandersetzung um die Geschichte der RAF und der Studentenbewegung Aspekte eines Familiendramas. Auch ein Blick auf die literarische Produktion der letzten Jahre, in der der Zeitraum zwischen 1967–1977, das sogenannte "rote Jahrzehnt" (Koenen), erkundet wird, bestätigt die Dominanz des Generationenmodells als eines Schemas der Darstellung. Helmut Schmitz konstatiert "eine wahre Renaissance des Familien-, Eltern- und Generationenromans" während des letzten Dezenniums (Schmitz). Schon die von Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre erscheinenden sogenannten Väter-bücher, in denen Kinder über ihre "Väter" – seltener ging es primär um Mütter – schrieben, die während des Nationalsozialismus als Erwachsene Verantwortung trugen für ihr Verhalten, folgten der Dramaturgie des Generationenkonflikts. Auch die literarische Bearbeitung des Themas RAF und der Studentenbewegung folgt vielfach einem solchen Generationenmodell. Bei aller Differenz hinsichtlich von Textform, Schreibweise, Stil und Gewichtung lassen sich daher in dieser Hinsicht Sophie Dannenbergs Das bleiche...

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