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  • Biological Modernism: The New Human in Weimar Culture by Carl Gelderloos
  • Thomas Rohkramer
Biological Modernism: The New Human in Weimar Culture. By Carl Gelderloos. Evanston, IL: Northwestern University Press, 2019. 226 pages + 12 b/w images. $99.95 hardcover, $34.95 paperback or e-book.

Nachdem in den Modernisierungstheorien ,,Moderne“ als Verbindung von Industrialisierung, wachsender sozialer Mobilität und Demokratisierung verstanden wurde, wird seit längerem zunehmend zu Recht von einer Vielzahl unterschiedlicher ,,Modernen“ gesprochen. Industrialisierte Gesellschaften verbinden sich vielfach mit autoritären politischen Systemen, und kulturelle Formen von Rationalisierung oder Selbstreflexivität finden sich nicht nur in der Tradition der Aufklärung. Gerade in der deutschen Geschichte ist lang zwischen modernem und antimodernem Denken scharf unterschieden worden, doch auch eine solche polarisierende Sicht ist ebenso erfolg-reich hinterfragt worden wie die Vorstellung, dass konservatives Denken sich weithin gegen die Technisierung der Welt gestellt habe.

In diesem Zusammenhang stellt Carl Gelderloos die polarisierende Unterschei-dung von Leben bzw. organischem Denken und Moderne sowie von Leben und Technik mit guten Argumenten infrage. Während etwa Helmut Lethen in seinem einflussreichen Buch zu den Verhaltenslehren der Kälte (1994) argumentiert, dass sich viele Menschen in der Weimarer Republik durch eine ,,neue Sachlichkeit“ gegen Lebens-impulse panzerten, zeigt Gelderloos auf, auf welche Weise Konzepte wie Organismus und Leben zum Verständnis von Technik und ihrer harmonischen Einbeziehung in die menschliche Existenz mobilisiert wurden. Organisches Denken war dabei nicht antimodern, sondern nutzte neueste Erkenntnisse der Biologie, um etwa den Dualismus zwischen Geist und Leben oder die Vorstellung eines autonomen Subjekts aufzulösen.

Das Buch setzt ein mit einer Interpretation von Helmuth Plessners Buch Die Stufen des Organischen und des Menschen (1928), in dem dieser biologische Erkenntnisse der Zeit für eine philosophische Anthropologie nutzte. Während Helmuth Lethen Plessner so interpretiert, dass er philosophisch für eine Panzerung des Subjekts gegen eine feindliche Umwelt eintritt, sieht Gelderloos bei dem Philosophen ein viel offeneres Verständnis des Selbst. Auch akzeptierte er nicht die Trennung von Mensch und Natur, sondern sah den Menschen – einschließlich des Geistes – als Teil der Natur. Der Mensch ist für ihn einerseits Leib, d.h. ein Selbst, aber auch ein Körper, d.h. ein Wesen, das sich als getrennt von der Außenwelt erkennt. Wie jedes Lebewesen [End Page 306] greift er über sich hinaus, indem er mit der Außenwelt interagiert; die Höherentwicklung der Natur bedeutet nur, dass er dies erkennt. Zudem ist der Mensch damit von Natur aus künstlich; er realisiert sein Potential in verschiedenen Formen des Handelns mit der Außenwelt. Die Technik steht damit für Plessner nicht gegen das Leben, sondern erwächst aus der menschlichen Natur.

Im zweiten Kapitel wendet sich Gelderloos der Photographie zu als einem Inbegriff der Moderne in der Weimarer Republik. Photographie galt als objektiv und fähig, die beschleunigte Moderne in ihrer Vielfalt wiederzugeben. Doch die Photo-graphen August Sander und Karl Blossfeldt, die hier betrachtet werden, wollten nicht das Besondere, sondern das Allgemeine erfassen: Typen von Menschen wie Arbeiter oder Revolutionäre, die man an ihrer Physiognomie erkennen sollte, oder Urformen, die angeblich sowohl in Pflanzen als auch im Design vorkommen. Soziologisches und biologisches Wissen wurde mobilisiert, um unter Einsatz vieler technischer Mittel das angeblich Typische im ,,naturalistischen Zeitalter“ (Alfred Döblin, ,,Der Geist des naturalistischen Zeitalters“, 1924) hervorzuheben. Obwohl diese Photographen ihre Sujets sorgfältig wählten, positionierten und retuschierten, obwohl sie ihre Bilder in Büchern mit Sorgfalt arrangierten, um eine in der Wirklichkeit nicht unmittelbar erkennbare Wahrheit herauszuarbeiten, wurden sie mit einer neuen Objektivität assoziiert. Für Walter Benjamin zeigte sich etwa in den Urbildern die formende Kraft des Kreatürlichen, die Natur wie Kultur präge. Dagegen fragte Siegfried Kracauer in seiner Schrift ,,Die Photographie“ (1927) gegen eine solche Verherrlichung der Photographie als objektives Medium kritisch, ob Photographie tatsächlich eine Wahrheit darstelle oder nicht eigentlich das Sujet aus dem sozio-kulturellen Zusammenhang reiße und die subjektive Wahrheit der Erinnerung überschwemme. Ein Jugendbild der Großmutter zeige etwa nicht unmittelbar die attraktive Frau, die sie damals gewesen war, sondern eine kuriose Person, weit entfernt vom heutigen Geschmack.

In den folgenden Kapiteln geht es wieder um Schrifttexte, zunächst...

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