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  • Wider den Kulturenzwang. Migration, Kulturalisierung und Weltliteratur
  • Hamid Tafazoli
Wider den Kulturenzwang. Migration, Kulturalisierung und Weltliteratur. Herausgegeben von Özkan Ezli, Dorothee Kimmich und Annette Werberger. Bielefeld: transcript, 2009. 412 Seiten. €34,80.

Gegenwärtig werden kulturelle Grenzziehungen aus veränderten Perspektiven der Selbst- und Fremdbilder hinterfragt. Die Autorinnen und Autoren dieses thematisch gut gegliederten Sammelbands diskutieren kulturelle Entwicklungen aus der Perspektive der Ethnologie, der Literatur und des Films. Dabei geht es um die Analyse unterschiedlicher Lebensweisen, die unter dem Aspekt selbst gewählter Lebensentwürfe und tradierter Normen zusammengefasst werden. Im Mittelpunkt steht das Begriffspaar "Kultur" und "Integration." In drei Abschnittten ("Kulturalisierung," "Schreibweisen der Migration" und "Weltliteratur") wird die Gültigkeit von national definierbaren Attributen in Frage gestellt. Die Daseinsformen der Menschen lassen sich nicht Gesetzen und Grenzen von Kulturen zuweisen, sondern gelten als existenzielle und körperliche Bedürfnisse. Den Rahmen bildet also nicht ein "Clash of Cultures," sondern ein "Clash of Desires."

Im ersten Teil verdeutlichen ethnologische und soziologische Fallbeispiele die Tendenz zur Rückkehr der Vorstellung von Kultur als Essenz; die Grenze zwischen der eigenen und der fremden Kultur erscheint zwar durchlässiger, gleichzeitig wird sie jedoch verschärft. Integrationsfragen erscheinen beispielsweise als religiös-kulturelle Fragen, und ethnische Herkunft und Religion bilden zwei Kriterien der kulturellen Zuschreibung. In der religiös-kulturellen Analyse von Gründen für "Ehrenmord" bespricht [End Page 109] Thomas Hauschild aus der Sicht der Ethnologie und des Rechts das Thema im historischen und soziopolitischen Kontext der Ausländerdebatte und zeigt, dass Ehrenmorde ein heterogenes Bild darstellen, das sich keiner bestimmten Art einer kulturellen Gewohnheit zuordnen lässt. Levent Tezcan fragt nach der Art und Weise einer rationalen Reaktion der europäischen Politik auf die sich über die Kultur definierenden Herausforderungen von Identitätsfragen. In der "Entdeckung des Islam als Gegenstand einer gouvernementalen Rationalität" (47) sieht er den aktuellen Trend, vielfältige Probleme der multikulturellen Gesellschaften in den Griff zu bekommen. Mit dem Verweis auf die entscheidende Rolle der Religion in Kulturdebatten spricht Tezcan von der spezifischen Art der kulturellen Artikulation, genannt "operative Kultur." Die Religion ließe sich nach ihm in operativer Hinsicht leicht in Kultur übersetzen. Für Tezcan ermöglichen Foucaults Gouvernementalitätsansätze, verschiedene Integrationsentwürfe ("Community Cohesion," "Social Charta," "Islamkonferenz") von der Ebene nationaler Modelle auf die Ebene exemplarischer Programme zu verlagern. Die politische Rationalität bezieht sich auf die Religion der Migranten als Mittel der Integration und der gesellschaftlichen Sicherheit. Der Schlüsselbegriff "Integration" könne aber, so Valentin Rauer, ohne einen bestimmten Verwendungskontext belegt sein. Diesen Kontext der Begriffsverwendung untersucht er in den Printmedien als Ort integrationspolitischer Diskurse. Anhand einer Auswahl türkischer und deutscher Zeitungen zeigt Rauer eine Wende in der Bundespolitik der 1990er Jahre gegenüber den Nicht-Deutschen. Er stellt in den Integrationsdebatten drei thematische Felder mit einem Potenzial von Grenzkonstruktionen fest: Integration, Staatsbürgerschaft und Islam. Auf den Islam bezogen spricht Jörg Hüttermann sich gegen die Gleichsetzung von "Migrant" und "Muslim" aus. Diskussionen über die Religion dieser Migranten und die daraus erwachsenden Konflikte sind nicht kulturell auszulegen, vielmehr sind sie dem Sozialen geschuldet, was sich in Konflikten zwischen "Alteingesessenen und Zuwanderern" (97f.) entwickelt hat. Im Emigrationsland Marokko wird die Verhand-lungsform von Kulturen von Martin Zillinger am Beispiel der Sufi-Bruderschaften, ihrer Praktiken und Medien dargestellt. Dort wird nicht die Entweder-Oder-, sondern die Sowohl-Als-Auch-Frage gestellt, mit der auf die integrierende Kraft einer Kultur verwiesen wird, die sich der Konstituierung ganzheitlicher Kultursubjekte verweigert.

Der zweite und dritte Teil zielen auf Analysen von Veränderungen in Kultur und ihre Verortung in Literatur und Film durch transkulturelle Bewegungen. Durch den transkulturellen Ansatz werden Tendenzen der Kulturalisierung hinterfragt. Einem Interview mit Feridun Zaimoğlu über poetologische Grundprobleme bei der Verwandlung der Welt in Texten folgend geht Yasemin Yildiz der Frage nach der Komplexität einer ästhetischen Darstellung und einer Verortung kultureller Differenzen in dessen Werk Kanak Sprak nach. Hier wird eine Kulturkritik betrieben, welche die Vorstellung von Nation, Sprache und Ethnie in Frage stellt. Die Sprache in Kanak Sprak versperrt und öffnet zugleich die kulturelle Welt und bildet Identitätsmerkmale. Özkan Ezli sieht in der deutsch-türkischen Filmproduktion (1980–1990) ebenfalls eine Wende, die er...

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