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Reviewed by:
  • Kulturkritik der Wiener Moderne (1890–1938) by Barbara Beßlich et al.
  • Viktoria Pötzl
Barbara Beßlich, Cristina Fossaluzza, Tillmann Heise, und Bernhard Walcher. Kulturkritik der Wiener Moderne (1890–1938). Heidelberg: Winter, 2019. 344 S.

Kulturkritik der Wiener Moderne ist nicht nur ein informativer Sammelband, der die Zeit von 1890 bis 1938 abdeckt, sondern bereits der Titel lädt zum Nachdenken ein, müssen wir uns doch die Frage stellen, ob dieser Genetiv denn ein "genetivus objectivus" oder ein "genetivus subjektivus", oder gar beides ist.

Der Sammelband baut auf aktuellen Forschungen von Jochen Strobel, Eckhart Conze und Primus-Heinz Kucher auf (7) und ist in seiner Zusammenstellung und Bandbreite von unterschiedlicher Originalität und Qualität. Im Vorwort zur Kulturkritik der Wiener Moderne gehen Barbara Beßlich und Cristina Fossaluzza der Frage nach, was Kulturkritik vor allem im Wiener Kontext bedeutet (3) und betonen dabei Unterschiede zu Deutschland: "Während viele kulturkritische Basisschriften aus dem wilhelminischen Kaiserreich und der Weimarer Republik aus einem kulturprotestantischen Sozialmilieu heraus entstehen [ . . . ], spielen der Katholizismus und das Judentum als Herkunftsmilieu und religiöser Fluchtpunkt eine bedeutende Rolle für das kulturkritische Profil der gealterten Jungwiener" (4). Wenn auch in der Einleitung von den beiden Herausgeberinnen auf das Judentum verwiesen wird, so findet sich nur in wenigen Beiträgen eine nähere Auseinandersetzung mit dem Judentum oder dem Jüdisch-sein als analytische Kategorie. Dargestellt und diskutiert wird demnach ein vorwiegend weißer, katholischer und männlicher Diskurs, der keinesfalls repräsentativ für eine Wiener Moderne und auch nicht für eine Kulturkritik der Wiener Moderne sein müsste.

Gregor Streim beschäftigt sich in wenigen Absätzen mit Hermann Bahrs Antisemitismus und erörtert hauptsächlich Bahrs Abkehr von der Moderne und Zuwendung zum und Reinterpretation des Barock, was "mit seinem [Bahrs] konservativ-katholischen Engagement korrespondiert" und sich auch im Konservativismus der Salzburger Festspiele fortschreibt (27).

"Richard Schaukais Kulturkritik zwischen Elitismus und Ressentiment" von Maurizio Pirro beginnt mit einer knappen autobiographischen Darstellung. Auf Schaukais Antisemitismus wird lediglich im letzten Absatz verwiesen—vielleicht wäre es zuträglicher auch seine Texte gerade in Hinblick auf seinen Antisemitismus zu lesen. [End Page 97]

Eine historische Studie über die "Abschaffung des Adels [und die] Wiederkehr der Adelskultur [in] Österreich um 1918" (68) liefert Jochen Strobel in seinem Beitrag. Tillmann Heise referiert Europakonzepte nach dem 1. Weltkrieg. Im Zentrum seiner Analysen stehen hierbei der Verein Kulturbund mit seiner anti liberalen Zeitschrift Europäische Revue, die von Karl Anton Prinz Rohan gegründet wurde und in dessen Kontext vordergründig Hugo von Hofmannsthals Europabegriff diskutiert wird. Auch im Kapitel von Norbert Christian Wolf steht Hofmannsthal im Zentrum seiner Diskussion um die Salzburger Festspiele in den ersten zehn Jahren nach dem ersten Weltkrieg. Elena Raponi untersucht Hofmannsthal und Rudolf Borchardt in Bezug auf Kriegserfahrung, -rhetorik und -publizistik unmittelbar vor und während des ersten Weltkrieges. Die kritische Positionierung gegenüber den Kulturkritikern des pazifistischen Arthur Schnitzlers steht im Zentrum von Cristina Fossaluzzas Beitrag.

Jan Andres befasst sich mit der konservativen Revolution, wobei auch hier der Fokus auf Hofmannsthal liegt. Kurt Ifkovits setzt sich näher mit Hermann Bahrs später Kulturkritik auseinander, bezeichnet ihn als Antisemiten und Philosemiten, was allerdings nicht weiter thematisiert wird, ebenso wenig wie Ifkovits die Aussage "Moderne heißt für Bahr [ . . . ] Verweiblichung" (180) nicht näher kontextualisiert. Würden sich doch gerade aus der Interdependenz von Effeminierungen und Antisemitismus durchaus brauchbare Analysen ergeben. Bahr als Philosemiten zu bezeichnen ist fragwürdig—und das nicht nur wegen des höchst umstrittenen Begriffes (siehe zum Beispiel: Georg Braungart und Philipp Theisohn, Philosemitismus. Rhetorik, Poetik, Diskursgeschichte, 2017).

Mit dem Spätwerk Leopold von Andrians setzt sich Hermann Dorowin narratologisch deskriptiv auseinander und erwähnt dabei Andrians jüdische Herkunft und seine Homosexualität. Beides wird allerdings nicht kontextualisiert oder in die Textanalysen eingebunden.

Mehr über das Leben und Schreiben von Felix Dörmann erfahren wir im Beitrag von Gabriella Rovagnati. Auch Barbara Beßlich bezieht sich auf Dörmann in ihrer Analyse der Jungwiener Libretti für Oscar Straus, in welchem Zusammenhang sie uns nicht nur näher mit Schnitzler, Saiten, und Kraus bekannt macht, sondern auch eine kulturkritische Gattungsbegrifflichkeit untersucht.

Mit "Hugo von Hofmannsthals...

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