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Reviewed by:
  • The Novel after Theory
  • Paul Michael Lützeler
The Novel after Theory. By Judith Ryan. New York: Columbia University Press, 2011. Pp. 260. Cloth $29.50. ISBN 978-0231157421.

Es gibt, international gesehen, nur wenige WissenschaftlerInnen, die es an Expertise mit Judith Ryan aufnehmen können, wenn es in Germanistik und Komparatistik um den modernen und postmodernen Roman im 20. Jahrhundert geht. Das belegen ihre Bücher The Uncompleted Past (1983), The Vanishing Subject (1991) und The Novel after Theory (2011). Die jüngste Studie zeigt auf innovative Weise, wie Romane im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts fiktional auf jene “Theorie” reagieren, die unter dem Oberbegriff “Poststrukturalismus” die intellektuelle Szene in der Literaturwissenschaft der 1980er und 1990er Jahre prägte. Während es philosophische Ideen und Konzepte sind, welche die Struktur des modernen Romans im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts häufig bestimmen (man denke u.a. an Werke von André Gide, Aldous Huxley, Hermann Broch, Thomas Mann und Robert Musil), ist für viele postmoderne Romane am Ende des letzten Jahrhunderts bezeichnend, dass sie auf unterschiedliche Weise Thesen und Vorstellungen reflektieren, die im Umkreis des Poststrukturalismus ventiliert wurden. Dabei kann es um imitative Anleihen, reflektierende Umsetzungen, komplizierende Anspielungen und kritisierende Parodien gehen. Dass die Pariser Theoretiker Michel Foucault und Jacques Derrida (und mit ihnen Roland Barthes, Gilles Deleuze, Jacques Lacan, Jean Baudrilllard, Julia Kristeva und Jean-François Lyotard) einen solchen Erfolg gerade in der amerikanischen Literaturwissenschaft haben konnten, hatte mit der Tatsache zu tun, dass die Beziehung von gesellschaftlicher Realität und sprachlicher Praxis differenzierter diskutiert wurde, ja dass die Konstitutionskraft der Sprache (und nicht lediglich ihre Abbildungsfähigkeit) ins Zentrum der Theorie rückte. Damit waren sie sowohl den bis in die Mitte der 1960er Jahre hinein dominierenden Verfechtern des “close reading” wie auch den Vertretern unterschiedlicher neo-marxistischer Richtungen, die von der Mitte der 1960er bis zum Ende der 1970er Jahre die Methodendiskussion beeinflussten, überlegen. Inzwischen haben sich in Literatur- und Kulturwissenschaft zahllose Hybridbildungen [End Page 710] ergeben, was Theorie und Ansätze betrifft, und einen größeren Methoden-Pluralismus als heute hat es wohl nie gegeben, was beim Durchlesen von Fachzeitschriften oder beim Besuch von MLA- oder GSA-Tagungen unmittelbar ins Auge springt. Auf jeden Fall ist der Poststrukturalismus weder vergangen noch tot, sondern lebt in allerhand symbiotischen Verbindungen—und sogar im Roman—fort.

Judith Ryan bietet eine Reihe von Fallstudien, in denen sie den Dialog zwischen poststrukturalistischer Theorie und Roman entdeckt und analysiert. Dabei geht sie selbst von einem Ansatz aus, der sich der französischen Theorie verdankt, nämlich der Intertextualitätstheorie von Julia Kristeva und deren Weiterentwicklung als Transtextualität bei Gérard Genette. Im Mittelpunkt von Ryans interpretatorischem Interesse stehen die Herausarbeitung ethischer Dimensionen des Poststrukturalismus und (in noch höherem Grade) der Romane, die sich mit diesem Theorienspektrum auseinandersetzen. Die Herausarbeitung dieses Dialogs ist alles andere als einfach: Zum einen benutzen die Romanciers nicht die Fachterminologie der französischen Philosophen, und zum anderen werden in einer Reihe fiktionaler Texte abstrakte Theorien auf romanhafte Weise mit ethischen Fragen konfrontiert, die mit der Bewertung katastrophaler historischer Ereignisse oder Gegebenheiten (Holocaust, Apartheid, Krieg) zu tun haben. Es geht in der Literatur also nur zum Geringsten um Illustrationen zur Theorie, sondern vor allem um die Aufdeckung von Nichtgeklärtem, von Widersprüchen und Reduktionen.

Das Buch ist in drei Kapitel gegliedert, in denen der romanhafte Umgang mit Theorien der Textualität, der Psychologie bzw. Psychoanalyse und der Gesellschaft erläutert wird. Im ersten Kapitel geht es um den Dialog mit Roland Barthes (“Tod des Autors,” “Scriptor”) und Jacques Derrida (“Dekonstruktion,” “Différance”). Mit der Dekonstruktion des Autor-Subjekts bei Roland Barthes will Marguerite Duras in L’amant nicht viel zu tun haben. Hier wird deutlich, dass der namenlose Erzähler der Autorin Duras immer ähnlicher wird, so dass der Roman letztlich nicht das Auslöschen des Autors verdeutlicht, sondern im Gegenteil seine Schöpfung durch den anonymen Erzähler vor Augen führt. Parodiert wird Barthes Idee vom “Tod des Autors” in Camille Laurens’ Roman Index: da wird im Erzähltext ein Buch mit dem Titel Index vorgestellt, das von einem Autor mit dem Namen Camille Laurens geschrieben wird. Komplizierter ist der...

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