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  • Form und Materie. Schillers verfehlte Moderne by Peter Ensberg
  • Christian P. Weber
Form und Materie. Schillers verfehlte Moderne. By Peter Ensberg. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2018. Pp. 272. Cloth €39.80. ISBN 978-3826065576.

Friedrich Schiller, die Lichtgestalt des deutschen Idealismus und leidenschaftlicher Streiter für Freiheit und Schönheit, kommt bei Peter Ensberg nicht besonders gut weg. Der Untertitel signalisiert es bereits: Schillers theoretische Schriften—denn um sie allein geht es in diesem Buch—haben die Moderne verfehlt. Infolgedessen müssten auch jüngere Versuche scheitern, Schillers Gedankenwelt und vor allem sein Plädoyer einer ästhetischen Erziehung für die Moderne oder gar Postmoderne fruchtbar zu machen, weil sie bei ihm moderne Züge aufsuchten, wo eigentlich keine seien. (Ensberg diskutiert in einem Exkurs Foucault, de Man und Spivaks An Aesthetic Education in the Era Globalization von 2012, übersieht aber Jacques Rancieres meines Erachtens erhellende Auseinandersetzung mit Schiller.) Ensberg skizziert Schiller als einen dezidiert antimodernen, bereits im Vergleich zu seinen Zeitgenossen Goethe, Wilhelm von Humboldt und vor allem Kant "antiquierten" Denker. Stattdessen verortet er ihn in der philosophischen Tradition Platons und Descartes. So heißt es etwa: "Schiller folgt theoretisch—vor jeder ethischen oder [End Page 399] ästhetischen Anwendung—einer antagonistischen Konzeption, die nicht auf Kant oder Aristoteles zurückzuführen ist, sondern auf Descartes und seinen Begriff des cogito" (118, s. auch 131–133 u. 169–172). Dies ist ein überraschender Befund, der konträr steht zum herkömmlichen Schillerbild und zur rezenten Schillerforschung, die in der Tat seit Jahren darum bemüht ist, den großen deutschen Dichter und Denker im moderneren Licht verstärkt als Realisten und weniger als Idealisten erscheinen zu lassen. (Ensberg nennt symptomatisch den von Hans Feger 2006 herausgegebenen Band Friedrich Schiller—Die Realität des Idealisten.) Im Gegensatz dazu legt sich Ensberg eindeutig auf Schiller den Idealisten fest und beschreibt ihn als einen Rigoristen der Form, dessen philosophisches Denken gänzlich auf der Vernunft als "allumfassendem, universalem Prinzip" basiere und sich an ihrer unbedingten Einheitsforderung orientiere (109).

Insofern Schiller die "transzendentale Einheit der Vernunft" zum Ausgangspunkt und die Forderung nach idealer Einheit von Menschheit und Welt "aus transcendentalen Gründen" (Schiller, zit. 109) zum Endpunkt seiner Philosophie mache, verfehle er jedoch Kants transzendentale Methode kritischen Philosophierens. Auf dieser Gegenüberstellung von Schillers und Kants Denksystemen liegt das Hauptaugenmerk von Ensbergs Buch. Einerseits liegt darin seine Stärke, denn durch die kritische Aufbereitung der Kant-Rezeption bekommt die These von Schillers verfehlter Moderne Kontur; andererseits verliert die detailreiche Rekapitulation der kantischen Philosophie Schiller und die Eigenständigkeit seines Denkens gelegentlich aus den Augen. Am Ende der Lektüre entstehen Zweifel, ob Schiller ausschließlich am kantischen Maßstab gemessen werden sollte, zumal die Briefe zur ästhetischen Erziehung, die mit Ausnahme zweier Kapitel im Zentrum des Interesses stehen, nicht systematisch behandelt, sondern eher sporadisch zitiert werden. Der eigentliche Gegenstand der Untersuchung gerät dadurch eher in den Hintergrund und lässt Schiller im Vergleich zu Kant als einen zweitrangigen Denker erscheinen, ohne Schillers originellen Beiträge zur Ästhetik entsprechend zu würdigen.

Nichtsdestotrotz ist die Auseinandersetzung mit Kant erhellend und grundlegend für eine tiefergehende und kritische Beurteilung von Schillers theoretischer Position sowie den anthropologischen Einstellungen und ästhetischen Entwürfen, die sich aus ihr herleiten. Den Kern des transzendentalen Missverständnisses von Schillers Kant-Rezeption erblickt Ensberg in dem Außerachtlassen des "grundlegende[n], unspezifische[n] Bezugs des Bewusstseins auf ein Etwas," nämlich auf Kants "transzendentalem Objekt," das Schiller aufgrund seiner Fixierung auf die "transzendentale Einheit der Vernunft" übersehe. Dies habe "weitreichende Konsequenzen für sein Verständnis von (objektiver) Wirklichkeit in theoretischer wie praktischer Hinsicht" (86). Denn während für Kant die Erkenntnisleistungen des Verstandes und der Vernunft aus demselben Boden der Erfahrung erwüchsen, trenne Schiller gemäß seiner anthropologischen Grundannahme von der "geistig-sinnlichen Polarität [End Page 400] des Menschen" die Leistungen des sinnlich bzw. materiell affizierten Verstandes von derjenigen der rein geistigen Vernunft und gelange dementsprechend zu zwei grundverschiedenen Erfahrungen und letztlich inkompatiblen Wirklichkeiten (89). Schillers Anliegen, den physisch notdürftigen Zustand des Menschen mit seiner geistig-moralischen Befähigung durch die Vermittlung des ästhetischen Spiels und Scheins zu vereinigen, bleibe vor diesem Hintergrund zum...

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