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  • Nach Duino. Studien zu Rainer Maria Rilkes Späten Gedichten
  • Ernst Grabovszki
Nach Duino. Studien zu Rainer Maria Rilkes späten Gedichten. Herausgegeben von Karen Leeder und Robert Vilain. Göttingen: Wallstein, 2010. 246 Seiten. €24,00.

Die späten Gedichte Rilkes stehen im Mittelpunkt eines Sammelbands, der 13 Beiträge einer Seminar-Reihe an der University of Oxford aus dem Jahr 2006 versammelt. So erstaunlich das sein mag: Diese Gedichte seien bislang kaum Gegenstand eingehender literaturwissenschaftlicher Auseinandersetzung gewesen, auch wenn bereits 1947/48 Dieter Bassermann in seinem Buch Der späte Rilke auf jene Periode aufmerksam gemacht hat. Die 'späten Gedichte' sind jene, die nach den Duineser Elegien entstanden sind, nämlich zwischen 1922 und 1926. Die Werkbiographie gibt Anlass, diese vier Jahre hervorzuheben. In dieser Zeit entstanden nämlich die Sonette an Orpheus, französische Gedichte, die Valéry-Übersetzungen, zuvor aber eben jene Werke, die man gemeinhin als Höhepunkt im Schaffen des Dichters betrachtet hatte—sicher auch ein Grund für die weniger intensive Beschäftigung seitens der Literaturwissenschaft mit den Jahren danach.

Aus diesem Grund verstehen die Beiträger das Jahr 1922 als Wendepunkt insofern, als "zu diesem Zeitpunkt eine Reihe formaler und inhaltlicher Änderungen oder Akzentverschiebungen erkennbar wird," (7) etwa in Form des Orpheus, den Robert Vilain und Karen Leeder in ihrer Einleitung als Vermittler-Figur sehen, während Rilkes Texte davor vom "übermächtigen Engel" geprägt seien, "der in hohen Regionen gepriesen werden soll" (7). Auch die Kommentierte Ausgabe (Frankfurt am Main und Leipzig 1996 und 2003) von Rilkes Werken setzt die Sonette an Orpheus an den Beginn der letzten Werkphase, eine "kühne These" (15), die der Mitherausgeber der Kommentierten Ausgabe, Manfred Engel, in seinem Beitrag untersucht. Eine Interpretation der Sonette liefert Marielle Sutherlands, indem sie dem Verhältnis von Rilkes Dichtung zum Tod nachgeht. Verhältnisse auf anderer Ebene verhandeln auch weitere [End Page 675] Beiträge, etwa jener von Robert Vilain, der Rilkes Beziehung zu Ovids Fasti und den Metamorphosen beschreibt. Dem Briefwechsel mit der österreichischen Dichterin Erika Mitterer, der die letzten beiden Lebensjahre Rilkes umfasste, widmet sich Katrin Kohl. Seine Besonderheit liegt darin, dass er fast ausschließlich aus Gedichten besteht und die Empfängerin darin bestärkte, auch weiterhin zu schreiben. Rilkes Bekanntschaft mit Wallace Stevens gibt Anlass zu rezeptionsorientierten Überlegungen, die Kathleen Komar darlegt. Konkret geht es um die Analyse von Motiven und Themen, die in Texten der beiden auftauchen. Untersuchungen einzelner Gedichte, wie die von Ben Hutchison über das Gedicht "Ankunft," oder Judith Ryan über "Mausoleum," "Idol" und "Gong," aber auch zu Motiven, wie jene von Naomi Segal über das Einhornmotiv, zum Sprachwechsel (Gerald Stieg), zu Rilkes Verhältnis zur Abstraktheit (Helen Bridge) oder zur antiken Philosophie (Paul Bishop) bis hin zu Überlegungen von Leonard Olschner zum Spätwerk Rilkes und dessen Verhältnis zum "Niedergang des expressionistischen Geistes" (11) spannen schließlich den breiten thematischen Bogen dieses Bands.

Die methodischen und theoretischen Ansätze in den Untersuchungen sind vielzählig: Intertextualität und komparatistische Fragen, Toposforschung, Gattungstheorie und Textanalysen finden ihre Anwendung und demonstrieren damit auch die Vielschichtigkeit von Rilkes Werk. Für den Rilke-Anfänger enthält der Band zahlreiche Fakten und tiefgehende Interpretationen und macht vor allem mit dem Kosmopolitismus des Dichters vertraut. Trotz des engen zeitlichen Fokus, dem sich die Beiträger verschrieben haben, entsteht mit diesem Buch eine erhellende neue Sicht auf Rilkes spätestes Werk.

Ernst Grabovszki
Universität Wien
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