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Reviewed by:
  • Poetische Berge. Alpinismus und Literatur nach 2000 by Leonie Silber
  • Harald Höbusch
Leonie Silber, Poetische Berge. Alpinismus und Literatur nach 2000. Heidelberg: Winter, 2019. 307 S.

Seit den 1990er Jahren, so Leonie Silber im einleitenden Kapitel ihrer als Dissertation an der Philipps-Universität Marburg verfassten Studie Poetische Berge, lasse sich eine "Konjunktur der Höhe" feststellen, die sich unter anderem in den steigenden Mitgliederzahlen der Alpinvereine und der zunehmenden Attraktivität des Bergsports und des Bergtourismus im deutschsprachigen Raum zeige. Diese Konjunktur manifestiere sich darüber hinaus auch im journalistischen Bereich, wie etwa an der Neugründung zahlreicher Alpinzeitschriften abzulesen sei. Selbst im engeren Sinne literarischen Bereich habe diese Konjunktur zu einem Wachstum der "Textberge" geführt.

Einhergehend mit diesen Entwicklungen habe sich auch die Kultur- und Literaturwissenschaft verstärkt dem Thema Berge zugewandt, wie etwa an den berggeschichtlichen Studien von Fergus Fleming, Martin Scharfe, Peter Grupp, Dagmar Günther und Helmuth Zebhauser/Maike Trentin-Meyer—um nur die wichtigsten Autoren und Autorinnen zu nennen—abzulesen sei. Komplementär dazu habe sich die literaturwissenschaftliche Erforschung der Berge während dieser Phase vor allem auf die "kanonisierten Hochgebirgserzählungen des 18. bis 20. Jahrhunderts" gerichtet, so etwa in den Arbeiten von Edwark Bialek/Jan Pacholski, Martina Kopf, Johann Georg Lughofer, Kathrin Geist und Sean Ireton/Caroline Schaumann. Als Forschungsgegenstand ihrer eigenen Arbeit identifiziert Silber konsequenterweise dann auch den "bislang wenig erforschten Bereich der jüngeren und jüngsten deutschsprachigen Literatur und Gegenwartskultur" und ihrem Verhältnis zum "Phantasma Berg".

In der in neun Kapitel unterteilten Studie geht es der Autorin folglich darum, "die literarischen Berge, das heißt das Alpine in der Literatur sowie das Literarische im Alpinen, anhand von exemplarischen Einzeltextanalysen" von deutschsprachigen Texten nach 2000 zu erfassen. Für Silber beschreibt diese Art von Literatur "Hochgebirgsräume symbolischer Ordnung", "Echokammern" im Sinne von Roland Barthes und damit "intertextuelle Gebilde, die durch den Widerhall literarischer Vorgänger und alpiner Kontexte geprägt sind und diesen in sich Gehör verschaffen".

Den Echos des Nationalsozialismus in Philipp Stölzls Film Nordwand (2008) und Elfriede Jelineks Drama In den Alpen (2002) auf die Spur zu kommen versucht Silber beispielsweise in Kapitel 2 ("Wen(n) der Berg ruft: [End Page 126] alpine Ideologeme der Höhe") ihrer Untersuchung. Silber kommt dabei zu dem Schluss, dass Stölzl in Nordwand zwar versuche, "den Alpinismus der 1930er Jahre von dem zeitgenössischen Nazismus zu trennen, indem der Film auf der Ebene der Figurendarstellung und der erzählten Welt eine Distanzierung von der nationalsozialistischen Ideologiebildung betreibt" dass diese Absicht aber "durch eine filminhärente Logik unterwandert" werde, "die anhand von [ . . . ] Bildmaterial der Wochenschau nahelegt, dass die Felswand des Eiger [ . . . ] eine Geschichte besitzt, die maßgeblich in der Zeit des Nationalsozialismus geschrieben wurde." Jelineks In den Alpen zeige, wie die auf völkischen Traditionen der germanistischen Linguistik basierende "Bergsprache" "soziale, politische und rassische Differenzbildungen hervorbringt und das Hochgebirge zum Raum des Eigenen erklärt, in dem das Andere das ewig Ausgeschlossene darstellt." Dabei werde der "Mechanismus des Ausschlusses [ . . . ] nicht nur auf der Ebene der im Fließtext aufgerufenen Kontexte" (Auschwitz, Paul Celans Gespräch im Gebirg, Leo Maduschkas Bergsteigen als romantische Lebensform, usw.) sichtbar gemacht, sondern betreffe auch "seine dramatischen Qualitäten, die Inszenierung der Stimmen, das Bühnenbild und die Rolle des Zuschauenden".

Um Echos im weiteren Sinne geht es auch in Kapitel 8 ("EisTau: die Inversion der Berglandschaft") von Silbers Studie, das anhand von Armin Linkes DokumentarfilmAlpí (2011) und Peter Handkes Roman Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos (2002) untersucht, "welche kulturelle Bedeutung hohen Bergen vor dem Hintergrund der [aktuellen] Rede über ihre Zerstörung in den Künsten zukommt, ob und inwiefern die Rede von der ökologischen Krise [ . . . ] Krisen der Repräsentation und Imagination erzeugt". Silber gelangt dabei zu dem Schluss, dass sowohl Linkes Film als auch Handkes Roman zum einen "Darstellungsweisen etablieren, die ein positives Wissen über die Prekarisierung alpiner Landschaften reflektieren, das ethische Impulse des Bewahrens, des Schutzes und der Konservierung transportiert". Zum anderen aberstellten "[s]owohl Alpi als auch Der Bildverlust [ . . . ] nicht nur tradierte Blick- und Sehgewohnheiten der Berglandschaft, sondern auch die Position der Betrachtenden zur Disposition". "Die Rede des Verflachens der hohen Berge"—so...

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