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Reviewed by:
  • Grenzgänge zum Anorganischen bei Rilke und Celan by Friederike Felicitas Günther
  • Martin A. Hainz
Friederike Felicitas Günther, Grenzgänge zum Anorganischen bei Rilke und Celan. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2018. 461 S.

Die Neigung Paul Celans zu Bildspendern oder allgemeiner Wortvorräten aus dem Bereich des Anorganischen ist nicht neu, auch an Rilke wurde ein solcher Zug bemerkt. Allerdings sind die Intentionen wie auch die Resultate grundverschieden, bei Celan ist es das Bemühen, das, was sei, diskursiv zu machen, bei Rilke dagegen sind es Manöver zum Erhabenen hin, zum Reinen, [End Page 101] verbunden mit Quasi-Ontologie. Immerhin freilich ist "Paul Celans Werk [ . . . ] die Auseinandersetzung mit Rilke von Beginn an eingeschrieben" (1).

Rilke setzt mit dem Steinernen der Kultur etwas entgegen, allerdings in Versen, es ist zugleich eine "Zivilisierung des Steinernen" (11), wie Günther mit Hartmut Böhme formuliert. Ganz anders ist es mit Celan, bei dem der Stein in die Verse übergehen soll, "als steinernes Gegenwort" (21), der "Stein ist das Andere, Außermenschliche," wie Celan schreibt, etwas, das in der Sprache zu nichts dient: nicht einmal zum Totengedenken, die bekannte Deutung Uta Werners, die geologische Bilder liest, die ihr zufolge Stelen evozieren, Textgräber (München 1998), sei "problematisch" (22), so Günther.

Und hier wäre vielleicht in der Folge zu fragen, ob aber nicht genau dies, dass das, was die Sprache anführt, also nicht angeredet wird, bis zum Stein. Günther aber macht den Fehler, dass das Anorganische dann als genau dieses dient, bedeutungslos "als leblose Gegenwärtigkeit" (23) nicht etwa die Kategorien, nach denen etwas tot oder moriturus usw wäre, befragt. Jedenfalls ist das der Zwischenschritt der Verfasserin, ehe sie einräumt, dass die "Trennung" bei Celan stets eine "widerstrebige" (25) sein mag.

Rilke dagegen zeichne eine "kunstmetaphysische[n] Faszination" (39) aus, die bei ihm—und für ihn—von dem Anorganischen ausgeht. Dieses potentielle "Refugium" (47) kennt Celan gerade nicht. Vor allem ist bei ihm das Leblose nicht geschichtslos, womöglich ist es stets Ausdruck des "Tödlichen(n) jedes Menschenwerks," "das Totsein des Toten" (47) indiziere oft mals Schuld, das Faktum sei immer gemacht, so könnte man billig mit der Etymologie hinzusetzen.

Diese Überlegungen, die manchmal treffsicher vorpreschen, aber oft auch zurückgenommen werden (müssen), wobei das Bemühen um Balance dann in ein Herumlavieren umschlägt, lassen das Buch von Beginn an so erscheinen, als wäre da der Schreibprozess noch etwas gar zu präsent. Es folgen hernach Lektüren, wobei die Gedichte Thesen exemplifizieren sollen, was aber wieder in dieser Manier geschieht.

"Anpassung an die Zeit des Anorganischen" (87) ist etwa dann das Schema, dem die Exegese von Rilkes Der Gefangene zu folgen hat. Mehr als das Gedicht hat die Verfasserin sogleich "die Lebensreduktion angestimmt" (88). Das Verzeichnen des Vergehens mit den Tropfen formuliert doch Hoffnungen, samt Rhythmuswechsel, wobei "anstelle des trochäischen" Takts aber diese Antwort des Eingekerkerten nicht "einem daktylischen Rhythmus" (90) folgt, es ist schon hier komplexer, bis alles im Schlussvers [End Page 102] auch nicht eindeutig aufgelöst wird: "Das Metrum dieses letzten Verses entspricht als einziges dem Versmetrum, in dem das Tropfen aus den Steinen artikuliert wird" (95), schreibt Günther. "Aber was wissen wir" ließe auch den Akut auf "was" zu, "was wissen" generiert geradezu einen Hebungsprall, der auch eher dem Gedicht entspricht.

Spätestens hier ahnt der Leser, dass das Problem des Anfangs dieses Buches sich auch durch alles Folgende zieht. Nicht ohne Pathos werden "existenzielle[n] Ausnahmezustände" (105) aneinander gereiht, die aber behauptet sind und die Nöte Rilkes beziehungsweise seiner Texte schon nicht erreichen, rigorose Deutungen für abgründige Probleme vorgeschlagen, die nicht eigentlich ausgelotet werden—oder in ihrer Unauslotbarkeit und dem Genuinen der Form, die das andeute, gewürdigt werden. Die Kenntnisse der Verfasserin, die sich mit einer dem Buch zugrundeliegenden Schrift immerhin habilitierte, sind umfangreich, die Resultate im Detail aber immer wieder unbefriedigend. Vor allem wird hier nun nicht mehr überdacht, was einmal pauschaliert gesagt ist.

Das missbehagt noch mehr angesichts der Celan-Auslassungen, schon erwähnt wurde, dass hier einerseits eine Dichotomie konstruiert wird, einerseits die Sprache, die vulgär oder verlogen und...

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