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  • Vom Aushalten der Extreme. Die Lyrik Erich Frieds zwischen Terror, Liebe und Poesie by Gerrit-Jan Berendse
  • Alessandra Schininà
Vom Aushalten der Extreme. Die Lyrik Erich Frieds zwischen Terror, Liebe und Poesie. Von Gerrit-Jan Berendse. Berlin: Erich Schmidt, 2011. 201 Seiten. €39,80.

Die kritische Beurteilung der Werke Erich Frieds beschränkte sich oft entweder auf die Dimension des politischen Engagements oder auf die Hervorhebung der Merkmale seiner populären Liebeslyrik. Gerrit-Jan Berendse versucht, gerade von diesen zwei Tendenzen ausgehend, ein vielseitigeres Bild dieses Autors zu skizzieren, indem er die poetologische Komponente berücksichtigt und die gesamte Produktion Frieds als ständiges Oszillieren zwischen den Extremen Liebe und Terror analysiert. Fried erscheint dabei nicht so sehr als parteipolitisch denkender Mensch, sondern als antidogmatischer Humanist, der brennende politische Kontroversen öffentlich thematisierte und ständig den Dialog suchte. Hier wird insbesondere die Auseinandersetzung des Lyrikers mit dem Terror und der Staatsgewalt während des Nazismus, der Kriege im Fernen und Nahen Osten und der 70er Jahre in Deutschland erörtert.

Für Berendse bezeugt Frieds Gewohnheit, Gedichte und Gegengedichte zu schreiben und Fragen offen zu lassen, eine Dialektik, die zu keiner Synthese gelangt. Die ständige Bewegtheit, das Zusammenstoßen und Aushalten der Gegensätze wird allgemein als Grundmuster der gesamten Produktion Frieds betrachtet. Dementsprechend gliedert Berendse das Buch in drei Teile, die nicht in sich abgeschlossen sind, sondern sich ständig aufeinander beziehen, da er keine großen Unterschiede zwischen den drei Schaffensperioden Frieds feststellt. So folgen die neun Kapitel des Buches keiner strengen chronologischen Entwicklung von der ersten Phase (1941-1945), als der junge Exilautor seine ersten dichterischen Versuche verfasste, zur zweiten (1954-1964), als er—nach einer psychologischen oder auch schöpferischen Krise—seine eigene Sprache erfand, und schließlich zur dritten (1964-1988), als er seine Themen voll entwickelte. Nach der aufschlussreichen Einleitung stehen die Kapitel 2-4 unter der Aufschrift "Terror." In den Kapiteln 5 und 6 werden die Liebesgedichte parallel zur politisch engagierten Produktion und als Erweiterung der tagespolitischen Mission Frieds dargelegt. Hier wird auch die Übersetzungstätigkeit Frieds im Sinne des Wechselspiels zwischen Eigenem und Fremdem analysiert. In den letzten drei Kapiteln versucht der Autor, die Poetik Frieds und dessen Stil zu definieren, dies im Rahmen der Neuen Subjektivität, in deren Koordinaten Fried schwer einzuordnen ist.

Berendse gibt einen ausführlichen Überblick über die kritische Rezeption Frieds (u.a. die Studien von St. Lawrie, V. Kaukoreit, W. Hinderer, J. Doll, A. von Bormann, N. Luer) und versucht dessen Lyrik durch neue methodologische Ansätze zu beleuchten (z. B. die postkolonialistischen Kulturtheorien von H. Bhabha). Das Resultat ist eine anregende Lektüre, die Fried mit Autoren und Denkern der Vergangenheit und Gegenwart in Verbindung setzt, von Shakespeare zu Améry, von Dylan Thomas zu Heiner Müller. In der Beurteilung des Gesamtwerks bleibt jedoch Berendses Studie eher ambivalent. Es werden einerseits die Verdienste Frieds als Lyriker hervorgehoben, wie die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Themen zu richten, die von der Kunst ausgeschlossen blieben (in erster Linie die fehlende Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit sowie das Erbe eines faschistischen Denkens auch außerhalb Europas) oder seine besondere Art Terror- und Liebesdiskurse miteinander zu verbinden. Andererseits, da für Berendse "die ästhetische Qualität des [End Page 353] lyrischen Werks von Erich Fried weniger im einzelnen Gedicht liegt, sondern vielmehr in der Gleichzeitigkeit der Inkommensurabilität zu finden ist" (18), werden oft die als Beispiel angeführten Gedichte entweder als Zeitdokumente oder als manieristische Kompositionen angesehen. Die literarische Bearbeitung der Erfahrung des Exils und die Auseinandersetzung mit der deutschen lyrischen Tradition werden leider nur angedeutet (denken wir nur an die vielen Heimkehr-Gedichte Frieds oder an die vernichtenden Gedichte über den deutschen Wald).

Bei der Stilanalyse der Texte Frieds betont Berendse gerechterweise die rhetorische Gewandtheit und den spielerischen Ton der Sprache. Der Versuch des im Ausland lebenden Autors, der deutschen Sprache nach der Kompromittierung der nazistischen Zeit eine neue Aussagekraft zu vermitteln, findet jedoch hier nicht ausreichend Platz. Berendse zeigt überzeugend, wie Fried in seiner Lyrik wirksam eine Beziehung zwischen dem nationalsozialistischen Terror und dem Staatsterror in der BRD sowie zwischen Holocaust und Neokolonialismus herstellt. Dies kommt jedoch eher auf der Ebene...

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