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Reviewed by:
  • Unlearning Eugenics: Sexuality, Reproduction, and Disability in Post-Nazi Europe by Dagmar Herzog
  • Anja Katharina Peters
Unlearning Eugenics: Sexuality, Reproduction, and Disability in Post-Nazi Europe. By Dagmar Herzog. Toronto: University of Wisconsin Press, 2018. Pp. viii + 171. Cloth $39.95. ISBN 978-0299319205.

Dagmar Herzogs im Umfang schmales Buch diskutiert kompakt und intensiv die bioethischen Diskussionen um menschliche Fortpflanzung und Behinderung in der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte 1933–1945. Dabei verknüpft Dagmar Herzog vermeintlich separate Themen wie die christliche Sexualmoral, eugenisches Gedankengut, die "Euthanasie"-Morde der Nazis und den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden und zeigt auf, dass diese Doktrinen, Ideologien und Verbrechen zwar nicht notwendigerweise unmittelbar zusammenwirkten, sich aber gegenseitig sowie die bioethischen Diskurse beeinflussten.

Die Beiträge zu diesem Sammelbändchen entstanden vor dem Hintergrund der [End Page 217] im Ton schärfer werdenden bioethischen Diskurse um Reproduktion, Schwangerschaftsabbruch und Behinderung in Europa. Herzog ist es ein Anliegen, die emotional schwierigen und häufig unbewussten historischen eugenischen und NS-Kontexte dieser Debatten aufzuzeigen und zu erläutern. Die einzelnen Kapitel wurden erstmals 2016 an der Hebrew University of Jerusalem als Vorlesungen präsentiert und nun hier publiziert.

Die ausführliche Einleitung führt erstens in das Thema oder vielmehr die Themen des Buches ein und bildet zweitens die inhaltliche Klammer für die lose verbundenen Kapitel. Herzog fasst die komplexe Gemengelage von Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs in den Kirchen bei gleichzeitigen Sympathien für eugenische Maßnahmen vor allem in protestantischen Kreisen zusammen und bettet sie ein in die Geschichte des Massenmords und der Verstümmelungen an Menschen mit Behinderungen während des NS. Sie weist pointiert darauf hin, dass bis zum Auftakt der Behindertenrechtsbewegung in den 1970er-Jahren über Menschen mit Behinderung gesprochen und verfügt wurde, ihnen aber nicht das Recht zugestanden wurde für sich selbst zu sprechen. Dies änderte sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig nutzen bioethisch konservative Kreise in ganz Europa nun die Tatsache, dass Menschen mit Behinderung ihr Recht auf gleichberechtigtes Leben lautstark einfordern, dazu, eine radikale Lebensschutz-Agenda zu forcieren.

Im ersten Kapitel, "Abortion and Disability: Western Europe, 1960s–1970s," legt Herzog dar, dass es gerade die auch nach 1945 anhaltende negative Einstellung zu Behinderung war, die es Frauen ermöglichte, für ihre reproduktive Selbstbestimmung zu kämpfen. Umgekehrt liefert diese Argumentation, wie bereits oben erwähnt, heute Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern die notwendige Vorlage, um liberale Regeln zum Schwangerschaftsabbruch zu bekämpfen.

Das zweite Kapitel, "Moral Reasoning in the Wake of Mass Murder: The Singer Affair and Reproductive Rights in Germany, 1980s–1990s," widmet sich besonders der Behindertenrechtsbewegung in der alten und wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland. Hier war es gerade die überfällige Aufarbeitung der NS-Medizinverbrechen, die zu einer sehr kritischen Haltung gegenüber der Abtreibung behinderter Föten führte und in diesem Zusammenhang ebenfalls zu einem restriktiveren Klima in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche.

Den Schluss des Buches bildet das Kapitel über "Time Well Wasted: Sexual, Political, and Psychological Subjecthood in the European Union, 2000–2010s." Hier umreißt Herzog die Teilhabediskurse in Bezug auf Sexualität, politische Inklusion und Wohn- oder Lebensformen auf europäischer Ebene.

Ich möchte in der Diskussion zunächst auf das Cover eingehen. Als ich das Buch erhielt, war meine Reaktion auf die samtige Haptik des Buches eine begeisterte. Leider sieht man jeden Fingerabdruck darauf, so dass es schnell eine abgegriffene Patina [End Page 218] erhält. Die farbliche Gestaltung in Pink und Schwarz und der wie gerissenes Papier gestaltete Übergang zwischen den Farben zieht Aufmerksamkeit auf sich. Die Schrift des Titels ist auf dem modernen/feministischen (?) pinken Hintergrund in einer der heute gängigen Schrifttypen gesetzt, auf dem schwarzen Grund in Frakturschrift. Das wirkt zwar interessant, aber leider auch populistisch. Immerhin wird Frakturschrift außerhalb Deutschlands häufig mit dem NS in Verbindung gebracht. Allerdings wurde diese Schrift bereits viel früher zur gängigen Druckschrift im Deutschen Reich. Vor allem war Eugenik kein ausschließlich deutsches Phänomen. Die Titelgestaltung ist ein plumper Werbetrick, den dieses seriöse Buch nicht verdient hat.

Das Vortragsbändchen—es enthält drei Vorträge—konfrontiert die Leserin und den Leser mit...

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