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  • Kein Herder-Bild. Studien zu einem Weimarer Klassiker by Gerhard Sauder
  • Liisa Steinby
Kein Herder-Bild. Studien zu einem Weimarer Klassiker. Von Gerhard Sauder. Herausgegeben von Ralf Bogner. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag, 2018. 327 Seiten. € 56,00.

Siebzehn Arbeiten über Herder, die Gerhard Sauder seit 1989 vorgelegt hat, sind nun in einem Sammelband erschienen. Der Titel, den der Verfasser für die Sammlung gewählt hat, Kein Herder-Bild, stammt zwar aus einer dieser Arbeiten, er mag aber zugleich als Charakterisierung des Ganzen gemeint sein. In dieser Sammlung handelt es sich nicht um eine endgültige Synthese, ja nicht um ein Gesamtbild Herders; die Schwierigkeit zu einem solchen zu gelangen wird in der fraglichen Studie anhand von schriftlichen und bildlichen Portraits Herders demonstriert. Diese beginnt mit der bekannten, in Kapitel 78 der Vorschule der Ästhetik nachzulesenden Bemerkung Jean Pauls, nach der Herder ,,kein Stern erster oder sonstiger Größe war, sondern ein Bund von Sternen, aus welchem sich dann jeder ein beliebiges Sternbild buchstabiert". Die Vielfalt der verschiedenen Herder-Interpretationen hat den letzten Teil der Aussage bestätigt, und auch der erste Teil ist zutreffend: Eine zentrale Schwierigkeit bei der Interpretation Herders als ,,Gesamtphänomen" ist seine Vielseitigkeit. Wie lassen sich seine Schriften zu Geschichtsphilosophie, Erkenntnistheorie, Sprachtheorie, Literaturkritik, Poetik, Pädagogik, Theologie, nicht zuletzt seine eigene Dichtung und seine Übersetzertätigkeit zu einem Gesamtbild zusammenfassen? Wie Sauder feststellt, sind Herders Werke zu keinem hierarchischen System geordnet: ,,Herder hat sein Wissen ,zerstreut'. Die einzelnen Arbeiten stehen gleichberechtigt nebeneinander" (267). Ein Faktor, der zur Vielfalt der Interpretationen beiträgt, ist die Polysemie der von Herder verwendeten Begriffe, auf die auch Sauder verweist, sowie seine Vorliebe für Metaphern und Analogiebildungen statt abstrakter Begriffe und Beweisketten. Weiterhin tragen die vielfachen Hindernisse und Missverständnisse in der Rezeption seines Den-kens dazu bei, einen Überblick zu erschweren: Die Kontroverse mit Kant hatte Herders Ruf in den Augen all jener seiner Zeitgenossen verdorben, die die ,,transzendentale Wende" mitgemacht hatten, was dazu führte, dass sein Name nicht erwähnt wurde, auch wenn etwas von ihm übernommen wurde. Dass der Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts Herder als Galionsfigur beanspruchte, hat eine sachlich [End Page 155] gerechte Interpretation seiner Werke ebenso nachhaltig gehemmt wie die ,,völkische" Interpretation seiner Ideen in der NS-Zeit, der Sauder eine seiner Studien gewidmet hat.

Sauder gehört zu denjenigen, die seit den 1980er Jahren – oft im Rahmen der Internationalen Herder-Gesellschaft, der Sauder seinerzeit vorstand – wesentlich zu einem neuen Herder-Bild beigetragen haben. Dies ist ein Herder, der sich als philosophischer Denker vom Schatten Kants befreit hat, der eher die Tradition der Aufklärung fortsetzt als einen romantischen ,,Irrationalismus" zu vertreten, und der statt für arroganten Nationalismus für ,,Humanität" steht. Diese damals neuen Einsichten, wenn auch grundlegend und heute allgemein anerkannt, genügen aber noch nicht für ein umfassendes Gesamtbild dieses Weimarer Klassikers. Sauder zufolge ist ,,die bis heute nicht überholte zweibändige Biographie von Rudolf Haym (1877/1885)" der einzige Versuch, ,,Herder als ganzen zu würdigen" (9). Der einführende Aufsatz, dem dieses Zitat entnommen ist, stammt von 2007. Seitdem sind allerdings zwei umfassende Herder-Handbücher erschienen, A Companion to the Works of Johann Gottfried Herder, herausgegeben von Hans Adler und Wulf Koepke (2010) und das Herder Handbuch, herausgegeben von Stefan Greif, Marion Heinz und Heinrich Clairmont (2016) [Anm. d. Hg.: siehe Rezension in Monatshefte 109.2, 2017, 305–307]. Inwieweit diese Handbücher eine Gesamtschau Herders anbieten, ist eine Frage, der ich hier nicht nachgehen kann. Beide stellen jedoch den neuesten Stand der Herder-Forschung bereit, und Herders Tätigkeit wird von verschiedenen Forscher*innen unter je unterschiedlichen Aspekten dargestellt. Im ersteren der genannten Bände ist Gerhard Sauder mit einem Kapitel über Herders Dichtungen und Übersetzungen vertreten, das im hier besprochenen Sammelband in einer Übersetzung aus dem Englischen enthalten ist. Ein augenfälliger Unterschied zwischen den beiden erwähnten Handbüchern besteht darin, dass im ersteren lediglich vier der insgesamt siebzehn Kapitel den verschiedenen Aspekten von Herders philosophischer Tätigkeit gewidmet sind, während im zweiten die Philosophie beinahe die Hälfte des Bandes ausmacht (beide Bücher nehmen die Ästhetik aus). Herder, der früher als Philosoph...

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