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  • Andere Klassik: Das Werk von Christian August Vulpius (1762–1827) Hrsg. by Alexander Košenina
  • Klaus L. Berghahn
Alexander Košenina, Hrsg., Andere Klassik: Das Werk von Christian August Vulpius (1762–1827). Hannover: Wehrhahn, 2012. 178 S.

Es ist nun fast ein halbes Jahrhundert her, dass sich die Germanistik nach einer Epoche der werkimmanenten Interpretation klassischer Werke auch für die andere Literatur des Lesepublikums zu interessieren begann. Die “kulturelle Doppelwährung” (Bausinger), hier der Goldstandard echter Dichtung und dort das Papiergeld der Unterhaltungsliteratur, konnte die Literaturwissenschaft nicht länger ignorieren. Helmut Kreuzer machte 1967 in einem Aufsatz “Trivialliteratur als Forschungsproblem” (DVjs 41) auf diese Dichotomie aufmerksam und Hermann Bausinger ergänzte dessen Ausführungen 1968 in einem Beitrag zu Heinz Otto Burgers Sammelband Studien zur Trivialliteratur. Jüngere Germanisten, wie Rudolf Schenda, Marion Beanjean, Wolfgang Langenbucher, Jochen Schulte-Sasse u. a. griffen damals diese Anregungen auf und untersuchten die Geschichte populärer Lesestoffe, um das schillernde Wort Trivillaliteratur zu vermeiden. Dieser Ansatz zu einer Sozialgeschichte der deutschen Literatur fand in den achtziger Jahren seinen Niederschlag in den mehrbändigen Literaturgeschichten, die bei Hanser, Metzler und dem nicht länger existierenden Athenäum-Verlag erschienen.

Daran knüpfte Alexander Košenina mit seinen Publikationen zu Ifflands Dramen (2009), Kotzebues Dramen (2011) und nun zum Werk von Christian August Vulpius an, ohne diese Vorgeschichte zu kommentieren. Zu leicht übersieht man, dass diese heute vergessenen Autoren damals volkstümlicher waren als Goethe, Schiller oder Wieland—von Kleist ganz zu schweigen. In einem Vorwort begründet Košenina dementsprechend das Interesse seiner Projektgruppe an diesem vergessenen Autor der Goethe-Zeit: Vulpius gehöre zu den Erfindern von Unterhaltungsserien; als langjähriger Bibliothekar der Weimarer Bibliothek integriere er viele kulturgeschichtliche und literarische Fundstücke in seinen Werken; und er bediene sich aller Genres von romantischen Erzählungen, über historische Dramen, bis zu Opernlibretti und Gelegenheitsdichtungen.

Mit der bunten Biographie von Christian August Vulpius (1762–1827) beschäftigt sich Roberto Simanowski. Vulpius besuchte bis 1781 das Gymnasium in Weimar, studierte anschließend Rechtswissenschaften, was ihn jedoch nicht befriedigte. Er brach das Studium ab. Nach einem Abstecher als Privatsekretär des Freiherrn von Soden in Nürnberg kehrte er 1790 nach Weimar zurück, wo er für das Hoftheater Übersetzungen und Bearbeitungen von Opern- und Schauspieltexten verfaßte. Auf Fürsprache seiner Schwester Christiane Vulpius, Goethes Geliebte und spätere Gattin, wurde er 1797 zunächst als Registrator, seit 1800 als Bibliothekssekretär, ab 1805 als ordentlicher Bibliothekar der Weimarer Hofbibliothek angestellt und 1816 zum Hofrat ernannt. Sein Salär war anfangs kläglich und verbesserte sich erst gegen Ende seines Lebens; dafür war sein [End Page 285] Arbeitspensum riesig, da er für alle Belange der Bibliothek verantwortlich war, was Goethe zu schätzen und zu loben wußte. Er kompensierte für seine Brotarbeit, indem er nebenbei Romane, Dramen und Opernlibretti schrieb, darunter 1799 den Bestseller Rinaldo Rinaldini der Räuberhauptmann, der bis 1858 achtmal aufgelegt, in mehrere europäische Sprachen übersetzt und dramatisiert wurde—und noch 1968 in 13 Folgen im ARD Abendprogramm gesendet wurde. Daran erinnert sich Simanowski nach 40 Jahren schmunzelnd und versucht, den “doppelten Lustgewinn” (18) für den Leser zu erklären. Dieser könne sich auf die Abenteuer des Räubers genussvoll einlassen, ohne die eigene bürgerliche Existenz zu gefährden.

Die rasante Kommerzialisierung des literarischen Marktes im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ist das Thema von Ute Schneiders kenntnisreichem Artikel. Die Buchproduktion vervierfachte sich in diesem Zeitraum, woran die Unterhaltungsliteratur den größten Anteil hatte. Es entstanden die ersten Lesegesellschaften und Leihbibliotheken, und schon bald wurde die “Lesewut” (26), vor allem von Frauen, heftig kritisiert. In dieser Zeit stieg Vulpius zum Erfolgsautor auf, der sogar an seine Verleger Honorarforderungen stellen konnte. Durch die Veröffentlichung von rund 40 Romanen, 70 Bühnenstücken und zahlreichen Gelegenheitsdichtungen hätte Vulpius ein reicher Mann werden können, wenn es damals in Deutschland schon ein Urheberrecht gegeben hätte. So aber lieferte er seine Werke gegen ein geringes Honorar an seine Verleger, die den Gewinn für sich einstrichen. Dieser wurde oft genug noch durch Raubdrucke geschmälert. Angeregt duch den Erfolg von Rinaldo Rinaldino...

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