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MLN 122.3 (2007) 493-521

Von der Beratung zur Kritik der Regierung.Moses Mendelssohn über Eide
Marcus Twellmann
Universität Bonn

„Nun mehr sind Sie [...] ein preußischer Unterthan"1 —am 26. März 1762 kann Moses Mendelssohn, dem damit das Niederlassungsrecht in Berlin gewährt worden ist, diese amtliche Erklärung in einem Brief an seine Braut Fromet Gugenheim zitieren. Für Mendelssohn, in dem Alexander Altmann den Archetypus des modernen deutschen Juden erkennt2 , hat sich die Frage seiner Zugehörigkeit zu einer deutschen Nation nicht nur im Hinblick auf ihre Sprache und Dichtung oder die Leibniz und Wolff verdankte „Weltweisheit" gestellt, sondern zunächst als Frage seiner rechtlichen Situation im Staat des Absolutismus. Sie war bestimmt durch das preußische „Judenrecht"3 , vor allem die Reglements von 1730 und 1750. Das letztere teilte die jüdischen Untertanen in sechs Klassen mit unterschiedlichem Rechtsstatus ein4 : [End Page 493] Nur wenige genossen als Generalprivilegierte im wirtschaftlichen Bereich Rechtsgleichheit mit Kaufleuten christlicher Konfession. Die „ordentlichen Vergleiteten", eine zweite Gruppe, waren mit einem Schutzprivileg versehen und konnten dieses auf ihre Kinder übertragen. Die außerordentlichen Schutzjuden hingegen hatten dieses Recht der erblichen Weitergabe nicht. Mendelssohn gehörte zunächst zu dieser dritten Gruppe der unvergleiteten, nur geduldeten Juden: Nur weil der Seidenwarenfabrikant Isaak Bernhard, bei dem er beschäftigt war, als ordentlicher Schutzjude für ihn bürgte, war es ihm erlaubt, sich in Berlin aufzuhalten. Nachdem er sich im Vorfeld seiner Heirat selbst um rechtliche Anerkennung als Schutzjude bemüht hatte, wurde ihm das entsprechende Privilegium durch eine Kabinettsorder vom 24. Oktober 1763 gewährt5 ; abgeschlagen wurde ihm allerdings die Bitte, es auf seine Nachkommen auszudehnen.

Strategien

Juristische Probleme blieben nicht im lebensgeschichtlichen Hintergrund seiner Philosophie, sondern wurden ihr zum Gegenstand: Wenige Tage bevor er sich im zitierten Brautbrief zu den Pflichten eines preußischen Untertanen—ironisch—bekennt, erklärt Mendelssohn im 223. Literaturbrief vom 18. März 1762 seine Überzeugung, die „philosophische Sittenlehre" einschließlich der „Wissenschaft der Gesetze" sei der einzige Weg, auf dem der „Weltweis[e]", der „im Verborgenen" arbeitet und von der Regierung des Staates „allzu sehr entfernt" ist, doch Einfluß nehmen könne auf die Politik, wenn seine Gedanken „bis in das Herz eines großen Regenten, bis in das Cabinet eines tugendhaften Staatsraths"6 dringen. Auch hier folgt er Christian Wolff, der in seiner „Deutschen Politik" den Philosophen als indirekten Gesetzgeber vorgestellt hatte: Da es der Obrigkeit an vernünftiger Einsicht fehle, „müssen die Gesetze von Personen aufgesetzet werden, die genügsame Erkäntniß dazu haben und nach diesem dem Oberen übergeben werden, daß er sie bestätige oder confirmire". Rechtskräftig werden Gesetze zwar erst durch die Bestätigung des Fürsten, der eigentliche Gesetzgeber aber ist als „Rathgeber [End Page 494] der Gesetze"7 der Weltweise, der allein ihren Gehalt vernunftgemäß zu bestimmen vermag.8

Diese Strategie der politischen Einflußnahme hat Mendelssohn verfolgt und dabei immer wieder die Nähe zur Rechtspraxis gesucht: Auf Befehl des preußischen Justizministers verfaßte er eine Sammlung jüdischen Rechts, die 1778 unter dem Titel „Ritualgesetze der Juden" publiziert wurde, bevor Ernst Ferdinand Klein ihn drei Jahre später ein weiteres Mal zur Mitarbeit an Gesetzesreformen aufforderte. Eine weitere, weniger direkte Form der Einwirkung auf die preußische Gesetzgebung ermöglichten ihm die Diskussionen der Berliner Mittwochsgesellschaft, an denen sich neben Klein auch Carl Gottlieb Suarez beteiligte, der andere maßgebliche Verfasser des „Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten".

Mendelssohn hat diese Strategie der philosophischen Regierungsberatung nicht nur verfolgt, sondern auch radikalisiert zu einer Kritik herrschenden Rechts. Seit Kant, so Foucault, habe die Philosophie nicht allein der wissenschaftlichen Vernunft kritisch die Grenzen ihrer Erkenntnis aufzuzeigen, sie habe auch „die Aufgabe, die überzogene Macht der politischen Rationalität zu überwachen".9 Wenn solche Kritik, die nicht nur als eine „moralische und politische Haltung", sondern als eine „Kunst" zu verstehen ist, „nicht auf diese Weise und um diesen Preis regiert zu werden"10 , ihre Anfänge im 15. und 16. Jahrhundert hat, in eben...

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