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Reviewed by:
  • Neugier. mehr zeigen ed. by Elfie Miklautz und Wilhelm Berger
  • Erhard Schütz
Neugier. mehr zeigen. Herausgegeben von Elfie Miklautz und Wilhelm Berger. München: Fink 2017. 235 Seiten + 33 farbige Abbildungen. € 34,90.

,,Wenn man neugierig ist, muss man etwas fallen lassen können, man muss also von jener Vorstellung, die die Neugier begleitet, auch Abschied nehmen können, weil sich im wissenschaftlichen Umgang die Dinge auf eine Weise zeigen, die mit der Vorstellung, die wir von ihnen hatten, vielleicht gar nicht zu vereinbaren ist" (45). So der Molekularbiologe und Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger in einem erhellenden Gespräch mit Elfie Miklautz, Soziologin und Mitherausgeberin dieses Bandes, der sich der seit einiger Zeit beliebten Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaften und Künsten widmen will, indem er zwei Begriffe zusammenzubringen unternimmt, die erklärtermaßen ,,unterschiedlichen Argumentationssträngen" (12) angehören: Neugier und Zeigen. Wobei wiederum die Ambivalenz von Neugier, nämlich die theologisch lange verdammte triebhaft-lustvolle Leidenschaftlichkeit einerseits, andererseits ihre neuzeitliche Schubwirkung für jedwede neue Erkenntnis, von Schopenhauer als Wissbegier positiv abgesetzt, ebenso fruchtbar gemacht werden sollen wie die Spannung von Zeigen und Sich-Zeigen. Sozialwissenschaftler*innen, Ästhetik- und Kunsttheoretiker*innen sowie Künstler*innen in Malerei, Musik und Film haben hierzu Beiträge geliefert, die die Einleitung etwas euphemisch als ,,vielstimmig" apostrophiert. So recht will sich kein auch nur irgend klärender roter Faden zeigen. Zu divergent sind die Positionen und Ausgangsfragen wie -materialien. Freundlich könnte man davon sprechen, dass sich hier verschiedenste Fasern und Linien zu einem lockeren Gewebe assoziieren, das mal fester, mal fluffiger erscheint. Über den allgemeinen Konsens, für den man nicht eigens legitimatorisch Hans Blumenberg zitieren muss, dass die Wissenschaften auf Eindeutigkeit und Einsichtigkeit, die Künste auf Setzungen des Unbestimmten, Vieldeutigen aus sind, kommt man am Ende nicht wirklich hinaus. Und auch die durchaus brisante Frage nach dem nichtratioiden Kern wissenschaftlichen Prozedierens wird zwar angesprochen, aber doch eher gschamig zugedeckt auf sich beruhen lassen.

Wer auf Neugier neugierig ist, bekommt allerlei aus dem bekannten Zitatenschatz geboten. Neben dem anregenden Interview mit Rheinberger erscheint am ehesten [End Page 145] der Beitrag der freien Publizistin Andrea Roedig hervorhebenswert, der nach ,,Liebe als Erkenntnisraum" fragt und sich darin tatsächlich ins Ungeschützte begibt, indem sie – inspiriert von der amerikanischen Dichterin und Altphilologin Anne Car-son – den Gedanken verfolgt, dass Liebe ,,an sich eine triadische Struktur hat" (121). Ganz ohne Referenz auf die allfällige Liebesforscherin Eva Illouz kommt sie zu luziden Gedanken, so etwa – gegen die notorischen Täuschungsentlarvungen – zur ,,Wahrheit" von Liebe, für die ,,andere epistemologische Regeln" gälten als für die Alltagswelt (124). Durchaus metaphorisierend erklärt sie, von Donald Winnicotts Bemerkung zur Mutter-Kind-Beziehung inspiriert, Liebe zum ,,Raum", zum ,,Äther", in dem sich die Beziehung zweier – zumindest vorübergehend – als eine ,,Neugierweise" realisiert, ,,die die Welt anders und eine andere Welt sehen lässt" (127).

Ebenso hervorhebenswert: Die Abbildungen der Kunstwerke von Adreis Echzehn, intermittierend zwischen den verschiedenen Beiträgen.

Epistemologisch interessant erscheint der Band schließlich unter zwei Aspekten: zum einen darin, wie hier angesichts der spannungsvollen Vorgaben Unvereinbares sich durch assoziatives Heranformulieren, Metaphorisieren oder spekulatives Assoziieren zurechtgelegt wird. Zum anderen darin, dass frühere Überlegungen zu Denkstilen hier neuerlich Stoff finden könnten, jedoch weniger in Hinsicht auf die unterschiedlichen Herangehensweisen von Wissenschaft und Kunst als im Referenzialwandel. Hier wird tatsächlich mancherlei fallengelassen (oder vergessen?), zumal Vorgängiges. Kein Wort von den für die Fragestellung des Bandes durchaus einschlägigen, nicht gar so unbekannten Namen wie Paul Feyerabend, Ludwik Fleck, Nelson Goodman oder Thomas Kuhn. Dafür finden sich zwischen sozialwissenschaftlich Fachspezifischem und Eigentexten der Beitragenden gerne Barthes, Bataille, Deleuze/Guattari, Derrida, Leiris und ganz besonders bevorzugt: Benjamin und Proust.

Erhard Schütz
Humboldt-Universität zu Berlin
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