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  • Über die Wirkungsmacht der Rede. Strategien politischer Eloquenz in Literatur und Alltag by Jan C.L. König
  • Sonja Boos
Über die Wirkungsmacht der Rede. Strategien politischer Eloquenz in Literatur und Alltag. Von Jan C.L. König. Göttingen: V&R unipress, 2011. 556 Seiten + 17 s/w Abbildungen. €67,90.

Als eine potentiell äußerst wirkungsvolle Sonderform von Sprache stellt die öffentliche Rede ein längst noch nicht erschöpfend erforschtes Instrument menschlicher Kommunikation dar. Reden dienen nicht nur der Vermittlung sachlicher Erkenntnis, sie handeln, sie wollen Wirkung erzielen. Traditionell dient die Disziplin der Rhetorik mithin nicht nur als normatives Regelwerk der Beredsamkeit sondern sie unternimmt auch eine theoretische Bestimmung jener Strategien, die den Handlungscharakter der Sprache erst begründen.

In seiner detaillierten, multi-methodisch angelegten Studie stützt sich Jan C. L. König sowohl auf die Erkenntnisse der klassischen Rhetorik als auch auf die der modernen Wirkungsästhetik und kritischen Diskursanalyse. Er zeigt am Beispiel einer [End Page 135] Reihe prominenter Reden, anhand welcher Methoden und Strategien diese ihre gesellschaftliche und politische Wirkung entfalten konnten. Königs Modell zur Erforschung der Redewirkung ist dabei so umfassend wie nur möglich: Er beginnt jede seiner sechs Fallstudien mit einer Makroanalyse, die den pragmatischen Kontext von Redner, Rede, Situation und Publikum untersucht. Darauf folgt eine Mesoanalyse, die Inhalt, Aufbau, Vortrag sowie die Formulierung der jeweiligen Rede im Allgemeinen bestimmt. In einem dritten Schritt werden exemplarisch jene Elemente des Redetextes und des Vortrags analysiert, die zu einer bestimmten Wirkung auf der Mikroebene führen können.

Indem König des Weiteren zwischen einer konstruierten, einer intendierten und einer resultierenden Wirkung differenziert, wird er der Komplexität der öffentlichen Rede gerecht, die ja immer in eine reale Situation eingebettet ist und dadurch in der Praxis höchst variable Konturen annehmen kann. Gleichzeitig ist sich der Autor der Problematik seines diskurspragmatischen Wirkungsbegriffs durchaus bewusst. Die Wirkung der öffentlichen Rede finde, so König, “in einer Grauzone zwischen Intention, Konstruktion und Resultat” (376) statt und hat somit auch eine unfassbare Dimension. Wie am Beispiel von Philipp Jenningers Rede anlässlich der Gedenkstunde des Deutschen Bundestags am 10. November 1988 gezeigt wird, können unerwartete Störungen und Zwischenfälle den normalen Ablauf einer Rede und damit die geplante Interaktion und Kooperation zwischen Redner und Publikum negativ beeinflussen und gegebenenfalls auch suspendieren. Königs Buch ist somit ein ambitionierter—und durchaus gelungener—Versuch, die Form der öffentlichen Rede umfassend zu theoretisieren und gleichzeitig Fallstudien zu liefern, welche die Instrumentalisierbarkeit von Rede im Kontext ihrer tatsächlich erfolgten Wirkung an prägnanten Modellfällen vorführen können.

Trotz ihrer gezielt wissenschaftlichen Ausrichtung greift Königs Studie auf eine Bandbreite rhetorischer Diskursformen zurück. Die Kombination zahlreicher, oft heterogener Zitate aus der antiken und zeitgenössischen Literatur führt zu einer teilweise irritierenden anachronistischen Vermischung von Stilebenen, die allerdings der Thematik des Buches insofern angemessen ist, als das klassische System der Rhetorik mit seinen Methoden und Techniken bis heute die Grundlage der Disziplin geblieben ist. Wie Königs Auseinandersetzung mit Aristoteles’ Begriff der rhetorischen Persuasion zeigt, wurden schon in der Antike die wesentlichen Bedingungen der öffentlichen Rede herausgearbeitet. Aber worin besteht dann der Beitrag moderner Kommunikationstheorien zum heutigen Verständnis der Rhetorik? Und was ist Königs substanzieller Beitrag zu einer produktiven Weiterentwicklung und Synthese dieser beiden theoretischen Bereiche?

Ein besonderes Verdienst von Königs Arbeit ist ihre konsequent interdisziplinäre Ausrichtung. Durch eine systematische Gegenüberstellung wirklicher und wirklichkeitsdarstellender Reden zeigt König, dass die Wirkung von Reden zwar auf ihrer politischen Thematik, nicht aber auf ihrer tatsächlichen, historischen Existenz beruht. Indem er seine Studie mit Analysen literarischer Reden aus Dramen Shakespeares, Schillers und Frischs ergänzt, wird der Autor seinem Anspruch, das wissenschaftliche Verständnis sowohl realer Kommunikationsphänomene als auch dichterischer Text-produkte zu erweitern, durchaus gerecht. Wie Königs Analyse der Rede Marc Antons in Shakespeares Julius Caesar zeigt, lassen sich die in ihr gesicherten Erkenntnisse über die demagogische Wirksamkeit und “moralische Bedenklichkeit” (371) der literarischen [End Page 136] Rhetorik auch auf zeitgenössische und reale Reden, wie die Fernsehansprache Gerhard Schröders zum Kosovo-Einsatz am 24. März 1999, übertragen.

Weiterhin überzeugen Königs...

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