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  • Zur Interdependenz von Gender- und Nationaldiskurs bei Marie von Ebner-Eschenbach
  • Marie Luise Wandruszka
Zur Interdependenz von Gender- und Nationaldiskurs bei Marie von Ebner-Eschenbach. Von Claudia Seeling. St. Ingbert: Röhrig, 2008. 318 Seiten. €32,00.

Die österreichische Autorin Marie von Ebner-Eschenbach (1830–1916), die sich als eine deutsche Schriftstellerin verstand, ihr Leben lang aber ihrem mährischen Geburtsort und der dort lebenden Tschechisch sprechenden Landbevölkerung auch literarisch verbunden blieb, eignet sich besonders dazu, mit den Fragestellungen einer gender-orientierten Nationalismusforschung konfrontiert zu werden.

Claudia Seeling stellt sich in ihrer Dissertation dieser interessanten und, wie ihre Arbeit zeigt, lohnenden Aufgabe. Nach einer biobibliographischen Kontextualisierung und der Darstellung des Forschungsstandes zu Ebner-Eschenbach werden im zweiten Kapitel die theoretisch-methodischen Prämissen entwickelt. Dem Überblick über die neuere Nationalismusforschung (Lemberg, Deutsch, Wehler, Langewiesche, Anderson, Gellner), die immer mehr die kommunikativen Prozesse in den Blick bekommt, [End Page 124] die zwischen den Angehörigen einer Nation über die ihnen gemeinsamen Merkmale bestehen müssen, wobei durch die zunehmende Berücksichtigung des Genderaspekts (Loster-Schneider, Planert, Frevert, Yuval-Davis, Florack) eine besondere Brisanz entsteht, folgt ein Abriss zur kollektivsymbolischen Vernetzung der zwei Diskurse "Nation" und "Gender" in der Habsburgermonarchie zur Zeit Marie von Ebner-Eschenbachs, wobei es natürlich besonders um die "Deutschen" und die "Tschechen" geht.

Kern der Arbeit ist dann die Analyse von vier in Mähren angesiedelten Texten Marie von Ebner-Eschenbachs: der Autobiographie Meine Kinderjahre, der Erzählungen "Božena," "Bertram Vogelweid" und "Mašlans Frau." An Hand von Meine Kinderjahre zeigt Seeling, wie die Autorin sowohl hinsichtlich des Geschlechterdiskurses als auch hinsichtlich des nationalen Kontextes mit positiven Autostereotypen arbeitet: "Somit werden die Stereotype selbst durch den Text nicht kritisch betrachtet, als Mittel der Hierarchisierung und gegenseitigen Abgrenzung oder zur Herabsetzung des Anderen werden sie jedoch keinesfalls vorgeführt. [ … ] Die Modernität des Textes besteht gerade in seinem Plädoyer, Andersartigkeit und Fremdheit nicht nur anzuerkennen, sondern positiv zu bewerten und als zusätzliche Chance auch für die eigene Identität zu begreifen" (149f.). Die hier zugrunde gelegte Vorstellung von Nation beziehe sich nicht "auf ein Staatengebilde und seine Staatsbürger, sondern auf einen gemeinsam bewohnten geographischen Raum und ein durch gemeinsame Erlebnisse ausgelöstes Zusammengehörigkeitsgefühl" (150). Dank der konkreten Textanalyse zeigt Seeling, dass Ebner-Eschenbach hier einen wichtigen Beitrag zu den aktuellen gender- und nationalpolitischen Fragen der Zeit leistet und dabei "diskurskritische Akzente setzt" (ebd.). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Analyse von "Božena": Im Unterschied zu Linda Kraus Worley, die meinte, dass die "guten" tschechischen Gestalten in "Božena" und im Gemeindekind eine "Assimilation an das Deutsche" durchmachen müssen ("Plotting in czech lands": Marie von Ebner-Eschenbachs Konstruktionen des Tschechischen, 2004), zeigt Claudia Seeling, dank ihrer Differenzierung zwischen der textimmanenten Erzählinstanz und dem Textsubjekt, das die Gesamtkonzeption der Erzählung und dabei vor allem die Handlungsebene bestimmt, dass in "Božena" national- und genderspezifische Zuschreibungen hinterfragt werden (193). In der satirischen Erzählung "Bertram Vogelweid," die in Wien und Mähren angesiedelt ist, kommt zum nationalen und geschlechtsspezifischen wieder, wie in Meine Kinderjahre, der künstlerische Aspekt hinzu, da der deutsch-böhmische Literaturkritiker Bertram Vogel von Dichterinnen nichts hält, sich aber in eine solche, wenn auch auf Grund seiner schroffen Kritik "ehemalige" Dichterin verliebt. Es liegt der Verdacht nahe, dass sich Marie von Ebner-Eschenbach hier, offener noch als in Meine Kinderjahre, "nicht nur mit ihrer Rolle als Literatin in einer von männlichen Kritikern dominierten Kulturlandschaft, sondern—erfrischend selbstironisch—auch mit ihrer binationalen Identität auseinandersetzt" (233).

In "Mašlans Frau" unterstreicht Seeling eine "Schwachstelle des Textes," nämlich "dass sich die nationalen Zuschreibungen, die vorwiegend über die personale Erzählsituation [des Dorf-Arztes Vanka] vorgenommen werden, im auktorial vermittelten Teil der Handlung bestätigen. Somit wird die Möglichkeit, auf einer weiteren Textebene Kritik zu transportieren, verschenkt" (262). Es geht z. B. um den von Kurt Binneberg (Selbstbewahrung oder Selbstzerstörung? Zur Thematik von Marie von Ebner-Eschenbachs Erzählung "Mašlans Frau," 1997) der Autorin gemachten Vorwurf, in der Konstellation mährische Evi/welsch-mährischer Matěj das Klischee [End Page 125] der romanischen Sittenlosigkeit bedient zu haben. Doch...

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