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  • Rumäniendeutsche? Diskurse zur Gruppenidentität einer Minderheit 1944-1971
  • Georg Kastner
Rumäniendeutsche? Diskurse zur Gruppenidentität einer Minderheit 1944–1971. By Annemarie Weber. Cologne: Böhlau, 2010. Pp. 349. Cloth €44.90. ISBN 978-3412205386.

Minderheitenstudien reduzieren sich oft auf nationale Fragen. Die Erforschung der deutschsprachigen Minderheiten in Gebieten der ehemaligen Habsburgmonarchie behalten meist jene Unterscheidungen bei, die bis 1918 bzw. 1945 üblich waren. Die Deutschen in Rumänien als ehemalige Untertanen des ungarischen Königs werden daher eher mit ihren Siedlungsgebieten Siebenbürgen oder Banat als quasi eigenständigen Gebieten und weniger mit Rumänien in Verbindung gebracht. Wer sind also die Rumäniendeutschen?

Dies ist die zentrale Frage, der Annemarie Weber in ihrer durchwegs gelungenen Monographie nachgeht. Dabei beschränkt sie sich zwar hauptsächlich auf jene Phase, die mit der Einnahme Rumäniens durch die Rote Armee beginnt und mit der von [End Page 211] Nicolae Ceauçescu 1971 verordneten „Kulturrevolution“ endet, liefert aber dann eine Studie, die die gesamte kommunistische und postkommunistische Zeit umfasst. Die Arbeit ist dabei interdisziplinär angelegt. Weber widmet sich in erster Linie ihrem Hauptforschungsgebiet, nämlich der Literatur, jedoch werden die historischen Entwicklungen der deutschen Minderheit in Rumänien nicht außer Acht gelassen, was notwendig ist, da diese Epoche historisch noch vergleichsweise schlecht erarbeitet ist. Der diskursanalytische Zugang der Autorin erweist sich daher als wahrscheinlich beste Möglichkeit einer Antwort auf die entscheidende Frage näher zu kommen: Gibt es überhaupt Rumäniendeutsche, und wenn ja, wer sind sie?

Besonders aufmerksam widmet sich Weber den verschiedenen Facetten dieser Identitätsfindung im Zuge der kommunistischen Machtübernahme und zeichnet auch die unterschiedlichen Entwicklungslinien der „Siebenbürger Sachsen“ sowie der „Donauschwaben“ (oder Banater Deutschen) nach, die ja schon auf Grund ihrer unterschiedlichen Geschichte bzw. ihrer mehrheitlichen religiösen Ausrichtung nicht einfach verschmolzen werden dürfen. Diese Vielfältigkeit wird besonders in den ersten beiden Kapiteln des Buches deutlich, die sich mit der unmittelbaren Nachkriegszeit beschäftigen. Dabei gelingt es der Autorin identitätsstiftende Diskurse, wie die Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit (sprich der Rezeption des Nationalsozialismus unter den Rumäniendeutschen) und der Übernahme kommunistischer Ideen aus einer Fülle repräsentativer deutschsprachiger Zeitungen nachvollziehbar zu analysieren.

Eine weitere zentrale Frage der Studie ist zudem die nach dem Platz, den die deutsche Minderheit im kommunistischen Rumänien einnehmen konnte oder besser durfte. Dabei wird besonders im Hinblick auf die Nachkriegszeit das Problem der Mitschuld an den Verbrechen der deutschen Wehrmacht im rumänischen Raum analysiert. Der kulturelle Niedergang gipfelte schließlich in einer kulturellen Neuorientierung, die interessanter Weise in der Zeit zwischen 1949 und 1953 ihren Höhepunkt fand, wo sich die Rumäniendeutschen als Gesamtheit der deutschsprachigen Werktätigen verstanden und damit eine Definition gefunden hatten, die einerseits mit der volksdemokratischen Ordnung kompatibel war und andererseits die eingangs angesprochene Teilung endgültig hinter sich ließ. Dass das religiöse Element im Kommunismus untergeordnet war, trug sicherlich zu dieser dann doch vollzogenen Verschmelzung bei. Aber gerade in der Endzeit des Kommunismus erfolgte dann eine weitgehende Umorientierung. Die deutschsprachige Literatur und damit auch die deutsche Kultur wandte sich von der Vergangenheitsorientierung ab und richtete sich positiver, das heißt auch zukunftsorientiert aus, so Weber.

Sowohl Nationalsozialismus als auch Kommunismus und schließlich große Abwanderungsbewegungen nach der Wende haben einen Gutteil der deutschen Kultur in Rumänien zerstört. Die Spurensuche Webers bringt aber zutage, dass noch weit mehr von dieser Kultur vorhanden ist, als gemeinhin angenommen wird. Die Autorin zeichnet damit nicht nur Geschichte nach, sie liefert auch eine Neudefinition [End Page 212] für eine Facette deutschsprachiger Kultur, die noch viel zu wenig zur Kenntnis genommen wird. Das Buch wird damit zu einem wesentlichen Ausgangspunkt für weitere Forschungen zur deutschsprachigen Literatur und Kultur, aber auch zur Geschichte im Rumänien an der Wende zwischen dem zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert.

Georg Kastner
Andrássy Universität Budapest
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