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  • Marie von Ebner-Eschenbach. Erzählerin aus politischer Leidenschaft
  • Claudia Seeling
Marie von Ebner-Eschenbach. Erzählerin aus politischer Leidenschaft. Von Marie Luise Wandruszka. Wien: Passagen, 2008. 144 Seiten. €16,90.

Marie Luise Wandruszka bemerkt einleitend eine Diskrepanz zwischen dem aktuellen Forschungsinteresse an Marie von Ebner-Eschenbach und ihrem allgemein niedrigen Bekanntheitsgrad. Dieser begegnet sie mit der Feststellung, dass gerade die Texte dieser Autorin besonders dazu geeignet sind, die Gegenwart zu begreifen beziehungsweise uns unsere heutige konfliktreiche Welt vor Augen zu führen. Die häufig übersehene ästhetische Stringenz der Werke Marie von Ebner-Eschenbachs ist für Wandruszka nicht zu trennen von deren oft verharmlosten ethisch-politischen Implikationen. Ziel ihrer Arbeit ist es deshalb, die Verschränkung von Ästhetik und politischer Ethik am Werk der Autorin darzustellen.

Ausgehend von der 1905 erschienenen Autobiographie Meine Kinderjahre wendet sie sich im ersten Kapitel den frühesten Texten Marie von Ebner-Eschenbachs [End Page 122] zu, den dramatischen Arbeiten Maria Stuart in Schottland und Marie Roland. Zeigt der autobiographische Text, dass nach Auffassung der Autorin die Beziehung der Frau zur Welt eine mütterliche sein soll, geht es in den historischen Tragödien um die Widersprüche weiblichen politischen Handelns. Maria Stuart wird als eine Frau dargestellt, deren Unfähigkeit, Männer richtig zu beurteilen, ihr politisches Scheitern mitverursacht und die am Ende die Einsicht gewinnt, nicht nur menschlich, sondern auch politisch versagt zu haben. In Marie Roland krankt das öffentliche Handeln einer Frau an ihrer Eitelkeit und ihrem Machthunger. Auch dieses Drama endet mit einem verwandelten Blick der Protagonistin auf ihr politisches Handeln.

Der autobiographische Text verdeutlicht außerdem, wie sich Marie von Ebner-Eschenbach mit der ihrer Dichtung skeptisch gegenüberstehenden Umwelt auseinandersetzt. Als Dramatikerin muss sie erleben, dass das Interesse an politischen Analysen, die Frauen in den Mittelpunkt stellen, zu ihrer Zeit gering ist. Doch Ebner-Eschenbach sieht ihren Misserfolg auch in ihrem eigenen Geschlecht begründet. Diese Negativer-fahrung verarbeitet sie in der Erzählung "Ein Spätgeborener," welche Wandruszka als Wende zu einer neuen Gattung und einer neuen Zeit begreift. Doch bewahrt sich Marie von Ebner-Eschenbach ihr Interesse an Politik, am Miteinander-Handeln der Menschen. Ihre Auffassung von der Arbeit des Dichters thematisiert sie zudem in der Erzählung "Lotti, die Uhrmacherin," in der sie den Schriftsteller Halwig als gescheitertes Talent zeichnet, da er ein Sklave des Publikumgeschmacks wird. Marie von Ebner-Eschenbachs eigenes Schaffen ist der Zeit, welche ihre täglichen Pflichten in Anspruch nehmen, mühsam abgerungen. Ihre Produktivität resultiert aber gerade auch aus der kritischen Auseinandersetzung mit anderen, wie Betty Paoli, Ida Fleischl und Helene Druskowitz.

Im zweiten Kapitel wendet sich Wandruszka dem Vorwurf zu, die Autorin habe sich in ihren Texten auf die Darstellung der aristokratischen Gesellschaft beschränkt. Dies wird von Wandruszka nicht als Beschränkung, sondern als Spiegelung bezeichnet: auf sozialer Ebene, wie in "Die Resel," oder auf zeitlicher Ebene, wie in "Er lasst die Hand küssen." Auch in der Erzählung "Nach dem Tode," in der Paul zu einem neuen Verständnis für seine verstorbene Frau gelangt, interpretiert Wandruszka deren Handeln als politisch, das Paul einen Spiegel vorhält.

In "Božena" geht es um die Handlungsmöglichkeiten einer Magd, welche in ihrer Wahrheitsliebe begründet sind. Auch hier spielt das Motiv der Mütterlichkeit als Zugang zur Welt eine große Rolle. In der Tatsache, dass die Protagonistinnen in beiden Texten ihre Schande gestehen, ohne dazu gezwungen zu sein, sieht Wandruszka eine Parallele zu "Unsühnbar" und wechselt in der Argumentation häufig zwischen beiden Texten hin und her. Überzeugender gestaltet sich die Interpretation der Erzählung "Das tägliche Leben" als Kritik an einer "besonders unerträgliche[n] Variante einer patriarchalen Institution" (77), der bürgerlich-akademischen Familie, und als Schicksal einer Frau, die an dem Privaten zugrunde geht.

Im dritten Kapitel stellt Wandruszka die politische Ästhetik Marie von Ebner-Eschenbachs dar, die ihrer Auffassung nach weniger dem Einfluss Schopenhauers oder Nietzsches als dem Friedrich Jodls oder William M. Salters folgt. Schon im "Gemeindekind," pointierter aber noch in "Der Muff" oder den "Bettelbriefen," werden mögliche Formen sozial-politischen Handelns thematisiert. Die Texte zeigen, dass Hilfe nur auf der Grundlage der Kenntnis...

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