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  • Eine Literaturgeschichte. Österreich seit 1650 by Klaus Zeyringer and Helmut Gollner
  • Peter C. Pfeiffer
Eine Literaturgeschichte. Österreich seit 1650. By Klaus Zeyringer and Helmut Gollner. Innsbruck: Studien Verlag, 2012. Pp. 840. €39.90. ISBN 978-3706549721.

Dieser Buchziegel kommt zwar mit einem bescheidenen Titel daher—eine Literaturgeschichte—, aber der Anspruch ist doch ein gewaltiger und wird im schieren Gewicht dieses Brockens auch sinnlich erfahrbar. Denn hier soll nichts weniger als eine kohärente Darstellung geboten werden, warum und wie die (deutschsprachige) österreichische Kultur-und Literaturgeschichte sich anders entwickelt hat als die (nord)deutsche und wie eine solche Ortsbestimmung dem konservativ-katholischen Zugriff entzogen werden kann, den sie in der Vergangenheit beinahe immer hatte. Der Beispiele sind viele. Die beiden wichtigsten, gegen die hier angeschrieben wird, sind die bis in die sechziger Jahre und darüber hinaus wirksamen Literaturgeschichten des völkischen Josef Nadlers und die konservativ-katholische Ausrichtung der verschiedenen von Herbert Zeman zusammengestellten Bände von 1979–1989 und von 1996. Schon der Mut der Autoren zu einem solchen monumentalen Unterfangen ist zu loben, diese Materialmassen in einem Guss zu behandeln. Das wäre dann eine weitere Lesart der einen Literaturgeschichte.

Dabei schreiben die Autoren eigentlich zwei Bücher in einem. Die Kärrnerarbeit hat Zeyringer mit einer Art Sozialgeschichte der österreichischen Literatur von 1650 bis in die Gegenwart übernommen. Gollner steuert prägnante Porträts bei von einigen, für die österreichische Tradition besonders signifikanten (oder auch nur besonders interessanten) Autoren und einen abschließenden Essay, in dem österreichische Versionen der Faust-Sage von Grillparzer und Lenau bis zum 1978 geborenen Ewald Palmetshofer einmal mehr als Kontrastbeispiele zur (nord) deutschen Tradition vorgestellt werden. „Die humanistische Beschwörung des autonomen Subjekts hat die österreichische Literatur schon in der Goethe-Nachfolge weitestgehend mit [End Page 421] Kulturpessimismus, Determinismus, Positivismus, Psychologie und Misanthropie beantwortet, also mit einem signifikanten Unglauben gegenüber idealistischen, ideologischen und metaphysischen Menschendefinitionen, auch gegenüber dem Optimismus der Aufklärung“ (787). Damit ist der Hauptstrang der Argumentation noch einmal zusammengefasst. „Postmoderne ist auch eine Folge von Posthumanismus“ (796)—und dessen Zeitalter, so hatte man schon früher gelesen, „beginnt in Österreich mit Grillparzer und Nestroy“ (239). Österreich also ganz vorne.

Nach einführenden Auslassungen über die Entstehung des habsburgischen Kulturraums entwickelt Zeyringer einige der grundsätzlichen Differenzierungsmerkmale in dieser Richtung. Vor allem sind es die unterschiedlichen Funktionen von Literatur und Kanonbildung, die die Unterschiede erzeugen. Hier der nationalstaatlich ausgerichtete Norden des deutschen Sprachraums, mit seiner Allianz zwischen protestantischem Pfarrhaus und Literatur, dort das multi-ethnische, vielsprachige, stark von romanischen Kulturen geprägte, übernationale Habsburg, in dem beinahe alle Schriftsteller entweder von Jesuiten erzogen worden waren, oder der Beamtenschaft entstammten—und meistens beides zugleich. Besonders an der Dramatik und der Rolle der Komik wird das immer wieder gezeigt. Hier die staatspädagogische Idee des bürgerlichen Nationaltheaters, die die Komödie nur als „ernste“ zuließ, dort die Spannung zwischen repräsentativer Schaustellung (Burgtheater) und komischer Unterhaltungs-und Lachtheatertradition (Vorstadtbühnen) mit ihren aufklärungsskeptischen Untertönen. Die konservative bis reaktionäre Grundtendenz in Österreich—und die Versuche, sie immer wieder literarisch zu umgehen und performativ auszuhebeln—bestimmen das Umfeld.

Zeyringer gliedert den Textkörper in größere, meist durch politische Ereignisse bestimmte Abschnitte, wobei er zeitlich eine gewisse Offenheit bewahrt. Um einen Eindruck zu vermitteln, sei hier nur einer wiedergegeben: 1970/73–1986/88/89—mit der Argumentation, dass die Alleinregierung der SPÖ und dann die Waldheimaffäre und die internationale Ächtung Österreichs nach Eintritt der Haider-FPÖ in die Koalitionsregierung größere Einschnitte für die österreichische Kulturgeschichte bedeuteten als der Fall des Eisernen Vorhangs 1989. Diese Art Engführung von politischer Geschichte und Kultur-bzw. Literaturgeschichte ist nicht zwingend, aber in einer sozialgeschichtlichen Darstellung kaum zu vermeiden—und sie hat durchaus viel für sich, weil eine Rückbindung der Literatur, auch der nicht explizit engagierten, an den öffentlichen Raum existiert und nicht nur in den luftleeren des Ästhetischen.

Die jeweiligen Abschnitte sind in kürzere Kapitel unterteilt, beginnen mit sozialgeschichtlichen Daten und Entwicklungen, Darlegungen des Buchmarktes und des literarischen Lebens, um dann, besonders ab dem späteren 19. Jahrhundert Autoren und Werke zu behandeln. Zusammenfassungen, die bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs...

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