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  • Frauenzeitschriften aus der Sicht ihrer Leserinnen: Die Rezeption von „Brigitte“ im Kontext von Biografie, Alltag und Doing Gender
  • Lu Seegers
Frauenzeitschriften aus der Sicht ihrer Leserinnen: Die Rezeption von „Brigitte“ im Kontext von Biografie, Alltag und Doing Gender. By Kathrin Friederike Müller. Bielefeld: transcript-Verlag, 2010. Pp. 450. Paper €34.80. ISBN 978-3837612868.

Warum lesen Millionen Frauen Woche für Woche oder zumindest 14-tägig eine Frauenzeitschrift? Diese Frage ist keineswegs neu, aber immer wieder spannend. Aktuell fragt die an der Universität Münster entstandene Dissertation von Kathrin Friederike Müller danach, warum Frauen Frauenzeitschriften rezipieren und wie sie sich deren Inhalte aneignen. Ihrem Thema nähert sich die Autorin auf drei Ebenen: Aus medienbiographischer Perspektive analysiert sie, wie sich der Einstieg in die Frauenzeitschriftenrezeption vollzog und bedingt durch lebensgeschichtliche Ereignisse veränderte. Zweitens wird die Rezeption aus einer alltagsbezogenen Perspektive in gesellschaftlich, sozial und individuell geprägten Bezügen untersucht. Aus einer geschlechterbezogenen Perspektive fragt die Autorin drittens nach dem „Doing Gender“, d.h. ob Frauen bei der Rezeption geschlechtliche Identität performativ aushandeln bzw. sich zuschreiben. Müller wertet dazu qualitative Interviews mit 19 Frauen—15 regelmäßigen und vier Gelegenheitsleserinnen—der bundesrepublika-nischen Marktführerin „Brigitte“ im Alter von 20 bis 69 Jahren aus, die allesamt der Mittelschicht angehören und mindestens einen Realschulabschluss besitzen.

Dezidiert grenzt sich Kathrin Friederike Müller von älteren Rezeptionsstudien ab, die bis Ende der 1980er Jahre Frauenzeitschriften in erster Linie als Manipulationsinstrument eines patriarchal-kapitalistischen Herrschaftssystems betrachteten. Erst seit den 1990er Jahren sind in Deutschland Studien entstanden, die—inspiriert vom „Uses-and-Gratifications“-Ansatz—zeigten, dass die Redaktionen ihre Frauenleitbilder gesellschaftlichen Wandlungsprozessen anpassten und weibliche Lebenszusammenhänge berücksichtigten (bspw. Jutta Röser, Frauenzeitschriften und weiblicher Lebenszusammenhang: Themen, Konzepte und Leitbilder im sozialen Wandel [Opladen, 1992]). Müller hingegen orientiert sich an den cultural media studies, um individuelle Aneignungspraktiken und die Bedeutung der Frauenzeitschriften für weibliche Alltagskulturen destillieren zu können.

Mit den Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse sowie der „grounded theory“ gelingt es der Autorin, neue Ergebnisse zur Rezeption von Frauenzeitschriften hervorzubringen. So kann Müller zeigen, dass die Lektüre mitunter in den Familien trans-generational von den Müttern an die Töchter weiter gegeben wird. Gerade Frauen im Alter zwischen 50 und 60 Jahren stießen jedoch selbständig auf die Zeitschriften [End Page 451] und nutzten diese gewissermaßen zur Generationenabgrenzung. Vielfach begannen die Frauen mit der Rezeption zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr zu Beginn von Berufsausbildung oder Studium. Dabei wurden und werden die Zeitschriften gezielt zur Entspannung nach der Arbeit oder dem absolvierten Lernpensum eingesetzt. Bei anderen Leserinnen gab die Familiengründung und die damit verbundene zeitweise Aufgabe der Erwerbstätigkeit den Anlass zur Lektüre, sei es, weil die Zeitschriften eine Brücke zur Außenwelt darstellten, sei es, um sich Freiräume im häuslichen Alltag zu schaffen.

Im alltäglichen Kontext wird „Brigitte“ verteilt über mehrere Tage und Wochen gelesen und nimmt dabei arbeits- wie freizeitstrukturierende Funktionen ein. Inhaltlich nutzen die Leserinnen die Zeitschriften als Anregung zur Gestaltung des eigenen Haushalts, zur kreativen Geschmacksbildung sowie zur Auseinandersetzung mit Geschlechterrollenentwürfen. Auch die lebensberatenden Inhalte der Frauenzeitschriften werden jedoch nicht als Handlungsanweisungen gelesen, „sondern dienen zur Relativierung und Neubewertung eigener Probleme“ (179). In den Augen der Leserinnen gilt die „Brigitte“ als niveauvoll, emanzipiert und als offen für Frau-endarstellungen jenseits konventioneller Weiblichkeitsideale. Zugleich werden die Inhalte der Zeitschrift und die in ihr präsentierten Produkte im Lese-Alltag durchaus kritisch hinterfragt und fortlaufend einer genauen Bewertung unterzogen, die auch im sozialen Umfeld kommuniziert wird. Müller zeigt darüber hinaus erstmals die Langlebigkeit einzelner inhaltlicher Segmente im weiblichen Alltag auf. So archivieren einige Leserinnen Rezepte, Bastelanleitungen und Urlaubstipps mehr oder weniger systematisch. Das Sammeln dient nicht nur pragmatischen Zwecken, sondern schafft auch emotionale Wohlgefühle im Alltag durch die Hoffnung z.B. schöne Orte eines Tages besuchen zu können. Die Rezeption von „Brigitte“ charakterisiert die Autorin deshalb nachvollziehbar als produktives und lustbezogenes Medienhandeln. Die Frauen nutzen „Brigitte“, um sich auf sich selbst zu konzentrieren, sich eine Freude zu machen und sich zu erholen.

Ausgehend vom „Doing-Gender“-Ansatz zeigt Müller, dass die...

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