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Reviewed by:
  • Bernhards Baukasten. Schrift und sequentielle Poetik in Thomas Bernhards Prosa by Catherine Marten
  • Elmar Lenhart
Catherine Marten, Bernhards Baukasten. Schrift und sequentielle Poetik in Thomas Bernhards Prosa. Studien zur deutschen Literatur 217. Berlin/ Boston: De Gruyter, 2018. 400 S.

Dass es sich um einen Beitrag zu den im Gefolge der material studies entstandenen Untersuchungen zu Manuskripten zeitgenössischer Autoren handelt, lässt sich aus dem Titel der Monographie von Catherine Marten nicht sofort herauslesen. Einzig das Wort "Schrift" offenbart, welche Gegenstände die Autorin hier angeht. Begriffe wie "Schreibszene" haben Konjunktur und die Manuskripte und andere, nicht veröffentlichte Texte eines Autors zum Gegenstand von Analysen zu machen, wird mit den methodischen Instrumentarien in der Tradition der critique génétique und der Schreibforschung fruchtbar. Die Terminologien, unter denen [End Page 119] über Manuskripte gesprochen wird, hatten Zeit sich zu verfeinern. Eine Untersuchung von Thomas Bernhards Typoskripten unter dieser Perspektive ist also mit diesen Voraussetzungen naheliegend und vielversprechend.

Und die Autorin geht auch sofort in medias res, wenn sie Bernhards Begriff des Geistesmenschen und Klaus Hurlebuschs Kopfarbeiter zum Absprung nutzt um seine Arbeitstechnik mit der seiner Protagonisten in Das Kalkwerk und Korrektur zu vergleichen. Die Eingangsfrage lautet: Auf welche Weise präsentiert ein erfolgreicher, hoch elaborierter Schreibprozess (Bernhards Prosatext) einen nicht erfolgreichen Schreibprozess seiner Figuren? Den beiden Ebenen Autor und Text stellt die Autorin außerdem noch die Ebene der Lektüre zur Seite, denn, so die These: mit dem Schreibprozess trete auch der Leseprozess in unmittelbare Verbindung. Das soll bedeuten, dass sich ein Lesen zuerst an der Textgestalt orientiert und damit auch Verstehens-Konventionen aufgerufen werden. In Bernhards Fall allerdings würden minutiöse grafische Elemente, wie zum Beispiel Kursivsetzungen, die erwartete Wahrnehmung stören und führten zu Irritationen des Lesens. Wie sehr Bernhard diese Effekte bewusst zum Einsatz gebracht habe, lasse sich, so Marten, an den Manuskripten ablesen, in denen die Auszeichnungen auf mechanischen Schreibmaschinen in Form von Unterstreichungen, also grafisch deutlicher, realisiert sind. Diese Irritationen verursachten ein Kippen von einem sukzessiven Lesen in ein synoptisches Sehen. Damit sei auch die Linearität des Lesens, überhaupt der Textzusammenhang im konventionellen Sinne ins Wanken gebracht. Die Literatur erscheine am Ende als ein nach einem Bausteinprinzip aufgebauter Text. Die Konsequenz dieses Zusammenhangs ist die prinzipielle Austauschbarkeit der Bausteine. Aufb au und Struktur des literarischen Textes überformen den semantischen Gehalt. Auch der Roman Holzfällen, erörtert Marten, funktioniere nach einem ähnlichen Prinzip. Es seien nicht die oft konstatierten rhythmischen, musikalischen Elemente, die Bernhards Schreiben beherrschten, sondern die grafische, visuelle Anordnung des Textes auf dem Blatt, die Setzungen und Besetzungen von Raum durch Textbausteine. Die Methode wird anhand der Manuskripte nachvollzogen, dort nämlich, wo gestalterische und arbeitstechnische Idiosynkrasien, die Bernhard bei seinem Schreiben entwickelte, bis in den Drucktext übersetzt werden. Beleg sind der Autorin auch die Selbstaussagen Bernhards und Aussagen von Beobachtern des Schreibenden.

Im zweiten Teil untersucht die Monographie die typografischen [End Page 120] Besonderheiten, mit denen der Suhrkamp Verlag das Werk dieses eigenwilligen Autors präsentierte. Die Autorin berücksichtigt die besondere historische Lage, in der sich der Verlag befand und zeichnet das Zusammenspiel von verlagspolitischen Entscheidungen und künstlerisch-typografischen Strategien mit großer Präzision nach. Dazu zählen beispielsweise Strategien, die die Schaffung der Autorenmarke Bernhard betreffen, dargelegt durch Dokumente, die die Entscheidung für bestimmte typografische Einrichtungen nachvollziehen lassen.

Wie bereits erwähnt baut die Kernthese, die sequentielle Poetik, auf der Prämisse des forcierten Wahrnehmungswechsels zwischen Sehen und Lesen auf. Dieser Vorgang ist in seiner Mechanik allerdings weder erklärt noch bewiesen. Zwar zitiert die Autorin ausführlich die Arbeit von Susanne Wehde (Stichwort: typographisches Dispositiv) und führt die ungewöhnlichen Elemente der typografischen Gestaltung als Beleg an, doch bin ich nicht überzeugt, dass die Kursivsetzungen bei Bernhard tatsächlich ausreichend Irritierung stiften, um den Wahrnehmungsmodus der Lesenden so nachhaltig zu steuern. Wahrnehmungswechsel wie dieser sind in der Fachliteratur in der Regel an Beispielen wie der Plakattypografie der Jahrhundertwende beschrieben worden, die nun doch in ganz anderem Maße Seh-und Lesegewohnheiten instrumentalisiert als das hier vorgeführt wird.

Ähnlich verhält es sich mit der Kernthese selbst, der sequentiellen Poetik. "Komposita," "Baustein," "Sequenz" und "Element": diese Begriffe scheinen...

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