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MÖGLICHKEIT UND WIRKLICHKEIT MENSCHLICHEN HANDELNS. "DYNAMIS" (qûwalqudralistitâ'a) IN DER ISLAMISCHEN THEOLOGIE Von CORNELIA SCHOCK Einleitung Vorarbeiten zur Erarbeitung einer Problemgeschichte der arabischen Philosophie beschränkten sich bisher auf den Bereich der arabisch schreibenden Logiker und Philosophen im engeren Sinn. Einen maßgeblichen Beitrag liefern Untersuchungen zur Terminologie der griechisch-arabischen und syrisch-arabischen Übersetzungsliteratur. Jedoch wurde bisher kein Versuch unternommen, die islamische Theologie (kaläm) für die Problemgeschichte der arabischen Philosophie heranzuziehen. Skeptisch war man, was umgekehrt die Verifizierung von Einflüssen griechischer Logik und Philosophie auf die frühe islamische Theologie betrifft. Die erste arabische Organonbearbeitung geht zurück auf Ibn al-Muqaffa' (gest. nach 139/756), Ratgeber des Abbasidenkalifen al-Mansür (reg. 136158 /754-775).J Mansürs Nachfolger al-Mahdi (reg. 158-169/775-785) oder dessen Sohn und Nachfolger Härün ar-Rasïd (reg. 170-193/786-809) bestellte bei dem Katholikos der Nestorianer, Timotheos I. (gest. 823), eine Übersetzung der Topik aus dem Syrischen. Der Kalif Härün ar-Rasïd beginnt, in größerem Umfang Übersetzungen aus dem Griechischen zu veranlassen und gründet das "Haus der Weisheit" (bait al-hikma). Unter Härün ar-Rasids Sohn und Nachfolger Ma'mün (reg. 198-218/813-833) erreicht die Übersetzungstätigkeit am Kalifenhof einen ersten Höhepunkt. Im Mittelpunkt dieser Übersetzungst ätigkeit stehen angewandte Wissenschaften, vor allem Medizin und Astronomie.2 Eine arabische Übersetzung der aristotelischen Metaphysik veranlaßte erst al-Kindï (gest. nach 256/870), der in der ersten Hälfte des 9. Jh. vom Kalifen al-Mu'tasim (reg. 218-227/833-842) als Lehrer des Kalifensohnes berufen wird. Er gilt als "Philosoph der Araber," sofern bei ihm nicht die angewandten Wissenschaften, sondern die Philosophie in den Vordergrund tritt.3 Siehe Gerhard Endreß, "Die wissenschaftliche Literatur," Grundriß der arabischen Philologie , 3 Rde. (Wiesbaden, 1982-92), 2:413 u. 420. 3 Ibid., 422, Anm. 40; 428 mit Anm. 89. 80traditio Der vorliegende Aufsatz will an einer der frühesten Streitfragen der islamischen Dogmatik, dem Problem der göttlichen "Bestimmung/Determination " (qadar), exemplarisch die Bedeutung der aristotelischen Logik und Philosophie für die islamische Theologie zeigen. Die Untersuchung beginnt mit einem Brief, welchen al-Hasan al-Basri (gest. HO/728),4 der wirkungsgeschichtlich bedeutendste frühe Religionsgelehrte der theologischen Metropole Basra im Iraq, an den Umaiyadenkalifen 'Abd al-Malik gerichtet haben soll. Das Schreiben belehrt den Kalifen über das Verhältnis von göttlicher Determination und menschlichem Handlungsvermögen. Die Argumentation des Autors dokumentiert, daß spätestens ab dem 2./8. Jh. von den islamischen Theologen Aktivvermögen und Passivermögen im Sinne von Aristoteles, Metaphysik T unterschieden wurde, also bereits ca. 50-100 Jahre vor alKindi . Die al-Hasan al-Basri nachfolgenden Theologen vertreten die Grundsatzposition eines der Handlung vorausgehenden, zweiseitigen Vermögens zu zwei konträren Handlungen, wie es Aristoteles, De interpretatione 12 u. 13 und ausführlicher Metaphysik T entspricht. Nach Lehre der Anhänger dieser Position bringt das menschliche Vermögen zusammen mit dem Entschluß die Handlung bzw. Wirkung hervor (vgl. Met. T 5, 1048a 11), wenn nicht Außenbedingungen der Verwirklichung entgegenstehen. Dieser Befund macht deutlich, daß vor und neben den vom Kalifenhof in Bagdad geförderten Übersetzungen eine Rezeption der spätantiken Tradition durch die islamischen Theologen (mutakallimün) stattfand. Wie deren Verwendung der Termini qüwa, qudra, istitä'a zeigt, fand bereits in der Frühzeit der islamischen Theologie (kalám) eine theologisch-philosophische Begriffsbildung statt. Sie führte zur Festigung einer Terminologie, welcher sich die späteren Aristotelesübersetzer bedienten.5 Der Hauptstrang der frühen islamischen Theologie entwickelt sich in der Kontroverse zweier rationaler Denkrichtungen. Die häresiographische Literatur versteht diese beiden Denkrichtungen als "Fraktionen" (firaq). Als Schule hat sich nur die eine der beiden Denkrichtungen, die Mu'tazila, dargestellt . Sie hat einen "Kanon" der vertretenen Lehrmeinungen entwickelt — "die fünf Prinzipien" (al-usül al-hamsaf —, eine eigene Prosopographie derjenigen, die der "Schule" zugerechnet werden, und sie hat von Anbeginn 4 Zu ihm Josef van Ess, Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam, 6 Bde. (Berlin und New York, 1991-97), 2:41...

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