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  • Zweiter Weltkrieg und Shoah in der deutschsprachigen hermetischen Lyrik nach 1945 by Jana Hrdličková
  • Cindy Walter-Gensler
Jana Hrdličková, Zweiter Weltkrieg und Shoah in der deutschsprachigen hermetischen Lyrik nach 1945. Berlin: Frank & Timme, 2021. 336 S.

Der hermetischen Lyrik wurde in der Vergangenheit oftmals unterstellt, dass sie sich nicht mit der Realität, insbesondere zeitgenössischen Problemen, beschäftige, ja, dass sie sich geradezu von der gesamten Außenwelt abschotte. In der vorliegenden Arbeit beweist Jana Hrdličková eindrucksvoll das Gegenteil, in dem sie ausgewählte Gedichte von Erich Ahrend, Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Ernst Meister und Nelly Sachs analysiert und dabei aufzeigt, wie diese LyrikerInnen in ihren Werken nicht nur den zweiten Weltkrieg und die Shoa verarbeiten, sondern auch, wie sie durch ihre Gedichte den Dialog mit einander und ihren Lesern suchen.

Wer sich bisher nicht mit hermetischer Lyrik beschäftigt hat, profitiert besonders vom zweiten und dritten Kapitel des Buches. Nach einer kurzen Einleitung widmet sich Kapitel 2 der Begriffsbestimmung dieser Literaturgattung und Kapitel 3 bietet einen sehr gut recherchierten Überblick über den Forschungsstand von den 1950er Jahren bis heute. Wie Hrdličková dadurch zeigt, hängt die Wahrnehmung der hermetischen Lyrik im deutschsprachigen Raum sehr von der jeweiligen gesellschaftlichen Situation und der politischen Orientierung ihrer Kritiker ab. Desweiteren wird durch den Forschungsüberblick klar, dass der Bezug der hermetischen Lyrik zum Trauma des zweiten Welkriegs und der Shoa bisher nur unzureichend aufgegriffen und herausgearbeitet wurde.

Das nächste Kapitel bringt dem Leser auf 58 Seiten die Lebensläufe der später von Hrdličková untersuchten AutorInnen näher. Für Wissenschaftler, die sich bereits mit Ahrend, Bachmann, Celan, Meister, und Sachs auseinandergesetzt haben, enthält dieses Kapitel nichts Neues. Allerdings unterstreichen die den Interpretationen vorangestellten Lebensläufe, in wie fern die privaten, traumatischen Erlebnisse der LyrikerInnen ihre Werke beeinflussten.

Kernstück des hier vorliegenden Bandes und seine eigentliche Stärke ist Kapitel 5, auf dessen insgesamt 141 Seiten Hrdličková jeweils zwei Gedichte miteinander in Verbindung stellt und interpretiert: Sachs’ “O die Schornesteine” (1947) und Celans “Todesfuge” (1948), Ahrendts “Der Albatros” (1951) und Bachmanns “Mein Vogel” (1956), Sachs’ “Völker der Erde” (1950) und Bachmanns “Ihr Worte” (1961), Celans “Fadensonnen” (1965) und Meisters “Der neben mir” (1972), sowie Celans “Die fleißigen” [End Page 193] (1968) und Sachs’ “Sie schreien nicht mehr” (1971). Dem informierten Leser sticht sofort ins Auge, dass es sich bei diesen Werken meist um sehr bekannte Gedichte handelt, die im Œuvre der jeweiligen LyrikerInnen eine bedeutende Rolle spielen und die von der Forschung in der Vergangenheit schon ausgiebig untersucht wurden. In ihren Ausführungen geht Hrdličková intensiv auf die vergangenen Interpretationen ihrer Kollegen ein, zeigt aber dann in einem weiteren Schritt, dass die Gedichte “neben Parallelitäten in Bedeutung, Aufnahme und Instrumentalisierung auch über motivische, stilistische wie strukturelle Gemeinsamkeiten” verfügen (98) und eben doch einen engen Bezug zur gesellschaftlichen und politischen Realität haben. Obwohl Hrdličková die Intertextualität der Werke und ihr Ziel, den Dialog der AutorInnen mit einander zu verdeutlichen, bei allen Doppelinterpretationen thematisiert, gelingt ihr dies bei Celans “Fadensonnen” (1965) und Meisters “Der neben mir” (1972) am besten. Hier verdeutlicht die Wissenschaftlerin, dass diese zwei Gedichte prinzipiell als Streitgespräch darüber angesehen werden können, was “die ‘richtige’ Poetologie nach der jüngsten Vergangenheit” sei (175).

Kapitel 6 geht dann der Frage nach, welchen Beitrag die hermetische Dichtung zur Entwicklung der deutschsprachigen Lyrik nach 1945 geleistet hat und wie sie vom zeitgenössischen Publikum aufgenommen wurde. Hrdličková zeigt hier auf, dass die hermetische Lyrik besonders in den 1950er Jahren sehr innovativ war, weshalb die fünf AutorInnen, denen diese Arbeit gilt, allesamt renommierte Auszeichnungen und Literaturpreise verliehen bekamen. Gleichzeitig wurden ihre Gedichte jedoch von der mehrheitlich konservativen Leserschaft nicht positiv aufgenommen, da diese der sprachlichen Eigenwilligkeit und der thematischen Schwere der Werke wenig abgewinnen konnten. Wie Hrdličková beweist, ändert sich dies in den 1960er Jahren, obwohl die bisherige Forschung gerade über diese Zeit berichtet, dass die hermetische Lyrik “verstumme.”

Das letzte Kapitel des Buches fasst kurz die Hauptpunkte der Arbeit zusammen und enthält darüber hinaus Ideen, wie man hermetische Lyrik zukünftig einem breiteren Publikum näherbringen k...

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