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  • Deutsch-tschechische Migrationsliteratur. Jiří Gruša und Libuše Moníková
  • Helga G. Braunbeck
Deutsch-tschechische Migrationsliteratur. Jiří Gruša und Libuše Moníková. Von Ursula Maria Hanus. München: Iudicium, 2008. 176 Seiten. €20,00.

Die Fragestellung sowie das untersuchte Textkorpus in Hanus' Studie zur deutsch-tschechischen Migrationsliteratur überschneidet sich großenteils mit Alfrun Kliems' Studie Im Stummland—Zum Exilwerk von Libuše Moníková, Jiří Gruša und Ota Filip (Frankfurt am Main 2002). Der Autor Ota Filip taucht zwar in Hanus' Titel nicht auf, doch werden drei seiner Romane ebenfalls besprochen und zum Vergleich mit einem Werk Moníkovás herangezogen. Sowohl Hanus als auch Kliems fokussieren die Untersuchung der literarischen Werke auf ihren Status als transnationale Literatur, die gekennzeichnet ist durch den Ortswechsel der AutorInnen (Exil, Emigration, Expatriierung) sowie durch den Sprachwechsel ins Deutsche zumindest für Teile der Text-produktion. Beide Studien beginnen mit einem Überblick über den politischen und soziokulturellen Kontext im tschechoslowakischen Heimatland der besprochenen AutorInnen, der von einer Aufspaltung der Literatur in offizielle Literatur, Untergrunds-oder Samizdatliteratur und Exilliteratur gekennzeichnet war.

Während Kliems sich dann den für sie zentralen Konzepten von Identität, Heimat und Sprache im Exil zuwendet, stellt Hanus ihren Ansatz in den Forschungskon-text der "Migrationsliteratur" und ergänzt ihn mit einem Überblick über theoretische Grundlagen: Sie diskutiert Immacolata Amodeos grundlegende Studie Zur Literatur ausländischer Autoren in der BRD (1996) mit ihren Parametern von Rand, Fremde, Ausschluss, Nation; Deleuze/Guattaris Konzept der "Kleinen Literatur"; Bachtins Begriffe der "Redevielfalt" und "Mehrsprachigkeit"; und schließlich Ansätze aus dem Bereich der postkolonialen Theorie—Edward Saids "Orientalism," Homi Bhabhas "kulturelle Hybridität" und "Third Space"; und die Begriffe Exil und Nation. Während sich Kliems' Analyse der literarischen Texte auf viele Werke der AutorInnen bezieht, fokussiert Hanus ihre Analyse auf eigens im Hinblick auf migrationsrelevante Aspekte ausgewählte Texte: Grušas Lyrikbände Der Babylonwald (1991) und Wander-steine (1994), Moníkovás Romane Die Fassade (1987) und Treibeis (1992), sowie das Kurzdrama Caliban über Sycorax (1988) und, kürzer besprochen, Ota Filips Romane Wallenstein und Lukretia (1978), Café Slavia (1985) und Die Sehnsucht nach Procida (1988). Kliems bezieht die Kategorie Gender und Weiblichkeitsmythen in ihre Analyse mit ein; beide besprechen das Motiv des Inseldaseins; und Hanus beleuchtet zudem das Motiv "Böhmen liegt am Meer" und literarische Beziehungen zur Prager deutschen Literatur. Kliems' Studie, von der Hanus ihre eigene Untersuchung explizit abgrenzt, geht vor allem der literarischen Verarbeitung von Heimat-, Sprachwechsel- und Exilmotiven nach und verankert diese kultur- und sozialhistorisch—auch unter Berücksichtigung tschechischsprachiger Quellen. Hanus dagegen verschiebt den Fokus der Analyse und die angewandte Methodik weit hinein in das Feld theoretischer Diskurse aus den Bereichen Poststrukturalismus, Postkolonialismus und Bachtins Begriff der Dialogizität. Trotz der Besprechung derselben Literaten, teilweise derselben Texte, und des ähnlichen übergreifenden Themas ergänzen sich daher die Arbeiten von Kliems und Hanus mehr, als dass sie sich überschneiden.

An Grušas zwei Lyrikbänden wird untersucht, inwiefern sie den Ortswechsel und Sprachwechsel des Autors inhaltlich und ästhetisch reflektieren. Hanus bespricht die (oft verklausulierten) Nennungen tschechischer Orte, die Anspielungen auf den Prager [End Page 144] Frühling, die eingedeutschten Namen von befreundeten Dissidenten, die Metaphern für den Weggang (Expatriierung oder freiwillige Entscheidung) sowie die vielen Neologismen, die sich die Kompositafreudigkeit der deutschen Sprache zunutze machen, wie z. B. die Titelbegriffe "Babylonwald" und "Wandersteine." Die Bildlichkeit der Neologismen und Metaphern kann zum Teil über einen Rekurs auf das Tschechische erklärt werden, der so z. B. Grušas Begriff "stummland" als Synonym für Deutschland etabliert. Hanus sieht den Sprachwechsel in Grušas Lyrik "als ästhetisch schöpferisch und damit letztlich als positiv dargestellt" (73). Obwohl Bachtins Konzept des Dialogischen für die Prosa und für Soziolekte innerhalb einer Sprache entwickelt wurde, hält sie seine Anwendung für die Lyrik und die Dialogizität zwischen zwei National-sprachen für gewinnbringend und demonstriert, wie die Zweisprachigkeit Grušas zu Innovationen in seiner poetischen Sprache führt.

Die Besprechung von Moníkovás zwei Romanen erfolgt unter den Aspekten Nation, Geschichtsschreibung, Exil, kulturelle Identität, Peripherie und Zentrum. Da Moníkovás Allegorie der Fassade im gleichnamigen Roman den...

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