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Reviewed by:
  • Student Revolt in 1968: France, Italy and West Germany by Ben Mercer
  • Alexander Sedlmaier
Student Revolt in 1968: France, Italy and West Germany. By Ben Mercer. Cambridge: Cambridge University Press, 2020. Pp. 301. Cloth $99.99. ISBN 978-1108484480.

In einer Zeit, in der im journalistischen wie auch im fachwissenschaftlichen Diskurs zu "1968" jede linke politische Utopie mit beunruhigender Neigung zu Selbstgerechtigkeit und offenen Ressentiments als entweder gescheitert oder im Zuge einer nachfolgenden Liberalisierung im Kern verwirklicht gewertet wird—und dies ist zweifellos auch eine Folge des Zusammenbruchs der real existierenden Gesellschaften mit Anspruch auf authentische sozialistische Lebensformen, seien sie nun politischer oder wirtschaftlicher Art—ist es ein Verdienst der Arbeit von Ben Mercer am Beispiel der äußerst dynamischen und konfliktreichen inneruniversitären Proteste an der Universität Paris-Nanterre, der Fachhochschule für Sozialwissenschaften in Trient und der Freien Universität Berlin wieder in Erinnerung zu bringen, dass es absurd wäre "to expect social movements to successfully accomplish what governments consistently failed to achieve" (287).

Mercer hat dazu nicht in erster Linie unbekanntes Quellenmaterial ausgegraben, sondern die konzeptuelle Beschränkung auf eine parallele Darstellung der universitätspolitischen Revolten an diesen drei Institutionen im Zeitraum von 1965 bis 1968 gewählt. Der Fluchtpunkt "1968," in dem sich der Untersuchungsgegenstand im vermeintlich grandiosen Scheitern scheinbar selbst auflöst, herrscht aber auch hier vor; wäre es nicht lohnend gewesen zu fragen, wie es mit der Politisierung der Hochschulen etwa in den darauffolgenden drei Jahren weiterging? Das erste Drittel des Buches beschäftigt sich mit Auseinandersetzungen über konkurrierende Konzeptionen politischer, sozialer und kultureller Demokratie, wie sie den Bildungssektor in den Ländern der drei Fallstudien von den frühen sechziger Jahren bis zur "crisis of 1968" geprägt haben (19). Spezialisten für die jeweiligen Fallstudien mag die auf die Themen Demokratie und Krise ausgerichtete Darstellung ein wenig schematisch vorkommen, aber die Hintergründe, die Mercer ausleuchtet, schaffen die Grundlage für die Revolte von 1968. In den ersten vier Kapiteln untersucht Mercer die kulturellen Spannungen und Konflikte im Hochschulwesen, die zu den strukturellen Ursachen der Studentenrevolte zählen. Für Mercer stellen die kontraproduktiven [End Page 429] Aspekte einer "cultural desacralisation" (20) der Universität und Tendenzen zum Antiintellektualismus den Demokratisierungsanspruch in Frage, was aber nichts daran änderte, dass die Universität in Zeiten verbreiteter Unzufriedenheit mit der parlamentarischen Demokratie zu einem zentralen Ort des Politischen avancierte. Um das zu verstehen, so argumentiert Mercer, müssen wir uns der Konstruktion der Politik der Revolte zuwenden.

Also verwendet Mercer die nächsten drei Kapitel seines Buches darauf, die Initiativen und Konflikte von Studenten und Studentenorganisationen in Gesellschaften zu beschreiben, die in Italien und der BRD vom Erstarken neofaschistischer Parteien sowie in Frankreich vom Autoritarismus de Gaulles, von den scheinbar zunichtegemachten Hoffnungen der unmittelbaren Nachkriegszeit auf eine genuin demokratische und postfaschistische Kultur sowie von Jugendorganisationen geprägt waren, deren Autonomiestreben von ihren politischen Mutterorganisationen unterdrückt wurde. Es geht darum, wie demokratische Defizite an den Universitäten einen neuen politischen Raum eröffneten; um die Krise der repräsentativen Demokratie im Umgang mit Provokation und direkter Demokratie im Namen von Autonomie und Selbstbestimmung; und um die "seizure of speech" (155–174), in der mit performativen Sprechakten die hierarchische diskursive Ordnung des Bildungswesens herausgefordert wurde. Durchgehend zeichnet sich Mercers Darstellung durch das sorgfältige Bemühen aus, für alle drei Orte seiner Untersuchung herauszufinden, wo Möglichkeiten und Grenzen dieser Politisierung von unten lagen. Das Ergebnis ist eine gewissenhafte Darstellung diverser universitätspolitischer Ereignisse und Entwicklungen, welche die Leser wirkungsvoll in die Gremiensitzungen und Diskussionsveranstaltungen versetzt, in denen Professoren mit provokativen Störmaßnahmen einer repressiven Autorität beraubt werden sollten oder Aktivisten zum Protest gegen den imperialen Krieg der USA in Vietnam aufriefen. Hauptstoßrichtung dieser Darstellung ist, dass die Auseinandersetzungen in den und um die Universitäten einen entscheidenden Schlüssel zum Verständnis der "explosion of 1968" bergen (198).

Eine unbeabsichtigte Konsequenz dieser Darstellungsweise ist es aber, dass die größeren Debatten der Zeit, etwa über Manipulation und Meinungsfreiheit, Imperialismus und Vietnamkrieg, Konsum und soziale Ungleichheit oder Marxismus und revolutionäre Politik in erster Linie heruntergebrochen auf die Perspektive von FU Berlin, Nanterre und der soziologischen...

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