[BOOK][B] Handbuch der musikgeschichte

H Riemann - 1919 - books.google.com
H Riemann
1919books.google.com
VI Vorwort. der Verfasser absehen zu dürfen. Schwerlich wird die Wissenschaft jemals in die
Lage kommen, von einem erweislichen Einflusse einer uralten Musikkultur des fernsten
Ostens auf die Entwicklung der musikalischen Kunst des Westens reden zu können; sollten
sie wider Erwarten doch in die Lage kommen, so mag es der Zukunft vorbehalten bleiben,
auch diese Ergebnisse der Forschung der allgemeinen Darstellung einzuverleiben.
Einstweilen können wir uns ohne Skrupel bescheiden, die Wurzeln der europäischen …
VI Vorwort. der Verfasser absehen zu dürfen. Schwerlich wird die Wissenschaft jemals in die Lage kommen, von einem erweislichen Einflusse einer uralten Musikkultur des fernsten Ostens auf die Entwicklung der musikalischen Kunst des Westens reden zu können; sollten sie wider Erwarten doch in die Lage kommen, so mag es der Zukunft vorbehalten bleiben, auch diese Ergebnisse der Forschung der allgemeinen Darstellung einzuverleiben. Einstweilen können wir uns ohne Skrupel bescheiden, die Wurzeln der europäischen Musikkultur bis zurück in die ohnehin schon ins Sagenhafte zerfließenden ältesten Berichte der Griechen zu verfolgen. Gelegenheit zu Seitenblicken auf die uns aus bildlichen Darstellungen bekannte Musikübung der Ägypter, desgleichen auf die relativ sehr früh entwickelte Theorie. der Tonverhältnisse bei den Chinesen ergibt sich ganz von selbst schon bei Erörterung der betreffenden Fragen für die griechische Musik, und die Inder und Araber kommen gleichfalls geeigneten Orts zu ihrem Rechte, wenn auch erst im Mittelalter. Wenn einer der jüngsten Zweige der Musikwissenschaft, die musikalische Ethnographie, unter Anwendung aller Errungenschaften moderner Forschungstechnik aus phonographischen Aufnahmen von Gesängen der Naturvölker und genauer Untersuchung der Konstruktion von Musikinstrumenten zu Resultaten kommt, welche den uralten Traditionen der Theorie der Tonverhältnisse ins Gesicht schlagen (Intervalle von 3/4-Ganzton,» neutrale Terz u. dgl.), so ist es jedenfalls nicht Sache der Geschichtsforschung, von solchen Beobachtungen der Gegenwart aus die Darstellung der Verhältnisse der Vergangenheit beeinflussen zu lassen. Hier ist ein ernster Warnungsruf an die Musikhistoriker am Platze, sich nicht den Blick durch die exakten Forscher der naturwissenschaftlichen Methode trüben zu lassen. Die frappante Übereinstimmung der in Zeitabständen von vielen Jahrhunderten gleichermaßen von den Chinesen, Griechen und den Völkern des europäischen Westens gefundenen Teilung der Oktave in zwölf Halbtöne als letzte Vervollkommnung der wechselnd nach zwei und drei Ganztönen einen Halbton einschaltenden siebenstufigen Skala ist denn doch ein historisches Faktum, das man mit ein paar mangelhaft gebohrten Pfeifen aus Polynesien oder mit fragwürdigen Gesangsleistungen farbiger Weiber nicht über den Haufen rennt. In ihrem Gesamtverlaufe ist doch erfreulicherweise die Geschichte der Musiktheorie so unverkennbar ein Fortschreiten zu immer schärferer Präzisierung und Formulierung derselben Erkenntnisse, daß wir alle Ursache haben, uns den Unterschied zwischen der Art zu Hören vor Jahrtausenden und der heutigen möglichst klein vorzustellen und allem mit ernstem Mißtrauen zu begegnen, was geeignet scheint, dieses Fundament zu erschüttern. Der Verfasser zweifelt nicht, daß manche Partien seiner Darstellung lebhaften Widerspruch finden werden, so z. B. seine Deutung der von den Autoren berichteten stufenärmeren Melodik der> Archaïka, der altüberkommenen Tempelgesänge der Griechen im Sinne anhemitonischer Pentatonik; aber im Hinblick auf die wenn
books.google.com