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  • Resonanz. Potentiale einer akustischen Figur by Karsten Lichau, Viktoria Tkaczyk, Rebecca Wolf
  • Benjamin Wihstutz (bio)
Karsten Lichau, Viktoria Tkaczyk, Rebecca Wolf (Hrsg.): Resonanz. Potentiale einer akustischen Figur. München: Wilhelm Fink, 2009, 375 Seiten, mit CD-ROM, 60,00 €.

Dass sich mit “Resonanz” nicht allein die Übertragung von Wellenfrequenzen, sondern ganz unterschiedliche Phänomene in den Natur- und Geisteswissenschaften bezeichnen lassen, ist angesichts der alltagssprachlichen Beliebtheit dieser Metapher wenig überraschend. Bemerkenswert ist vielmehr, welche historischen und methodologischen Bezüge die Figur im Stande ist, aufzuzeigen, und welche Verknüpfungen sie zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen akustischen Phänomenen und technischen Erfindungen, zwischen Ästhetik und Neuroästhetik herzustellen vermag. Der Sammelband, der aus der Abschlusskonferenz des Graduiertenkollegs Körperinszenierungen an der FU Berlin hervorgegangen ist und sich dieser Komplexität annimmt, hat sich zwei Ziele gesetzt: Zum einen geht es darum, dem viel beschworenen iconic turn und der Tradition des Okolarzentrismus eine akustische Figur entgegenzusetzen und auf ihr Potential hinzuweisen; zum anderen versucht der Band, die durch den New Historicism angeregte Debatte um Kultur- als Resonanzräume aufzugreifen und zu vertiefen. So ist es auch Stephen Greenblatt selbst, der mit dem vorangestellten Beitrag “Resonanz und Staunen revisited” eine Aktualisierung des gleichnamigen Essays von 1990 vornimmt und exemplarisch das methodische Potential der akustischen Figur für die Literaturgeschichte aufzeigt. Die übrigen 20 Beiträge gliedern sich in drei Abschnitte: 1. Resonanz: Musiktheoretische Positionen 2. Die akustische Figur als Wissensfigur 3. Resonanz, Materialität, Performativität.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die gewinnbringende Ambiguität des Resonanzbegriffs liefern die Herausgeber in ihrer Einleitung mit dem berühmten Orson Welles-Hörspiel The War of the Worlds. Der Legende nach versetzte die zweiminütige Sequenz des Radio-Hörspiels, die sich der Leser als Audiodatei auf der dem Buch beiliegenden CD-ROM anhören kann, bei seiner Ursendung 1938 tausende Zuhörer in Panik, da die vermeintliche Live-Reportage über den Angriff Außerirdischer unvermittelt abbricht. Ob das Radio, dessen technische Erfindung auf der Resonanz elektromagnetischer Wellen beruht, allerdings tatsächlich durch den inszenierten Resonanzabbruch zum Auslöser einer “Resonanzkatastrophe” wurde, ist laut Einschätzung der Autoren mehr als fraglich, da die Legende überhaupt erst durch die Resonanz in den Medien, der Massenpsychologie und Militärgeschichte gebildet wurde. Dass die zeitgleiche Entstehung des Radios in Deutschland und den Vereinigten Staaten hinsichtlich der Ausschöpfung seines Resonanzpotentials ganz unterschiedliche Entwicklungen und Stimmpolitiken zur Folge hatte, zeigt auch der Beitrag von Wolfgang Hagen. Über die Erfindung des Radios hinaus stellt ein Gespräch mit der Kuratorin Brigitte Felderer Bezüge zur Kulturgeschichte der Stimme als Medium her. Unter anderem wird von der Sprechmaschine Wolfgang von Kempelens aus dem späten 18. Jahrhundert berichtet, deren rekonstruierte Stimme sich eben-falls auf der CD des Buches wiederfindet.

Auf welche Weise Resonanz als akustisches und technisches Phänomen im Verlauf der Geschichte immer wieder zugleich metaphorisch in Anspruch genommen wurde, zeigen mehrere wissenschaftshistorische Aufsätze der Anthologie. So legt Wolfgang Scherer dar, wie das Clavichord einen entscheidenden Beitrag für die Popularität der Resonanzmetapher im 18. und frühen 19. Jahrhundert leistete, sodass sich nicht nur Theorien der Empfindsamkeit, sondern auch anatomische und pädagogische Theorien (Herder) auf [End Page 111] das Modeinstrument als Resonanz-Modell bezogen. Caroline Welsh knüpft an Scherers Beitrag an, indem sie den Wandel des Resonanzmodells von der “Sympathie” zur “Stimmung” im 18. Jahrhundert als Geschichte der Verinnerlichung nachzeichnet. Einen eher ungewöhnlichen Untersuchungsgegenstand präsentieren Robert Matthias Erdbeer und Christina Wesseley mit der Resonanzmetapher in esoterischen Theorien im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Anhand Gustav Theodor Fechners “Anatomie der Engel” und Hans Hörbigers “Welteislehre” als zwei Universaltheorien “kosmischer Resonanz”, die sich gegen die exakten Wissenschaften richteten, werfen die beiden Autoren die Frage auf, wo die Grenzen von Wissenschaft und Esoterik verlaufen. Eines der jüngsten Beispiele dafür, dass die Resonanzmetapher fähig ist, diese Grenzen zu verwischen, stellt die allgemeine Resonanztheorie des verstorbenen Genforschers Friedrich Cramers dar, die in mehreren Beiträgen zitiert wird: “Resonanz ist es,” so Cramer, “die die Welt in seinem Innersten zusammenhält”.

Nachvollziehbarer scheint da die Anwendung der Resonanzmetapher auf die, auch bei Geisteswissenschaftlern seit einigen Jahren auf großes Interesse...

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