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  • Zwischen Anti moderne und Postmoderne. Das deutsche Drama und Theater der Nachkriegszeit im internationalen Kontext by Wolf Gerhard Schmidt
  • Michael Bachmann
Wolf Gerhard Schmidt. Zwischen Anti moderne und Postmoderne. Das deutsche Drama und Theater der Nachkriegszeit im internationalen Kontext. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler, 2009, 800 Seiten, 99,95 €.

Allzu lange dienten die fünfziger Jahre und die Situation im geteilten Nachkriegsdeutschland vor allem als Kontrastfolie für das, was nach ihnen kam: die 68er-Bewegung und damit die zunehmende Politisierung künstlerischer Praktiken. Aus dieser Perspektive wurden die Fünfziger eher als unpolitisch abgetan – ein Befund, der zwar im Groben stimmt, in seiner Undifferenziertheit aber nicht von einer Beschäftigung mit dem Nachkriegsjahrzehnt entlasten kann. Trotzdem zeichnet sich erst seit der Jahrtausendwende eine Verschiebung der Forschungsperspektive zugunsten der Fünfziger ab, ausgehend auch von neueren Untersuchungen zu 1968. Aus theaterwissenschaftlicher Sicht eröffnet z.B. Dorothea Kraus’ Theater-Proteste: Zur Politisierung von Straße und Bühne (2007) mit einem lesenswerten Kapitel zum “Feld des Theaters in den fünfziger Jahren”. Zu Recht erscheinen weite Teile des Felds auch hier als Gegenbild zu den Theaterversuchen der Sechziger, doch Kraus betont die Brüche in diesem Bild und zeigt, dass die Frage nach der gesellschaftspolitischen [End Page 105] Funktion und Qualität von Theater zu jener Zeit kontrovers diskutiert wurde. Über das Theater hinausgehend, haben Publikationen wie der von Werner Faulstich edierte Sammelband Kultur der fünfziger Jahre (2002) entscheidend zu einer Neubewertung der Epoche beigetragen.

Wolf Gerhard Schmidts Habilitationsschrift, die bei Metzler unter dem Titel Zwischen Antimoderne und Postmoderne erschienen ist, reiht sich bewusst in jene Studien zum Nachkriegsjahrzehnt ein, die eine “Janusköpfigkeit” der Fünfziger profilieren wollen, ohne sie zugleich “aus tiefem Vergessen gleichsam direkt auf den Platz an der Sonne zu heben” (5). Wenn Schmidt gegen die These anschreibt, dass das Nachkriegsjahrzehnt – zumal mit Blick auf Westdeutschland – nur eine Epoche der lähmenden Restauration gewesen sei, ignoriert er deren konservativen Züge also keineswegs. Vielmehr will er das Bewusstsein für die “Präsenz eines inhaltlichen bzw. ästhetischen Pluralismus im deutschen Drama und Theater der Nachkriegszeit” (12) schärfen. Diese Aufgabe unterscheidet sich für die beiden Gegenstandsbereiche, die Schmidt betrachtet. Was Theater betrifft, versucht er die Arbeit von Regisseuren wie Gründgens oder Sellner, die als eher unpolitisch verstanden werden, gegenüber jenen Regiepraktiken aufzuwerten, die in der Theaterlandschaft der Fünfziger als politisch engagiert gelten, also Kortner, Piscator und Brecht. Geht es hier um eine Neubewertung letztlich bekannter Phänomene, muss Schmidt in Bezug auf den zweiten Gegenstandsbereich – das Drama – erst einmal das zu untersuchende Feld reklamieren. Zu übermächtig ist bis heute das Schlagwort vom “Schweigen des deutschen Dramas” der Nachkriegszeit (zu finden etwa in der 2006 überarbeiteten und von Wilfried Barner herausgegebenen Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart), als dass es fundierte Gesamtdarstellungen jenseits der kanonisierten Dramentexte (z.B. Zuckmayer oder Borchert) geben würde. Dies zu ändern, ist das größte Verdienst von Schmidts Studie. Der Literaturwissenschaftler stellt die west- und ostdeutsche Dramenproduktion zwischen 1945 und 1961, dem Jahr des Mauerbaus, umfangreich dar. Aufgrund der schieren Menge an Material, das seine Studie auftut, können die Dramen meist nur einer kursorischen Lektüre unterzogen werden. Dennoch gelingt es Schmidt, diese schlüssig in verschiedene Narrative und ästhetische Ordnungen aufzuteilen. Dem entspricht die nur auf den ersten Blick verwirrende Struktur seines Buches. Nach einem ersten Teil, der “Soziokulturelle Ordnungen” überschrieben ist und die Theaterszene der Fünfziger untersucht (45–186), folgen die Hauptteile der Studie, die sich fast ausschließlich auf Dramen – nicht auf ihre theatrale Umsetzung – konzentrieren. Neben der übergeordneten Frage nach “Ästhetischen Ordnungen” (441–645), etwa der Gattungstypologie oder unterschiedlichen Dramen- bzw. Theaterkonzepten, stehen hier “Semantische Ordnungen” (187–439) im Vordergrund: darunter versteht Schmidt die Narrative, in die er die behandelten Dramen einordnet, etwa Marxismus, Absurdismus oder Transzendenz.

Doch Schmidt will mehr als eine philologisch orientierte Aufarbeitung des deutschen Nachkriegstheaters, nämlich den “Versuch seiner Einordnung in die Geschichte der Moderne und demnach die Neubewertung der Epoche” (5). Schmidts Hauptthese deutet sich schon im Titel der Studie an: eine Verortung der Fünfziger zwischen “Antimoderne” und “Postmoderne”, die bei dem Literaturwissenschaftler, ohne dass dies...

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