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  • Arthur Schnitzler und der Film
  • Eva Kuttenberg
Arthur Schnitzler und der Film. Edited by Achim Aurnhammer, Barbara Beßlich, and Rudolf Denk. Würzburg: Ergon, 2010. Pp. 385. Cloth €55.00. ISBN 978-3899137484.

Der Wiener Arthur Schnitzler (1862–1931) versäumte ab 1903 keine Gelegenheit, im Panorama durch die Welt zu reisen, sich bei Dokumentationen in der Urania weiterzubilden, oder bei unzähligen Schund- und klassischen Stummfilmen vom Berg-zum Wiener Heimatfilm zu amüsieren. Den Stummfilm schätzte er; den Tonfilm verabscheute er.

Diese ausgeprägte Leidenschaft inspiriert wiederum die Schnitzler-Forschung, sich ausführlich den Filmadaptionen seiner Erzählungen und Dramen zu widmen und Inszenierungen der Eigen- und Fremdwahrnehmung durch innovative Erzähl-perspektiven [End Page 184] und Montagetechniken in seinen Texten zu analysieren. Die Veröf-fentlichung von Schnitzlers Tagebuch, das seine Kinoleidenschaft dokumentiert, und die Restaurierung einzelner Filme, speziell Paul Czinners Fräulein Else (1929), beschleunigten diese Neuorientierung. Das Ergebnis ist eine Repositionierung des Autors als Zeitzeuge der Massenkultur der 1920er Jahre.

Der vorliegende Sammelband entstand 2008 im Rahmen des internationalen „Schnitzler und Film“ Symposiums in Freiburg, an dem Literatur-, Film-, und Medienwissenschaftler aus Deutschland, England, Frankreich, Italien, Österreich und den USA teilnahmen. In der Einleitung legen die Herausgeber ihre Absicht klar fest: Die insgesamt 20 Beiträge gliedern sich in drei Abschnitte und sollen durch einen „autorspezifischen, intermedialen oder rezeptionsästhetischen“ (11) Ansatz Schnitzlers Entwicklung vom „Kinodramatiker zum Kinoerzähler“ und schließlich zum „Drehbuchautor”“ (10) zeigen. Diese Ambitionen löst der Sammelband tatsächlich ein.

Da es unmöglich ist, allen Beiträgen im Detail gerecht zu werden, beschränkt sich diese repräsentative Auswahl auf Artikel, die über eine inhaltliche Umsetzung von Erzählungen, Dramen oder Theaterinszenierungen zum Film hinausgehen. Symptomatisch für Schnitzlers Epoche waren technologische Umbrüche, die Ursula von Keitz und Wolfgang Lukas am Beispiel der Novelle Spiel im Morgengrauen (1926/1927), Schnitzlers unveröffentlichtem „Regiebuch”“ (1928) und dem unabhängig davon entstandenen Tonfilm Daybreak (1931) zeigen.

Julia Ilgners geschickter Überblick zu Schnitzlers Filmkonsum veranschaulicht die beeindruckende Vielfalt des Filmangebots. Vorsicht ist bei der verallgemeinernden Schlussfolgerung geboten: „Der Film wurde von ihm [vor 1920] primär als Unterhaltung, nicht als autonome Kunstform begriffen“ (43). Nachweislich beschäftigt sich Schnitzler schon früher mit den Möglichkeiten des Kinos und verfolgt unter anderem ab 1914 die Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg in den an der Urania gezeigten Kinematogrammen mit. Ein entsprechender Verweis auf den Vorgängerband Die Tatsachen der Seele. Arthur Schnitzler und der Film (2006) wäre dringend angesagt, denn bei 175 Fußnoten wäre es auf eine weitere nicht mehr angekommen.

Lorenzo Belletini relativiert Schnitzlers Filmschaffen durch die Gegenüberstellung mit dem wesentlich produktiveren, kompromissbereiten Drehbuchautor Felix Salten. Die Internationalisierung der Schnitzler-Forschung fördert Holger Bachmanns Porträt von Michael Curtiz’ Filmkarriere, die man mit den Klassikern Mildred Pierce oder Casablanca assoziiert, die jedoch mit Schnitzlers engagierter Mitarbeit bei der Verfilmung seines Historiendramas Der junge Medardus begann, bei der der noch als Mihály Kertész bekannte Regisseur Techniken entwickelte, die ihm zum Durchbruch verhalfen.

Als einzige traut Konstanze Fliedl dem Autor auch Medienkritik als Widerstand gegen die Bilderflut im Sinne einer „visuelle[n] Negativität als Signum des zwanzigsten [End Page 185] Jahrhunderts“ zu (158). Die Inszenierung der Blindheit liest Fliedl als Dramaturgie des Blicks. Souverän verknüpft sie real soziale Aspekte wie die Wiener Blindeninstitute mit einer subtilen Textanalyse, die für Schnitzlers „ästhetische Selbstreflexion“ (158) sprechen, die weniger als „Antizipation“ sondern als „scharfsichtige Parallelaktion“ (161) zu verstehen sei.

Im Zusammenhang kulturpolitischer Debatten und sozialkritischer Medienanalyse verdient neben Sandra Nuys Arbeit zu Professor-Bernhardi-Adaptionen im deutschen und österreichischen Fernsehen Camilla Miglios Essay zu Casanovas Heimfahrt im italienischen Fernsehen besondere Hervorhebung, der die mediale Neugestaltung Casanovas als „Intellektuellen der Hoch- und Spätaufklärung“ erläutert (319). Dagmar C. G. Lorenz’ ausgezeichneter Beitrag zur Amerikanisierung von Stanley Kubricks Eyes Wide Shut konzentriert sich auf Beobachtungen zur bürgerlichen Mittelschicht als Spielball der kapitalistischen Ausschweifungen der high society und auf den regressiven Trend in Sachen Gender, der auf eine „domestizierte Weiblichkeit“ (351) abzielt.

Neben der sorgfältigen Herausgeberschaft überzeugt die Studie durch die umfassende Bestandsaufnahme zu Schnitzlers Filmschaffen mit nachhaltender internationaler Wirkung. Auf...

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