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  • ,,Mit fühlenden Händen und sehenden Augen". Sensualismus und Aufklärung in Lohensteins Arminius-Roman by Alexander Döll
  • Christian Meierhofer
,,Mit fühlenden Händen und sehenden Augen". Sensualismus und Aufklärung in Lohensteins Arminius-Roman. Von Alexander Döll. Baden-Baden: Ergon, 2018. 202 Seiten + 30 s/w Abbildungen. € 38,00.

Die Würzburger Dissertation von Alexander Döll aus dem Jahr 2016 ist als Fallstudie zu Lohensteins Arminius-Roman angelegt und wendet sich damit einem der umfänglichsten und komplexesten Erzähltexte des 17. Jahrhunderts zu. Die Untersuchung selbst gerät mit 175 Textseiten eher kurz, an manchen Stellen wohl zu kurz. Folgt man dem noch verfügbaren Abstract auf der Universitätshomepage, nahm das Projekt seinen Ausgang mit den Tierdarstellungen und den Mensch-Tier-Beziehungen und war ursprünglich im Bereich der Animal Studies verortet. Dieser Hintergrund ist nicht unwichtig, weil die Untersuchung von hier ihren induktiven Ausgang nimmt und unmittelbar mit dem fünften Buch des ersten Bandes beginnt. Etwas weiter wird dann verständlich, dass es Döll um dialogische Strukturen geht, um ,,die Gespräche und die damit verbundenen epischen Darstellungen über die sinnlich wahrnehmbaren Phänomene der Natur" (10), zu denen dann auch Tiere, aber ebenso natur- und kulturgeschichtliche Referenzen zählen können. Dabei beschränkt sich Döll bewusst auf ,,nur fünf von 18 Büchern des Romans", anhand derer er die für ihn wichtigen ,,Gelenkstellen der Handlung" in den Blick nimmt (38).

Aufgrund der skizzierten Rezeptions- und Forschungsgeschichte will die Studie ein frühaufklärerisches Potential des Romans erkunden, das im Sinne des New Historicism an den ,,intertextuellen Verflechtungen" (36) abzulesen sei und das physikotheologische Positionen, wie sie mit Brockes im frühen 18. Jahrhundert sichtbar werden, schon in den 1680er Jahren vorwegnehme. Methodologisch und terminologisch bleibt allerdings unklar, wie die philologische ,,Analyse der Textoberfläche" mit ,,ähnlichen Phänomenen der außerliterarischen Welt" zusammenhängt (36). Mehrfach betont Döll das bei Lohenstein verhandelte ,,Tatsachenwissen" (10, 124, 174), unterlässt es dann aber, die zeitgenössischen poetologischen, rhetorischen und narratologischen Prämissen – sozusagen die Spielregeln barocker Prosa (Thomas Althaus und Nicola Kaminski 2012) – zu berücksichtigen, unter denen dieses Wissen literarisch bearbeitbar wird. Nicht zuletzt gegenüber Thomas Borgstedts Studie Reichsidee und Liebesethik (1992) möchte Döll weitere ,,Fehldeutungen" vermeiden, indem er die ,,naturwissenschaftlichen und religiösen Dimensionen des Werkes" beleuchtet (12). Durchaus vollmundig geht es weiter, wenn sich die Arbeit ,,aus der neopositivistischen Sammeltätigkeit emanzipiert und wieder genuin literaturgeschichtliche Fragestellungen entwickelt" (29). Einerseits soll also eine wissens- und kulturgeschichtliche Perspektive zurückgedrängt werden, andererseits bietet Döll als Ersatz nicht viel mehr an als die ,,neuen ideologischen Gehalte", die den ,,konventionellen barocken Roman" in seiner ,,Form" aufladen (35). Das ,,Instrumentarium der formalanalytischen Schule" (33), das Döll mit den Arbeiten von Haslinger, Bender und Kraft nutzen möchte, bekommt es dementsprechend mit ideen- oder motivgeschichtlichen Referenzen zu tun. Gewissermaßen quer zu den diskurshistorischen und intertextuellen Bezügen liegt dann aber die Vorstellung vom Arminius als ,,literarische[m] Kunstwerk", das einen ,,hohen Grad an poetischer Ausformung aufweist" und eine eigene ,,fiktionale Welt" entwerfe, weshalb bestimmte wissensgeschichtliche Zugriffe darauf nicht statthaft seien (9). Später ist auch vom ,,ästhetischen Gesamtcharakter dieses Kunstwerks" (82) [End Page 153] die Rede. Von derlei genieästhetischen Voraussetzungen scheint auch Dölls Autorschaftsverständnis geprägt: Lohenstein ,,zeigt uns nicht die Dinge, wie sie wirklich sind, sondern wie er sie gesehen hat." (37) Wie sich diese Position, die zudem die Rede vom ,,Spätwerk" (107, 110, 119, 160) wiederholt ins Zentrum rückt, zum behaupteten ,,Tatsachenwissen" verhält, bleibt leider offen.

Trotz der beobachtungssprachlichen und methodologischen Ungenauigkeiten ergeben sich in den Analysekapiteln durchaus neue Perspektiven, die durch die zahlreichen Abbildungen auch visuell zum Ausdruck kommen. Döll verhandelt Bezüge zur ,,unbelebten" und ,,belebten Natur" (39, 79), worunter einmal ägyptologisches, geologisches und astronomisches Wissen über den barocken Makrokosmos und einmal ,,Tier- und Pflanzenbeschreibungen in mikroskopischer Detailgenauigkeit" (79) verstanden werden. Im ersten Fall ergeben sich zahlreiche Verbindungen zu Athanasius Kircher, den Lohenstein intensiv rezipiert und dessen umfängliches ,,Buchwissen einer kritischen Prüfung" (48) unterzogen werde, zumal hinsichtlich der Bewusstwerdung des kopernikanischen Weltbildes. Es sei dahingestellt...

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